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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

wieder z’samm’ klauben kannst. Ich muß halt auf was Andres denken, denn so liegen bleiben darf er um keinen Preis …“

Paul entfloh der Scheune zu und vergrub sich in den hintersten Winkel des Heulagers, wohl vor den Leuten, aber seine qualvollen Sorgen wühlten sich mit ihm hinein.

Die Bäuerin trat nach kurzem Besinnen in’s Schlafzimmer, wo ihr Mann noch tief schlafend im Bette lag. Eine Weile betrachtete sie ihn mit demselben Ausdrucke des Hohns, wie er so ungeschlacht und plump dalag, eine geistlose Masse Fleisch. „Auch ein schönes Muster von einem Mannsbild,“ murmelte sie, „aber sie sind im Grund Alle gleich, und ich weiß nit, ob mir nicht zuletzt der Simpel noch der Liebere ist – der folgt mir doch wie ein Hund!“ Sie faßte den Arm des Schlafenden und rüttelte ihn so kräftig, daß er erschrocken auffuhr und sie mit verschlafenen Augen verblüfft anglotzte. „Steh’ auf, Huber,“ sagte sie, „und hör’ mir zu – es ist was ganz Besonderes passirt.“

Der Blöde richtete sich halb empor und sah sie erwartend an.

„Antworte mir erst,“ begann die Bäuerin wieder, „weißt Du noch, wie ich in Dein Haus gekommen bin?“

„Wie sollt’ ich das nicht mehr wissen?“ grinste er, „für so dumm mußt Du mich doch nicht halten! Ich weiß es noch gar wohl, wie Du auf den Hof gekommen bist, als eine arme Magd und Dein Päckl unterm Arm.“

„Und wie Du mir nachgegangen bist auf Schritt und Tritt, und nicht geruht hast, bis ich Ja g’sagt hab’? Und was Du mir damals versprochen hast, daß ich’s gethan, weißt Du das auch noch?“

Der Bauer schwieg, denn er wußte nicht, wo die Bäuerin hinaus wollte mit ihrer Frage.

„Tu hast mir versprochen,“ fuhr sie fort, „daß ich Herr sein soll im Haus, daß Du mir nix Einreden willst, daß Du blindes Vertrauen zu mir haben und mich nicht mit Eifersucht plagen willst, und wenn Du auch meinst, Du hätt’st Ursache dazu! Und wie hast Du Dein Wort gehalten? – Meinst Du, ich hab’s nit gemerkt, wie Du mich überall scheel angeschaut hast wegen dem Oberknecht, dem Hans, daß die andern Dienstboten die Köpf’ zusammenstecken und einander mit dem Ellbogen anstoßen? Ich hab’ Dich wohl geseh’n, wie Du mir gestern früh nachgeschlichen bist in die obere Stub’n und hast spionirt wie ein Spitzbub’!“

Der Bauer war verlegen, sich ertappt zu wissen, und sah dumm lächelnd vor sich hin.

„Ich bin die Person nicht,“ fuhr die Bäuerin fort, „die so mit sich umgehen laßt. Ich kann mir aber schon einbilden, wer Dir das in den Kopf gesetzt hat – es wird’s wohl der Hans selber gewesen sein! Wer weiß, wo er gered’t und geprahlt hat, weil ich ihn vielleicht einmal freundlich ang’schaut hab’ …. Drum hab’ ich g’sorgt, daß er Dir und mir nimmer im Weg umgeht!“

„Hast ihn fortgeschickt?“ fragte tückisch der Bauer.

„Dummheiten! Warum nit gar! Daß er mich ausschreit und in’s Gered’ bringt bei den Leuten? Nein, ich hab’ ihm ’s Maul g’stopft, daß er’s gewiß nit wieder aufmacht.“

„Versteh’st mich nit?“ fuhr sie fort, da der Bauer sie fragend anstierte. „Ich hab’ ihn durchthun lassen – draußen im alten Steinbruch im Schwarzbühelholz liegt er erschossen!“

Der Blöde hörte zu, wie Jemand, der wohl etwas vernimmt, aber es nicht begreift; aber allmählich schien ihm das Verständniß aufzudämmern, seine starren Augen funkelten und eine wilde unheimliche Freude zog über sein Gesicht, das dadurch dem eines Thieres noch ähnlicher wurde. „Ist das wahr?“ rief er lachend, „der Hans ist hin?“

„Hin,“ entgegnete kaltblütig die Bäuerin, „das hab’ ich Dir zu lieb gethan, damit Du siehst, daß ich ein braves Weib bin und daß Du mir nit wieder so Unrecht thust! Aber jetzt ist’s an Dir – jetzt zeig’, daß Du ein solches Weib verdienst. Geh’ hinaus in den Steinbruch – wenn Du nicht willst, daß Dein treues Weib Deinetwegen in Ketten und Banden kommt, so scharr’ ihn ein, daß ihn Niemand find’t, und dann komm’ wieder und sag’ mir’s!“

Der Bauer bedurfte keiner weitern Ueberredung oder Aufforderung – mit wildem Sprunge war er aus dem Bett, warf sich unordentlich und hastig in die Kleider und eilte fort mit der Hast eines beutegierigen Raubthieres, das Fraß wittert. „Sei vorsichtig,“ mahnte die Bäuerin, „geh’ beiseit’, daß Dir Niemand begegnet, und wenn Dir doch wer in den Weg kommt, so sag’, Du gehst in unsern Schlag hinaus und willst einen Wassergraben auswerfen.“

