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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sein Talent und seine Liebenswürdigkeit erwarb. An Beifall und an goldenem Gewinne fehlte es ihm nicht, aber der sorglose Künstler verstand es nicht, das Erworbene festzuhalten. Er theilte stets mit seinen Freunden großmüthig das Letzte, was er besaß.

Nach langer Wanderung ruhte er wieder einmal in Trachenberg, wo er stets mit offenen Armen bei den fürstlichen Freunden aufgenommen wurde, von seinen beschwerlichen Kreuz- und Querzügen aus. Dort überraschte ihn auch der Ausbruch der preußischen Märzrevolution und die mächtige Bewegung des Jahres 1848. Die nothwendigen Verirrungen der Zeit ließen den stets liberalen und freisinnigen Holtei als einen entschiedenen Gegner der Demokratie erscheinen und trugen ihm, wenn auch mit Unrecht, den Ruf eines „Heulers“ ein, worüber er selbst am meisten gutmüthig lächelte.

Seitdem lebt Holtei abwechselnd in Wien oder in Grätz bei seiner Familie, vorzugsweise mit literarischen Arbeiten beschäftigt. Aus dem reichen Schatze seiner theatralischen Erinnerungen und seines eigenen Wanderlebens schöpfte er seinen trefflichen Roman „die Vagabunden“, welchem in rascher Folge „Christian Lammfell“, „Ein Schneider“, und mehrere größere und kleinere novellistische Werke folgten, in denen sich ein reiches Gemüthsleben, ein psychologisch scharfer Blick und ein bedeutend realistisches Talent verrathen. Wie früher als dramatischer Schriftsteller, hat er sich jetzt als Novellist in kurzer Zeit eine hervorragende Stellung und einen wohlverdienten Ruf erworben. Außerdem veröffentlichte er neue Sammlungen seiner Gedichte, „die Stimmen des Waldes“, in denen sich ein gesunder Sinn für Natur und ein tiefes Gemüth bekundet; ferner vermehrte er beträchtlich seine „schlesischen Gedichte“, welche in einer neuen Auflage ebenfalls bei Trewendt erschienen sind.

Als Dichter besitzt Holtei eine seltene Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit, eine wahrhaft bewunderungswürdige Leichtigkeit im Schaffen, der nur die Tiefe und der Fleiß gebricht, um stets Vollendetes zu haben. Seine dramatischen Arbeiten behaupten sich noch heute auf dem Theater; sie haben die Directoren reich gemacht und den Verfasser arm gelassen, was nur in Deutschland möglich war und zum Theil noch ist. Holtei’s Liederspiele sichern ihm eine Popularität, wie sie kein zweiter Dichter besitzt; sie werden vom Volke gesungen und sicher nie vergessen werden.

Nicht minder groß sind seine Verdienste um den deutschen Roman, dem er sich nur zu spät zugewendet hat. Seine „Vagabunden“ sind in ihrer Art ein Meisterwerk voll ursprünglicher Frische und mit köstlichem Humor durchwebt.

Als Vorleser nimmt er nächst Tieck den ersten Rang ein; selbst in Paris fand sein großes Talent Anerkennung, und der berühmte Benjamin Constant stattete Holtei seinen Dank dafür ab, daß er ihm die historischen Dramen Shakespeare’s aufgeschlossen und erst zugänglich gemacht habe.

Als Mensch zählt Holtei zu den liebenswürdigsten Persönlichkeiten; sein reiches Gemüth, seine nur zu oft getäuschte Gutmüthigkeit, selbst seine grenzenlose Sorglosigkeit verrathen ein treffliches, nur zu weiches und empfängliches Herz. Selbst seine Schwächen und Fehler, die er mit rührender Offenheit eingesteht, sind nur Flecken und Auswüchse einer edleren Natur, oder einer verfehlten Erziehung zuzuschreiben. Bezaubernd in der Unterhaltung erschließt er hier die ganze Fülle seines eigensten Wesens; man muß ihn lieben, wenn man ihn sieht und sprechen hört. Kein Schriftsteller in Deutschland zählt in allen Ständen so viele persönliche Freunde wie Holtei. Wo er anklopft und sein ehrliches, gutmüthiges Gesicht mit dem langen, graumelirten Barte zeigt, ist er willkommen bei Jung und Alt; denn wo er erscheint, ob als Mensch oder Schriftsteller, verbreitet er jene gemüthliche Heiterkeit, die trotz aller getäuschten Hoffnungen und traurigen Erfahrungen der Grundzug seiner Natur und der Zweck seines Lebens scheint.

M. R.


Das Nervensystem.
Nerven, Nervenknoten (Ganglien), Rückenmark, Gehirn.

