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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)


nach und hatte ihn bald eingeholt. Er fuhr an ihm vorüber. Dann hielt er sich so, daß man hinten in der Ferne, wenn auch nur schwach, das Krachen des alten Postkastens hören konnte. Der junge Gardelieutenant mochte mit seiner Lage wohl nicht ganz zufrieden sein. Er hatte seinen Sitz nicht neben der Schönen, die allein ihn in das Abenteuer und in den Wagen gezogen hatte.

Es war stockdunkel, und er konnte sie nicht einmal sehen. Nicht einmal reden konnte er mit ihr. Sie saß stumm auf ihrem Sitze, das Kind auf dem Schooß, und als er ein Gespräch mit ihr anknüpfen wollte, nahm ihn die blasse Dame an seiner Seite in Anspruch.

„Mein Herr,“ sagte sie, in einem Tone, der ihre Verwirrung zu erkennen gab, „in diesem Augenblicke fällt mir erst die eigenthümliche Lage auf, in die ich zu übereilt uns gebracht habe. Was mögen Sie von mir und meiner Schwägerin denken?“

Der Lieutenant war jedenfalls galant. „Gnädige Frau, ich habe nur das Gefühl des Glücks, Ihnen einen Dienst erweisen zu können.“

„Aber wir riefen Sie zu diesem aufopfernden Dienste, wir, die wir Ihnen, Sie, der Sie uns ganz fremd sind.“

„Desto glücklicher schätze ich mich,“ erwiderte der galante Gardelieutenant; „ich habe zugleich die liebenswürdigste Bekanntschaft gemacht.“

„Indeß, mein Herr,“ fuhr’die Dame fort, „ich muß Ihnen doch einige Auskunft geben, die mich vielleicht bei Ihnen entschuldigen wird. Meine Schwägerin und ich hatten einen Besuch bei einer Freundin gemacht, und mein Mann hatte versprochen, uns abzuholen. Wir warteten auf ihn. Es wurde uns jedoch zu spät, und so mußten wir endlich ohne ihn die Rückfahrt antreten, in der Hoffnung ihm zu begegnen, was jedoch bis jetzt nicht geschehen ist. Möglich, daß er doch noch mit uns zusammentrifft. Ich rechne sogar darauf, wenn ihm kein Unfall zugestoßen ist, welcher Gedanke mich freilich doppelt beunruhigt.“

„Die gnädige Frau wohnen in der Nähe?“ fragte der Lieutenant.

„Nicht weit von der nächsten Station.“

„Auf einem Gute?“

„Auf einem Gute.“

Dem Lieutenant wollte seine Situation bedenklich zu werden beginnen. Warum, mochte ihm selbst nicht sogleich klar werden.

„Nicht wahr, mein Herr,“ sprach die Dame weiter, „Sie finden unter solchen Umständen meine Furcht vielleicht nicht so ganz kindisch?“

„Gnädige Frau, ich bewundere im Gegentheil Ihren Muth.“ Der Lieutenant hatte gewiß ein großes Compliment sagen wollen. Aber auf dem Sitze vor ihm wurde ein boshaftes Gekicher laut, das sich gar keinen Zwang anthat.

„Emilie, er bewundert Deinen Muth, daß Du ihn zu unserem Ritter engagirt hast.“

„Angela!“ verwies die blasse Dame.

Aber Fräulein Angela lachte herzlich weiter, und Fritz von Horst dankte jetzt dem Himmel, daß es stockdunkel im Wagen war, denn es wäre eine Beleidigung für das ganze Gardecorps gewesen, wenn Jemand gesehen hätte, daß ein Gardelieutenant vor Verlegenheit feuerroth geworden war. Er ärgerte sich aber auch zugleich, daß er keine Erwiderung an die Dame finden konnte. Jedoch was das Letztere betraf, so befreite ihn die Dame bald selbst von seinem Aerger, freilich um andere, gar beunruhigende Gefühle in ihm zu erwecken.

„In einem Punkte übrigens, liebe Emilie,“ fuhr Fräulein Angela fort, „hast Du unserem liebenswürdigen Ritter Unrecht gethan.“

„Und in welchem?“ fragte die Schwägerin.

„Daß er uns fremd sei.“

Der Lieutenant horchte hoch auf. „Ich hätte die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein, mein gnädiges Fräulein?“

Der Kutscher hatte vorhin die blasse Dame gnädige Frau, diese hatte die jüngere Dame ihre Schwägerin genannt. Der höfliche Gardelieutenant hatte daher zu jener ebenfalls gnädige Frau gesagt, und er musste folglich auch die Jüngere als ein gnädiges Fräulein anreden.