Er hörte kaum die Mahnung, die übrigens auch unnöthig war, denn instinctmaßig wählte er einen Umweg durch’s Moor, wo ihm nicht leicht jemand entgegen kam und von wo er nur einen Büchsenschuß weit in den Wald hatte. Er sprang mehr als er ging. indem er manchmal wilde unverständliche Worte vor sich hinbrummte, manchmal die über der Schulter liegende Grabschaufel wie eine Keule über’m Kopfe schwang. Bald war er im Wald und hatte gleich einem Spürhunde schnell die Blutstelle aufgefunden. Mit wildem Hohngelächter sprang er auf die Leiche zu, als er sie erblickte, und riß sie aus dem Gesträuche heraus; dann setzte er sich gegenüber auf einen Baumstumpf, stützte das Gesicht in die beiden Hände und sah eine Zeit lang mit wilder Freude in die starren Augen und die verzerrten Züge des Todten.

Dann sprang er auf und zerrte den Leichnam in die von Paul schon bereitete Grube, und schaufelte und grub wie wüthend mit aller Kraft, daß sie in wenigen Minuten eingefüllt und der arme Hans ein paar Klafter tief verscharrt war. Boshaft stampfte er dann noch auf der lockern Erde herum und holte kriechend aus dem Gebüsche allerlei Moos, abgefallenes Laub und Gestrüpp herbei, um der Stelle das Ansehen des gewöhnlichen Waldbodens wieder zu geben. Mit dem Ausdrucke wohlgefälliger Verschlagenheit überblickte er dann sein Werk und eilte nach Hause.

Als die schöne Huberin ihn kommen sah, athmete sie hoch auf, denn jetzt wußte sie sich sicher. Sie lachte laut auf in übermüthigem Trotze und veränderte keine Miene, als einer der Knechte mit der Botschaft heran kam, daß der Oberknecht Hans nirgends im ganzen Hause zu finden sei und der jüngste Knecht Paul wie betrunken im Heu liege. „Das muß wahr sein,“ rief sie im verstellten Zorn, „gut versehen bin ich mit meinen Leuten! Der Eine kommt die ganze Nacht nicht heim, und der Andere ist am hellen Tag noch nicht nüchtern – aber ich will nicht die Huberbäuerin sein, wenn ich nicht Ordnung hinein bring’ in die Bursche!“

Während das auf dem Huberhofe geschah, saß die traurige Rosel schon lange auf einem Straßenrain an der Brücke, wo die Sempt aus dem Moose hervorkommt. Längst hatte es auf den Kirchthürmen des nahen Städtchens sieben Uhr geschlagen; Viertelstunde um Viertelstunde schlich dahin, ohne daß Hans erschien, um mit ihr den verabredeten Gang zum Gerichte zu machen. Rosel wollte sich fast die rothgeweinten Augen ausschauen nach ihm, aber er war nirgends zu erblicken. Jetzt schlug es auf der Hauptkirche schon acht Uhr; der tiefe, ernste Glockenton schwebte so recht feierlich durch die stille Gegend hin und drang mahnend an des Mädchens Ohr und Herz.

„In Gottes Namen,“ sagte sie endlich aufstehend, „er kommt nicht! Ich kann’s nicht glauben, daß er sein heiliges Versprechen nicht halten sollt’, also kann er wohl nicht kommen, und sie haben ihm gar ein Leids angethan! … Wie’s aber auch ist, ich muß hinein, muß Alles sagen, was ich weiß, mag es ihm und mir dann gehn, wie’s will!“

Plötzlich blieb sie horchend stehen, und glühende Röthe stieg ihr in’s Gesicht. „Das wird er sein,“ sagte sie, „ich höre gehn“ … Er war es aber nicht; ein wildfremder Mensch schritt achtlos an ihr vorüber. „O mein liebs guts Mutterl,“ seufzte sie in das Taschentuch hinein, „steh’ Du mir bei auf dem schweren Gang“ – dann schritt sie ruhiger dahin, dem Gerichtsgebäude zu.




8.

Der Abend des zweiten Tages war gewitterhaft zu Ende gegangen und hatte einer undurchdringlich finsteren Nacht Platz gemacht. Die ganze Gegend lag todesstill, Ruhe war in und über allen Häusern und Hütten, denn nichts von dem Vorgefallenen hatte verlautet. Nur in der Richtung gegen eine am Waldsaume befindliche, halb übergraste Sandgrube, an deren Rand ein verwittertes Wetterkreuz emporragte, war es in geheimnißvoller Weise lebendig. Dunkle bewaffnete Männer schlüpften in den Wald hinein, und zwischen den Bäumen blitzte es hier und da wie ein Gewehrlauf oder eine Bajonnetspitze. Allmählich jedoch ward es auch hier ruhig, und bald war nichts hörbar als das Rauschen der Bäume, die sich den Stößen des Gewitterwindes beugten.

Schon ging es nahe auf eilf Uhr, als hier und da eine verdächtige Gestalt vorsichtig über die Felder heranstrich und ihren Weg zu dem finster ausblickenden Wetterkreuz richtete. Stillschweigend sammelten sie sich dort, und schon war eine ansehnliche Schaar

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_066.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)