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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

stand, so war doch eine Regelmäßigkeit nicht zu verkennen, und auf dem Meridiane des Caps der guten Hoffnung ging das Thier bereits um zwei Uhr Nachmittags zu Bett, und stand um zwei Uhr Morgens auf. Bei dieser Zeit blieb es, so lange der Orang-Outang noch lebte, obwohl wir später noch zwei Stunden Zeit veränderten, und es war dies um so auffallender, als man sich keine rechte Erklärung davon[WS 1] zu geben vermochte. Hätte der Instinct des Thieres genau die zwölf Stunden des Wachens und Schlafens innehalten können, so müßte der Orang-Outang am Cap der guten Hoffnung um zwölf Uhr Mittags zur Ruhe gegangen sein, da der Zeitunterschied zwischen Java und dem Cap sechs Stunden beträgt. Statt dessen ging er um zwei Uhr zu Bett und verblieb dabei, trotz dem wir noch weitere zwei Stunden Zeit vorrückten. Was waren also die Gründe dieser sonderbaren Erscheinung? Ich habe sie nicht entziffern können.

Außer den erwähnten Kokosnüssen waren gekochtes Salzfleisch, Mehl und Sago die Lieblingsspeisen des Orang-Outang. Wo er irgend des ersteren habhaft werden konnte, wandte er alle mögliche List an und während der Mahlzeiten mußte er in der Kajüte angekettet werden, um nicht plötzlich mit den langen Armen oder Beinen auf dem Tische zu erscheinen und mit einem eben so geschickten als kühnen Griffe die ganze Fleischportion zu stehlen. Wenn er sie einmal gefaßt halte, war es unmöglich, sie ihm wieder fortzunehmen. Er ließ sich schlagen, aber die Beute gab er nicht wieder los und vertilgte mit Leichtigkeit drei bis vier Pfund Fleisch auf einmal. Um sich Mehl zu verschaffen, stattete er täglich einen Besuch in der Küche ab, wußte jedoch jedesmal eine augenblickliche Abwesenheit des Kochs zu benutzen, um die Mehltonne zu öffnen, einige tüchtige Hände voll zu nehmen und sich letztere an seinem Schädel abzuwischen, so daß er stets gepudert zurückkam. Dieser Mehldiebstahl wurde ihm jedoch eines Tages unangenehm verleidet. Der Koch hatte kurz bevor der Orang-Outang in der Küche erschien, den großen Theekessel vom Feuer ab und auf den Fußboden gesetzt. Bobi, so wurde das Thier genannt, kam, nahm den Deckel von der Mehltonne, fand dieselbe aber zu seinem Aerger so leer, daß er kaum genug hatte, um sich den Kopf einzupudern. Wahrscheinlich aus Rache für diese Täuschung wollte er dem Koch einen Possen spielen, schaute vorsichtig umher, ob Niemand gegenwärtig sei, und drehte rückwärts, gegen den Kessel gekehrt, dessen Krahn auf. Er hatte jedoch nicht berechnet, daß der Ausläufer seines Rückens sich unter dem Krahn befand und wurde plötzlich durch das kochende Wasser daran erinnert. Mit einer Eilfertigkeit, wie ich sie früher und später nie an ihm wahrgenommen, stürzte Bobi jetzt aus der Küche nach dem Hinterdeck und in die Kajüte hinunter, vermied es jedoch fortan sorgfältig, der ersteren sich wieder zu nähern.

Zweimal wöchentlich stattete er den Matrosen in ihrem Logis seinen Besuch ab, nämlich Dienstags und Freitags, sobald acht Glas (12 U. Mittags) geschlagen wurde. An diesen Tagen aßen die Leute Sago mit Zucker und Zimmt, und er verfehlte nie, sich dabei zu Gast zu bitten. Sonst ging er selten freiwillig in das Logis, obwohl er bei den Matrosen sehr beliebt war und von einem derselben Stunden lang wie ein Kind umhergetragen wurde. Ebenso regelmäßig stellte er sich um zwei Uhr in der Kajüte ein, um an unserm Tische Theil zu nehmen, obwohl er jedesmal dabei festgekettet wurde. Beim Essen war er sehr manierlich und gegen die Gewohnheit der Affen reinlich. Ich gab ihm zur Suppe stets einen Löffel in die Hand, ohne ihn dahin bringen zu können, daß er denselben richtig benutzte. Er tauchte ihn einige Male verkehrt ein, leckte ihn ab, legte ihn aber bald bei Seite, um den Teller an den Mund zu setzen und die Suppe, ohne einen Tropfen zu verschütten, auszutrinken.

Spirituosen liebte er ungemein und er erhielt auch jeden Mittag sein Glas Wein, das er in einem Zuge austrank oder vielmehr zunächst in seine Unterlippe goß. Diese wulstige Fleischmasse konnte er durch Vorstrecken in einen drei Zoll langen und an der Basis eben so breiten Löffel verwandeln, der Raum genug hatte, um ein ganzes Glas Wasser aufzunehmen, und nie trank er Wasser oder Wein, ohne dies eben so sonderbare, als komische Manöver auszuführen. Nachdem er das betreffende Glas sorgfältig berochen, construirte er den Lippenlöffel, goß das Getränk hinein und schlürfte es sehr bedächtig und langsam zwischen den Zähnen hinunter, als ob er sich hätte einen recht dauernden Genuß davon verschaffen wollen. Oefter währte dies Schlürfen zehn Minuten, und erst dann hielt er das Glas von Neuem hin, um sich eine zweite Portion auszubitten. Nie machte er ein Glas oder ein Gefäß von Porcellan entzwei, in dem ihm Trank und Speise gereicht wurde, sondern setzte es behutsam fort. Er unterschied sich dadurch vortheilhaft von den übrigen Affen, die alles Geschirr sofort zerschlugen.