„Gewiß, mein Herr,“ versetzte das gnädige Fräulein munter, „Sie sind der Herr Fritz von Horst?“

„In der That –“

„Lieutenant in der Garde –?“

„Wo hätte ich das Glück gehabt, von dem gnädigen Fräulein gesehen zu sein?“

„Hören Sie weiter, Herr Lieutenant von Horst; Sie haben eine brave Mutter?“

„Eine vortreffliche Mutter.“

„Sie ist die Freundin einer Frau von Eisenring?“

Der Lieutenant horchte nicht mehr hoch, er horchte auf einmal erschrocken auf. Es wurde ihm kalt und heiß auf der Stirn, und in seinem Innern fluchte es: „Himmeldonnerwetter!“ und betete dann wieder: „Lieber Gott, hilf mir aus dieser verdammten Geschichte!“ Auch ein Gardelieutenant kann beten, freilich erst dann, wenn er in solcher Noth ist. Und in Noth war der Lieutenant, denn er vergaß die Antwort auf die letzte Frage des gnädigen Fräuleins.

„Sie antworten mir nicht?“ sagte sie boshaft.

Er mußte antworten: „Meine Mutter hängt mit ihrem ganzen Herzen an dieser Freundin.“

„Das freut mich, Herr von Horst – aber weiter. Die Frau von Eisenring hat eine Tochter?“

„Meine Mutter hat mir davon gesprochen.“

„Blos so kalt davon gesprochen?“

Den armen Lieutenant überlief es am ganzen Körper glühend heiß, er fluchte und betete nicht mehr, aber er mußte Betrachtungen anstellen, und diese machten ihm noch heißer. – Lucina! Lucina von Eisenring! Es ist gewiß! Sie ist dieser verführerische und zugleich boshafte Teufel. Und keine Schwärmerin, wie ihre Mutter, aber ein Satan. Das Gut liegt in der Nähe, jenseits des Waldes. Sie kennt den Plan ihrer Mutter und muß mich schon früher, in der Residenz, beobachtet haben, da sie von meiner Reife weiß. Wahrscheinlich hat sie einen Liebhaber, und hat mir darum diese Falle gelegt. Jetzt kann sie nun zu ihrer Mutter sagen: den Menschen soll ich heirathen, der auf der Landstraße der ersten besten Schürze nachläuft? Sie läßt sich zwar Angela nennen, und als einziges Kind kann sie keine Schwägerin haben. Aber das Alles ist Maske für ihr verruchtes Spiel. Herr des Himmels, was habe ich da angefangen! Dieser verteufelte Leichtsinn! Und meine Mutter hatte mich gewarnt. Was nun weiter? Wie soll das enden? –

„Sie antworten mir wieder nicht, Herr von Horst?“ fragte das gnädige Fräulein.

Aber diesmal sollte er der Antwort überhoben werden. Ein Geräusch, das man plötzlich hörte, ließ ihn sie und wahrscheinlich auch das boshafte Fräulein vergessen. Man hatte bisher noch immer das schwerfällige Fahren des Postwagens vernehmen können.

Er mochte in einer Entfernung von etwa fünfhundert Schritten hinter dem Planwagen fahren. Auf einmal vernahm man den Ruf einer menschlichen Stimme. Es war ein lauter, befehlender Ruf. Unmittelbar darauf folgte ein heller Peitschenschlag; dann ein Schuß, dann ein Durcheinander mehrerer Stimmen; Alles fast in einem einzigen Momente. Und Alles in der Gegend des Postwagens. Diesen selbst, sein Fahren, sein Krachen vernahm man nicht mehr. Das Durcheinander der Stimmen war ein wildes, schreiend, befehlend, drohend. Aber es dauerte ebenfalls nur einen einzigen, kurzen Augenblick; dann vernahm man auch von ihm nichls mehr. Alles war still in jener Gegend, im ganzen Walde.

Fritz von Horst war aufgefahren. „Räuber!“ rief er. Brav war der leichtsinnige Gardelieutenant. Er sprang auf, er wollte aus dem Wagen springen, im vollen Fahren des Planwagens. Denn dieser hatte nichl angehalten; der Kutscher fuhr ruhig weiter, als wenn er von allem dem Geschrei und Gewirre nicht einen Laut vernommen habe.

(Fortsetzung folgt.)
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