Wo man an einem Geschöpfe Zeichen von Empfindung, Willen und willkürlicher Bewegung, von Gedächtniß und Verstand wahrnimmt, da wird man stets auch im Körper dieses Geschöpfes Organe antreffen, mit deren Hülfe jene Lebensäußerungen, aber immer nur durch Anregungen von außen oder innen, hervorgerufen werden. Nach der größern oder geringern Menge, sowie nach dem vollkommnern oder unvollkommnern Baue dieser Organe gehen jene Aeußerungen in höherem oder niedererm Grade vor sich; wo diese Organe ganz fehlen oder zur Arbeit untauglich geworden sind, da fehlen auch jene Aeußerungen. Es bilden nun diese Organe zusammen einen ziemlich complicirten Apparat, den man das Nervensystem nennt; er findet sich beim Menschen wie bei den Thieren und steht bei letzteren nur auf sehr verschiedener Stufe der Ausbildung, immer aber auf einer weit tieferen als bei dem Menschen. Doch ist dieses System auch bei den verschiedenen Menschenracen, Altern und Geschlechtern an Masse und Bau, und also auch in seiner Thätigkeit etwas verschieden. Man pflegt die Reihe von Vorgängen im lebenden Thier- und Menschenkörper, welche sämmtlich auf Thätigkeitsäußerungen des dem thierischen und menschlichen Organismus eigenthümlichen Nervensystems beruhen, „animalische Processe“ zu nennen und zu ihnen die Empfindung und Bewegung, sowie die Sinnes- und geistigen Thätigkeiten zu rechnen. Außerdem macht aber auch noch das Nervensystem, welches in seiner Einrichtung einem zwischen vielen Orten ausgespannten Telegraphennetze zu vergleichen ist, dadurch den Thier- und Menschenkörper zu einem innig verbundenen organischen Ganzen, daß es das harmonische Ineinandergreifen der Leistungen aller einzelnen Theile bewirkt.

Trotz dieser mannichfaltigen, durch das Nervensystem veranlaßten Processe ist die Masse desselben (die Nervensubstanz oder Neurine) in ihrer Grundlage doch blos aus zwei, aber nur durch das Mikroskop sichtbaren Formelementen, nämlich aus „Fasern“ und „Zellen“ aufgebaut, welche allerdings ganz bestimmte physikalische und chemische Eigenschaften besitzen, die aber, soweit die Forschung reicht, im Wesentlichen für jede Faser und jede Zelle dieselben sind. Für sich allein können also jene Elemente nicht die Bedingungen der Mannichfaltigkeit in den animalischen Processen enthüllen, wahrscheinlich aber in Folge der eigenthümlichen Verbindungen mit einander und mit andern Organen.

Die Nervenfasern, oder richtiger Nervenröhren, sind feine (gröbere und feinere, etwa den viertausendsten Theil eines Pariser Zolls im Durchmesser haltende), weiche, runde, elastische Fäden von verschiedener Dicke, die entweder markhaltige oder marklose sind. Die ersteren bestehen aus drei ganz verschiedenen Gebilden, nämlich aus einer äußerst zarten Hülle (Scheide), aus einer im Mittelpunkte gelegenen runden oder platten, weichen, aber elastischen Faser (der centralen oder Axenfaser) und aus einer zwischen Scheide und Axenfaser befindlichen zähflüssigen, ölartigen, fettreichen, weißen Schicht (Nervenmark oder Markscheide). Den marklosen Nervenröhren, welche in weit geringerer Menge als die markhaltigen im menschlichen Körper angetroffen werden, fehlt das zähe ölige Nervenmark. – Die Nervenzellen (Ganglienkugeln) sind größere oder kleinere bläschenartige Körperchen mit einem feinkörnigen, festweichen, oft gefärbten Inhalte und einem bläschenartigen Kern. Ihrer Form nach gibt es runde, spindelförmige und sternförmige Nervenzellen. Sie bestehen entweder für sich allein, oder hängen durch kurze Ausläufer und faserförmige Fortsätze unter sich zusammen, oder sie gehen direct in Nervenröhren über. Nur durch Vermittelung solcher Zellen treten Nervenröhren mit einander in Verbindung, niemals unmittelbar durch Verschmelzung. – Da wo Nervenröhren den Hauptbestandtheil der Nervensubstanz ausmachen, sieht dieselbe weiß aus, d. i. die weiße Nervenmasse, wo dagegen zahlreiche Nervenzellen bei einander liegen, bildet sich graue Nervensubstanz. An gewißen Stellen des Körpers ist nun die eine oder die andere dieser beiden Nervensubstanzen, oder auch beide mit einander vereinigt, in größerer Masse angehäuft. So findet sich ein großer rundlicher Klumpen von grauer und weißer Nervenmasse in der Schädelhöhle des Kopfes unter dem Namen „Gehirn“ vor, während jene beiden Substanzen im Canale der Wirbelsäule das strangförmige „Rückenmark“ aufbauen. Die Nervenröhren bilden dagegen, indem sich eine größere oder geringere Anzahl derselben an einander anlegt und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_039.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)