Was man von dem Aufrechtgehen des Orang-Outang erzählt, scheint mir Fabel zu sein. Der meinige that es nie, sondern setzte die beiden Hände auf den Boden und schob mit den Beinen hindurch, gerade wie an den Füßen gelähmte Menschen sich mit Krücken fortbewegen. Nur ein einziges Mal habe ich gesehn, daß er sich an der Schiffswand aufrichtete und einige Schritte ging. Dabei hielt er sich jedoch, wie ein Kind, das gehen lernt, mit beiden Händen fest.

Er kletterte während der Reise sehr selten in der Takelage umher, und dann ungemein langsam und bedächtig. Gewöhnlich ging er nur nach oben, wenn ein kleiner Lampun, sein Liebling, wegen einer Unart gestraft werden sollte. In diesem Falle retirirte sich der kleine Delinquent regelmäßig unter den Bauch des Orang-Outang, klammerte sich dort fest, und Bobi spazierte mit seinem kleinen Schützlinge in die Takelage hinauf, bis die Gefahr verschwunden schien.

An Stimmlauten besaß Bobi nur zwei. Ein schwacher pfeifender Kehllaut, bei dem jedoch die Lippen geschlossen blieben, bezeichnete sowohl Freude wie Schmerz und war das einzige Kennzeichen seiner Gemüthsstimmung. Der Ausdruck seiner Gesichtszüge blieb sich ewig gleich, und nie war daran zu merken, ob er heiter oder trübe gestimmt war. Wenn er sich sehr fürchtete, stieß er ein schreckliches Gebrüll aus, das an Ton und Stärke dem Angstgebrüll einer Kuh sehr ähnlich war. Diese Laute gab er während der Reise nur zwei Mal von sich, jedoch so anhaltend, daß ich ihn kaum zu beruhigen vermochte. Das eine Mal war eine nahe beim Schiffe vorbeiziehende Heerde Pottfische die Veranlassung dazu, die er von dem großen Boote aus erblickte. Das zweite Mal flößte ihm der Anblick verschiedener Wasserschlangen Entsetzen ein, die ich in Stopfflaschen von Java mitgebracht und eines Tages auf das Deck genommen, um den Spiritus zu wechseln. Wahrscheinlich sind Schlangen seine Todfeinde, und er mag auch wohl die schwarzen Rücken der Pottfische für solche oder für Krokodile angesehen haben.

Als wir uns nach Umschiffung des Caps der guten Hoffnung abermals den Tropen näherten, hielt er sich wieder mehr auf dem Deck auf; seine anfängliche Munterkeit kam aber nicht wieder, und auch nur an sehr heißen Tagen erschien er ohne Decke hinter sich. Er war jedoch stets gesund und litt nur bisweilen an Verstopfung, wenn er viel Salzfleisch genossen hatte. Schon befanden wir uns vor dem Eingange des englischen Canals und ich gab mich der Hoffnung hin, ihn lebendig nach Hamburg zu bringen, als ein unglücklicher Zufall seinem Leben ein Ende machte.

In der hintern Sitzbank der Kajüte waren die Wein- und andern Rumflaschen verstaut und am Tage vorher umgepackt. Der Kellner hatte dabei acht bis zehn volle Rumflaschen auf den Boden der Bank und etwa vierzig leere Bouteillen in Stroh darüber gelegt, ohne später die Bank, wie es sonst der Fall war, zu verschließen. Bobi hatte von seiner Lagerstätte aus dies Geschäft mit angesehen, schien jedoch mit seinem ewig unveränderlichen Gesicht keine Notiz davon zu nehmen und that, als ob ihn die Rumflaschen gar nichts angingen. Wie schon bemerkt, legte er sich um diese Zeit um zwei Uhr zu Bett und stand eben so früh auf. Ich hatte in der folgenden Nacht die Mitternachtswache und hörte gegen drei Uhr ein Geräusch in der Kajüte, als ob Jemand mit Flaschen klapperte. Als ich durch das einfallende Licht hinunterblickte, sah ich beim Schimmer der auf dem Tische brennenden Nachtlampe wirklich eine Gestalt bei der Spirituosenbank beschäftigt und eilte deshalb hinunter. Wie erstaunte ich aber, als ich meinen Orang-Outang mit einer Rumflasche vor dem Munde traf, die er, als ich sie ihm fortriß, fast gänzlich geleert hatte! Vor ihm lagen sämmtliche leere Flaschen behutsam in Stroh gewickelt; die endlich gefundene volle war auf sehr geschickte Weise von ihm entkorkt und er hatte seinem Verlangen nach Spirituosen völlig Genüge thun können.

Etwa zehn Minuten nach diesem Vorgänge wurde das Thier plötzlich lebendig. Er sprang auf Stühle und Tische, machte die lächerlichsten Bewegungen und Capriolen und gebehrdete sich mit steigender Lebhaftigkeit wie ein betrunkener und zuletzt wie ein wahnsinniger

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: daven
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_027.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)