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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 10. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Eine Brautfahrt.
Von dem Verfasser der neuen deutschen Zeitbilder.


Vor etwas mehr als dreißig Jahren –

Warum gerade damals? Ich will meinen Lesern eine kleine Geschichte erzählen, eine wahrhafte und keine erfundene und dazu von einer Räuberbande, und Räuberbanden gab es zu jener Zeit in Deutschland noch. Ein Bekannter von mir hat ein dickes Buch über sie geschrieben, in dem auch die Bande vorkommt, von deren Hauptmann ich hier ein Stückchen erzählen will.

Daß es heute keine solche Banden mehr gäbe – ich will es nicht geradezu behaupten, aber so viel ist gewiß, in der heutigen Zeit plündern andere Banden viel leichter, viel bequemer und völlig sicher die Leute aus, an Börsen und Banken; warum da noch Räuber und Mörder? –

Vor etwas mehr als dreißig Jahren fuhr an einem klaren und noch warmen Octobernachmittage die tägliche Fahrpost in ein kleines Städtchen ein. Das Städtchen lag drei oder vier Meilen von einer deutschen Residenz entfernt. Der Postwagen hielt vor dem Posthause auf der Straße. Der Postillon sprang flink aus dem Sattel. Der Conducteur kam steif aus seinem Coupé hervor, trat an den Wagen, öffnete den Schlag und sprach hinein: „Wer will, kann hier aussteigen!“

Es war noch die volle Zeit der Grobheit der deutschen Postbeamten. Eisenbahnen gab es damals im deutschen Vaterland noch nicht; Schnellposten waren nur erst auf wenigen Touren eingerichtet. Besonders die Schirrmeister der Fahrposten hatten daher ein Monopol der Grobheit.

„Wie lange hält der Wagen hier?“ fragte eine Stimme heraus.

„Zehn Minuten,“ antwortete der Conducteur.

„Auch wohl etwas länger!“ meinte etwas derb die Stimme im Wagen. „Man kennt die zehn Minuten auf den Poststationen.“

Das Gesicht des Schirrmeisters verfinsterte sich. Es war dies eine offenbare Amtsehrenbeleidigung gegen das gesammte Postwesen.

Sollte, mußte er sie nicht rügen? Allein er schien ein großmüthiges Verzeihen vorzuziehen. Er ging, ohne etwas zu erwidern, mit seinem Briefbeutel in das Posthaus.

Aus dem Postwagen stieg darauf ein einzelner Reisender. Es war ein kurzer, dicker Herr mit einem starken, rothen, befehlend aufgeworfenen Gesichte. Draußen sah er sich um. Er hatte etwas zu fragen. Es war aber nur noch der Postillon da, der seine Pferde abschirrte. Er wandte sich ärgerlich an diesen: „Wo kann man hier denn bleiben?“

„Im Wirthshause!“ antwortete eben so grob und nachlässig, wie sein Conducteur, der Postillon.

„Ist denn keine Passagierstube da?“ fragte beinahe zornig der Fremde.

„Nein.“

„Und wo ist das Wirthshaus?“

„Suche es sich der Herr.“

Der Fremde ging mit einem Fluche, sich das Wirthshaus zu suchen. – In dem Postwagen hatte Jemand der kleinen Scene mit einem höchst gleichgültigen, fast blasirten Gesichte zugesehen. Ein Anderer hatte gar keine Notiz davon genommen.

Jener war ein nicht mehr ganz junger Mann mit einem etwas abgelebten Gesichte, das aber einen ungeheuren Schnurrbart tragen mußte. Schnurrbart und eine eigenthümlich steife, gerade Haltung schienen, ungeachtet der bürgerlichen Kleidung des Reisenden, einen Soldaten, und etwas Vornehmes in der Haltung, so wie das blasirte Gesicht einen Lieutenant verrathen zu wollen. Er war es, der mit dem völlig gleichgültigen Gesichte, und ohne sich auf seinem Eckplatze zu rühren, die Unterredung zwischen dem groben Postillon und dem zornigen Herrn angehört hatte.

Der Andere, der von dieser gar keine Notiz genommen hatte, war nach seiner Kleidung offenbar ein Geistlicher. Er trug einen schwarzen Rock, schwarze Beinkleider, eine lange, schwarze Tuchweste, ein sauberes weißes Halstuch, einen schwarzen Hut mit breiter Krämpe. Er schien schon ziemlich alt zu sein, seine Haare waren weiß und das Gesicht hatte den Ausdruck einer milden Würde. – Derselbe hatte ebenfalls einen Eckplatz im Wagen und hatte sich ermüdet darin zurückgelegt. Er schien geschlafen zu haben, denn als der Wagen hielt, hatte er nur auf einige Secunden die Augen geöffnet. Dieselben waren noch ungewöhnlich lebhaft; aber diese Lebhaftigkeit that der milden Würde des Gesichts keinen Eintrag. Die Augen schlossen sich bald wieder, und er schien weiter zu schlummern.

Außer den Beiden war Niemand im Wagen, und sie schienen das Weiterfahren desselben abwarten zu wollen. Der muthmaßliche Lieutenant schlief nicht, sondern sah blos langweilig vor sich hin; seine Langweile sollte jedoch unterbrochen werden. Dem Postwagen näherte sich aus der Straße des Städtchens ein Herr mit zwei Damen. Der Herr war ein hübscher junger Mann, noch sehr jung; das Gesicht wie Milch und Blut, darin ein kleiner, schwarzer, kecker Schnurrbart, ein Paar Augen, die glaubten, überall dabei sein zu müssen, und ein Leichtsinn, der für junge Mädchenlippen gewiß zum Küssen war, frommen Matronen und soliden Männern aber unwillkürlich ein Kopfschütteln abnöthigen oder wohl gar einen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_145.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)