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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sich der Beifall, die Zuschauer jubelten, und als der Vorhang fiel, dröhnte das Haus von ihrem begeisterten Applaus. Ich wurde gerufen und mit Blumen und Kränzen überschüttet. Ein Lorbeer, von schöner Hand geworfen, fiel zu meinen Füßen, ich hob ihn auf, um ihn meiner Mutter zu bringen. Erst jetzt dachte ich wieder an sie und bedauerte, daß sie nicht Zeugin meines ersten, großen Triumphes gewesen.

„Eine unnennbare Sehnsucht nach ihr hatte mich ergriffen; ich gönnte mir nicht so viel Zeit, um meine Kleider abzulegen. In der Garderobe des Prinzen, nur mit meinem Mantel bedeckt, stürzte ich aus dem Theater auf die Straße hinaus. Eine unerklärliche Eile beflügelte meine Schritte, bald stand ich vor der kleinen Thür, die ich mit klopfendem Herzen öffnete. Den Kranz hielt ich in meinen Händen, um sie damit zu überraschen.

„Sie lag auf ihrem Bette und schien zu schlafen. Ich wunderte mich nicht wenig, da sie sonst immer wach zu bleiben und mich zu erwarten pflegte, bis ich aus dem Theater zurückkam, um mit mir zu plaudern. Um sie nicht zu stören, schlich ich auf den Zehen an ihr Bett, auf das ich leise meinen Lorbeer legte. Ich konnte mich jedoch nicht enthalten, einen Kuß aus ihre Hand zu drücken; sie fühlte sich eisig und erstorben an. Ich erschrak, ein furchtbarer Gedanke durchzuckte mich plötzlich. Wenn sie jene verunglückte Frau wäre?

„Ich wollte mir Gewißheit verschaffen; an allen Gliedern bebend, griff ich nach der Nachtlampe, welche auf dem Tische stand, und leuchtete ihr in das treue Angesicht; es war mit Blut bedeckt und leichenblaß.

„Mutter!“ rief ich schluchzend vor innerer Angst.

„Sie antwortete nicht, Alles still!

„Mutter!“ wiederholte ich lauter, aber sie blieb stumm.

„Mein Rufen weckte sie nicht mehr; sie war – todt.

„Ich legte „den ersten Kranz des Künstlers“ auf den Sarg meiner Mutter. Seitdem weckt der Lorbeer nur trübe Erinnerungen; ich habe ihn zu theuer mit dem Liebsten erkauft, was ich auf Erden besessen habe.“

„Das ist des Künstlers Loos,“ sagte Eckhof tief ergriffen und reichte Beck die Hand, mit der andern eine Thräne leise trocknend.

Ernst und still traten die Freunde im milden Glanz des Mondlichts ihren Rückweg nach Gotha an.

M. R.


Russische Reiseskizzen.
Die Petersburger Droschke.
Von A. Stahlberg.

Das Reisen nach Petersburg wird Mode werden, sobald eine directe Eisenbahnverbindung dahin das Langweilige einer Landreise erleichtert. Dann werden meine Landsleute in Deutschland die Freuden und Leiden der schönen Hauptstadt kennen lernen, vor Allem aber – da man in Petersburg immer fährt – die Freuden einer Droschkenfahrt.

Wer an das trauliche Halbdunkel einer viersitzigen Berliner Droschke mit ihren roth- und weißgestreiften Kattunüberzügen, dem Anscheine nach einen feinen Tuchüberzug verbergend, gewöhnt ist, dies ehrwürdige Gefährt, welches selbst dem tarifswidrigen Gewichte eines Berliner Bäckermeisters und seiner nicht minder gewichtigen Ehehälfte nicht weicht, ja sogar ohne besondern Kraftaufwand die Schwere der ganzen Familie eines hinterpommerschen Pachters bei ihrem Alles bewundernden Umzuge durch die Residenz aushält, der wird freilich erst vorher noch einmal gründlich überlegen, ehe er seine irdische Hülle einer Petersburger Droschke anvertraut.

Dieselbe Species. Beide sind geschaffen, um dem Menschen den Wandel hienieden zu erleichtern. Beide werden von einem, in der Regel nur noch gemäß einer allen Gewohnheit nothdürftig zusammenhaltenden, und mit dem classischen Namen „Droschkengaul“ belegten Vierfüßler, mehr oder weniger mühsam, je nach dem Gewichte ihres Inhaltes, fortbewegt. Beide werden durch einen Kutscher dirigirt, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, seinen Herrn so viel wie möglich, trotz Droschkenmarken und der über jeder Fahrkarte in großen Lettern gedruckten ominösen Worte: „Kein Fuhrgeld hat der Fahrgast zu zahlen etc.“ zu betrügen. Beide haben eine gewisse Nummer und können auf einem Bureau belangt werden. Und doch, welche Verschiedenheit!

