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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

worden waren, sich am allgemeinen Sectgenuß zu betheiligen, in großen Aengsten unter die Stühle krochen. Der Hochzeitsvater und der große Kohlwurst schwelgten in Entzücken, man las in ihrem listigen Lächeln, daß sie den feinen, höchst zeitgemäßen Spaß ersonnen hatten.

„Ich bitte Sie, zu bedenken, mein Herr,“ warf der Architekt ein, „daß wir hier keine politische Versammlung abhalten.“

„Sie mögen sich allerdings zu keinem politischen Zwecke vereinigt haben, aber politische Anspielungen genug sind heute hier vorgekommen. Wir sind durch einen der im Saale anwesenden Herren Beamten davon genau unterrichtet worden.“

So sprach der Constabler mit ernstem Gesicht und schien mit den Augen den Verräther an der Gesellschaft unter den anwesenden Uniformen zu suchen.

„Sie werden sich erweichen lassen!“ meinte der Architekt, „zunächst kann ich Sie aber nicht trocken stehen sehen. Befehlen Sie Bowle, oder ein Glas Sect?“

Der würdige Beamte entschied sich auffallender Weise für Bowle. Sofort langte der Herold nach einem in der Nähe stehenden großen Glase und reichte es gefüllt dem Constabler. Da dieser es mit vieler Geschicklichkeit und Eile leerte und dasselbe Experiment noch zweimal hintereinander ebenso geläufig wiederholte, athmete die bedrängte Gesellschaft auf. Der Architekt faßte daher wieder Muth, dem durstigen Beamten mitzutheilen, daß man nichts als einen Polterabend feiere und sich von allen illoyalen Kundgebungen durchaus fern halte. Hatte die kräftige Feuchtigkeit der Bowle oder diese unschuldige Mittheilung den strengen Mann erweicht, genug, er sagte, daß es ihm leid thue, den Frohsinn der Gesellschaft gestört zu haben, noch mehr aber, nicht mit einem Geschenke für das Brautpaar versehen zu sein. Um aber doch seinen guten Willen zu bezeigen, griff der kühne Mann mit echt polizeilicher Dreistigkeit in die Bowle, belegte den schweren silbernen Löffel – der dazu natürlich längst bereit gehalten war – mit Beschlag und überreichte ihn, sich vor den jungen Leuten verneigend, als Hochzeitsgeschenk.

Diese dichterische Pointe bildete den Culminationspunkt des Abends, alle Anwesenden erhoben sich, die kleinen Knaben krochen beruhigt unter den Stühlen hervor, und der große Kohlwurst führte den von zwei Polizeiräthen geleiteten nachgemachten Constabler in einen Nebensaal, um ihn dort nach den gehabten Anstrengungen mit – Sect, dem Localfluidum, zu erquicken. Da indessen schon eine etwas bacchantische Begeisterung zu bemerken war, mehrere Executivbeamte auch schon heiße Thränen vergossen, und durch den Hauszüchter Kohlwurst nur mit Mühe beruhigt werden konnten: beschloß ich, mich mittelst des bekannten polnischen Abschiedes sachte zu entfernen. Ich entkam glücklich, und der Festabend galt mir für eine so goldene gesellige Lehre, daß ich nie mehr weder ein neues Haus besehen, noch mit dem Architekten Schach gespielt habe.




Wild-, Wald- und Waidmanns-Bilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 11. Am Waldsee.

Auge des Waldes, wie fesselst und bewegst du mit deinem feuchten Blick das Innere des Menschen! Von deiner Wunderkraft angezogen, wogt die Seele dessen, den dein schwimmendes Antlitz gemahnt, in bangem, süßem Ringen dir entgegen. Ja, ein Wunderauge bist Du, denn du schauest nicht nur – du singst dem Menschen auch tief in’s Herz hinein! Die Lichtschwingungen der Sonne tönen nur in unserer Vorstellung; aber deine Blickeswellen, die kosend deine Augenlider – die Ufer – umspielen, sind wirklicher und doch wieder so geheimnißvoll zauberhafter Gesang, der, wenn rollend sein Gottesathem über dich hinhaucht, im Schilfe – deinen Wimpern – und in den mächtigen, dich umstarrenden Waldriesen, den Tannen und Fichten – deinen Brauen – sehnsüchtige und Sehnsucht erweckende Weisen anstimmt oder zu orgeltonbrausendem Psalm sich erhebt. Kommt, der Tag ist schön und mild, begleitet mich nach dem erst kürzlich gewichenen Winter hinaus. Noch ist in den an den See grenzenden, aufwärts liegenden Waldschluchten der Schnee nicht gänzlich zerronnen. Das offen liegende Gewässer, von dürrem braunem Geröhricht umkränzt, hat zu solcher Zeit, wo die Natur noch ringsum schläft, etwas tief Melancholisches, aber doch auch Etwas, das zu sagen scheint: Glaube an mich! – Gleichsam wie ein bereits abgeschlossen gewesenes Leben, dem noch einmal die Hoffnung zu neuem Schaffen winkt, erscheint uns an einem solchen Vorfrühlingstage das seiner starren Fesseln ledige, lebendige Element. Dunkel sehen sich die finstern Tannen in dem düstern Spiegel, der selbst den blauen Frühlingshimmel wie nächtlich verwandelt. Dennoch mahnt uns das wieder offene Wasser, das so lange starr unter schneeiger Decke eine einförmige Fläche gebildet, prophetisch an die Kraft des nahen, belebenden Frühlings, von dem das immergrüne Nadelholz mit seinem dämmerigen, anheimelnden Schatten zu träumen nie aufhört.

Ein solcher sonniger Vorfrühlingstag im Walde ist von unnennbarem Reiz. Mehr als je ist man empfänglich, Lebendiges zu betrachten; jede Ameise, die die warme Witterung bereits aus ihrem Bau herausgelockt, und die nun wieder ihre alte Straße in geschäftiger Eile wandelt, bald hier, bald da einer ihrer kleinen Genossinnen ausweichend, erlabt das Auge und Gemüth. Zu vollendetem Gesang werden die einzelnen Zwitschertöne der überwinterten Vöglein, und mit angehaltenem Athem lauscht man dem Klopfen des Spechtes, der dann mit weithin gellendem Pfeifen zum nächsten morschen Stamme fliegt, um dort sein Zimmerhandwerk fortzusetzen. Aber auch verschiedenes Wasser- und Strandgeflügel ist bereits rege. Weit drüben auf dem stillen, blanken Spiegel schwimmen, nur als Punkte erscheinend, ein paar Taucher, durch eigenthümlichen, wie fernes Bellen klingenden Laut sich kund gebend, mit dem das Männchen seiner Erkornen zärtliche Hingebung zu bezeigen sucht. Dort reihen [1] sich mehrere Entvögel[2], ebenfalls in erwachender Liebesgluth, hinter einer einzelnen Ente, bis diese in eine kleine busch- und rohrumstandene Lache in der Nähe des Sees einfällt, während an dessen Ufer die triste Bläßente nickend und kläglich seufzend durch das trockene Schilf raschelt. Hoch oben in der Luft aber schwebt ein einzelner Reiher, jedenfalls als Quartiermeister für die nachkommenden Schaaren. So ist überall, wo wir hinblicken, schon Leben, obgleich es nur die Vorläufer der Massen sind, die noch folgen sollen, um hier ihr Asyl aufzuschlagen. Eine gewisse Oede herrscht freilich immer noch am See im Vergleich zu späteren Zeiten, deren mannichfaches Treiben wir ein ander Mal zu erleben gedenken. Zuvörderst wählt unsere Betrachtung aus den verschiedenen Wasser- und Sumpfvögeln, die uns zur Schilderung anregen, die wilden Enten, als die massenhaftesten Vertreter jenes Geschlechts, heraus, und unter ihnen nimmt vor allen die bei uns am häufigsten vorkommende und vom jägerlichen Standpunkte besonderes Interesse bietende unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, nämlich:

Die Stockente.

Als Strichvogel ist sie das ganze Jahr bei uns, wo sie nur irgend offene Gewässer findet, es sei auf strömenden, nicht zufrierenden Flüssen und Bächen, oder auf warmen Stellen von Seeen, Teichen und Gräben. Werden mit dem weichenden Winter die Gewässer überhaupt eisfrei, so suchen sie ihre alten Brutstätten an schilfreichen Weihern, oft auch an kleinen Teichen und Lachen wieder auf, wo sie sich dann zu paaren anfangen. Ehe dies jedoch geschieht, werden von den Entvögeln erst erbitterte Kämpfe ausgegefochten, nachdem sie, wie wir bereits zu beobachten Gelegenheit hatten, irgend einer Schönen im nacheilenden Wettfluge den Hof gemacht, bis die Bestürmte in ein schilf- und buschumgebenes, stilles Wasserplätzchen einfällt. Dorthin folgen ihr die Anbeter, um entweder zu siegen oder – zu weichen.

Hat der Stärkste die Schwächern glücklich abgeschlagen, so ist es des Bevorzugten Aufgabe, durch liebenswürdiges Kosen, gehorsames Folgen und sanftes Schmiegen die volle Gunst der Ente zu erringen. Mit anerkennenswerther Beharrlichkeit bleibt ihr dann der Gatte treu, freilich nur so lange, als bis die Jungen ausgekommen, von welchem Zeitpunkte an er sich weder um diese, noch um die frühere Angebetete kümmert, vielmehr sich wieder zu seinen

  1. Reihen: hintereinander herfliegen.
  2. Entvögel: die Männchen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_140.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)