Ich sage, Jeder, der noch etwas darauf gibt, seine Gliedmaßen so unversehrt wie möglich zu erhalten, wird es reiflich überlegen, ehe er dieselben einem Petersburger Droschkenkutscher zur Beförderung übergibt.

Auf vier Rädern, ungefähr so groß, daß sie einem nur einigermaßen abgewachsenen Schulknaben als Brummkreisel dienen könnten, hängt zwischen vier stark gebogenen [O]-Federn ein ungefähr drei Fuß langes und zehn Zoll breites Bret, mit einem Polster versehen, welches in Anbetracht der verschiedenen Klumpen, die sich durch das Zusammenballen des zum Ausstopfen verwandten Heues gebildet haben, den Eindruck macht, als setze man sich auf einen mit faustgroßen Kartoffeln gefüllten Sack. Rechts und links ein Kothbret, welches indessen nur genügt, um den hochaufspritzenden Koth nicht ganz bis an die Halsbinde kommen zu lassen. Wo kommt da der Platz her? wird ein Jeder fragen, und wahrlich, es bedarf der ganzen Schärfe einer mathematischen Eintheilung, um dies zu Wege zu bringen.

Vor allen Dingen sitzt der Kutscher, oder er hängt vielmehr auf einem Theile dieses Bretes; seine Beine, in ein Paar ungeheuren Juchtenstiefeln steckend, welche die Bekanntschaft einer Bürste auf das Entschiedenste abzulehnen scheinen, baumeln vorne, ungefähr sechs Zoll über der Erde frei in der Luft herum, nur dann eine bestimmte Direction annehmend, wenn er seinem kleinen mageren Gaule als Aufmunterung einen ziemlich derben Tritt unter den Schwanz versetzt; denn das russische Pferd wird nicht, wie der moralisch so tief gesunkene Berliner Droschkenklepper, mit der Peitsche dirigirt; ein freundschaftliches Wort genügt ihm, und der Fußtritt ist eben nur die Quintessenz dieser Freundschaft. Es ist ungefähr damit so, wie wenn der hinterpommersche Hans, nach dem Sprüchworte: „Spaß muß sein“, seine Trine mit der Heugabel kitzelt.

Also der Kutscher sitzt. Jetzt kommt der Fahrgast.

Er setzt den einen Fuß auf den untern Theil des Kothflügels, der bei dem Mangel an Raum zu gleicher Zeit die Dienste eines Trittes versehen muß, doch so wie er den andern Fuß nach sich zieht, neigt sich das ganze Gefährt sammt Kutscher und Zubehör auf die Seite, und er muß sich nun, um das so gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen, schleunigst mit einem kühnen Sprunge in die Mitte des Bretes zu bringen suchen. – Gelingt ihm dies, so ist er für den Augenblick geborgen, verfehlt er aber nur um einen Zoll breit die Mitte, so hat er das Vergnügen, mit der Nase auf der andern Seite in den Koth zu fahren, und muß, falls er dennoch bei seinem Vorsatze, sich auf diese Art befördern zu lassen, beharrt, einen neuen Anlauf nehmen, mit der Aussicht nicht besser als das erste Mal zu reussiren.

Doch ich setze den günstigsten Fall voraus, d. h. man sitzt endlich, alle Equilibristik aus seinen Knabenjahren zusammenraffend, und man hat das Glück allein zu sein, ohne einen guten Freund, denn man muß nicht etwa denken, daß dieses Gefährt für einen Menschen allein erbaut worden ist. Zwei, ohne den Rosselenker, haben nach russischer Berechnung bequem darauf Platz; nun, und wenn’s drei sind, so ist der edle Fuhrmann bescheiden genug, sich nur mit einigen Quadratzoll Platz zu begnügen. Man sieht also, daß eine Person wie auf einem Throne sitzen muß. – Dies ist aber nur die Einleitung der uns erwartenden Qualen.

Der Bestimmungsort wird genannt, der Kutscher nickt freundlich dem Fahrgaste zu (hierin dem Berliner Droschkenkutscher, der seinen Gast stets mit einer mürrischen Miene empfängt, als wolle er sagen: „Na, Du hätt’st mich auch in Ruhe lassen können!“ durchaus unähnlich), hat ein freundliches Wort, von einem kräftigen Fußtritte begleitet, für sein edles Roß, und fort geht’s mit rasender Schnelligkeit durch die grundlosen Straßen über Berge von Steinen, die man hier Pflaster nennt, durch Löcher und Pfützen, über

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_055.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)