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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Er schied ohne Kampf in demselben Zimmer, welches Napoleon einst als Sieger bewohnt, wo er von der Größe und der ewigen Dauer einer neu zu begründenden Dynastie geträumt; an demselben Tage, wo dem Sohne die Nachricht von dem Tode seines Vaters verkündigt wurde.

Die Leiche wurde in der Capelle der Hofburg ausgestellt; ganz Wien trauerte und drängte sich, die sterblichen Ueberreste zu sehen. Der Todte lag in seinem prächtigen Sarge, bekleidet mit der Uniform seines Regimentes, zu Häupten stand die silberne Urne, welche sein Herz enthielt, zu Füßen lag ihm der Degen, den er nie ziehen durfte. Seine Züge hatten im Tode eine wunderbare Aehnlichkeit mit dem Marmorgesichte seines Vaters angenommen.

In der Gruft „bei den Kapuzinern“, wo die Glieder der kaiserlichen Familie in ihren ehernen Särgen ruhen, wurde nach der feierlichen Einsegnung auch der Herzog von Reichstadt beigesetzt. Der Oberhofmeister, Graf Czernin, stieg mit dem Sarge hinab, den er, nachdem vor Zeugen noch einmal die Gegenwart der Leiche bekundet war, mit zwei Schlössern verschloß. Der eine Schlüssel wurde den frommen Mönchen, der andere dem Schatzkammeramte übergeben.

Dort ruht der Sohn Napoleons in der Nähe seiner Ahnen, der großen Maria Theresia und ihres Sohnes, Joseph des Zweiten.

Der Tod verklärte den unglücklichen Jüngling, dessen Leben nur eine Kette von schweren Leiden und bitteren Enttäuschungen war. Die Poesie schmückte ihn mit einer Glorie und bekränzte sein Grab mit den Immortellen der Erinnerung.

Er starb ohne Testament, da er Nichts sein eigen nannte; aber er hinterließ die Erbschaft seiner Hoffnungen. Auf seinem Schlosse zu Arenenberg erhielt der Thurgauer Bürger, der italienische Revolutionair, der politische Träumer einer „reinen und einfachen Republik“, Louis Napoleon, die Nachricht von dem Ableben des „Königs von Rom.“

Er trat die Erbschaft des „modernen Hamlet“ an; der Tod des Herzogs von Reichstadt war ein Wendepunkt in seinem Leben. Kühner und glücklicher griff er nach der Kaiserkrone, bis es ihm gelang, sie auf sein Haupt zu setzen. Auch er hofft seine Dynastie für ewige Zeiten begründet zu haben, seinem Nachfolger einst den Thron von Frankreich zu hinterlassen.

Wird sein Sohn glücklicher sein, als der Sohn und Erbe des großen Napoleon?

Die Geschichte, welche die Lehrerin der Fürsten und Völker ist, wird ihm Antwort geben.

M. N.




Neu-Deutschland unter dem Aequator.

(Die Ecuador-Land-Compagnie.)

Das eroberndste Volk sind die Deutschen. Keine Nation, keine Regierung der Welt kann sich so vieler festen und sichern, gedeihenden und vergrößernden Colonien rühmen, als Deutschland. Daß sie von Mutter- und Vaterländern zu Hause nicht „beschützt“ werden, ist just ihre Kraft und Bedeutung. Sie stehen und gedeihen überall, ohne Waffen und Kriegsschiffe und diplomatische Häkelei, aus eigenem positivem Verdienst. Der Ackerbau, der Weinbau, die Schweinemast, die Tischlerei, der Unterricht in Wissenschaften, Künsten und Sprachen, das Turnen, das gesellige Kneipen u. s. w. sind so verbreitete und anerkannte Verdienste der Deutschen in Amerika, daß kein gebildeter Yankee mehr frühere Spötteleien über die „Deutschen“ wiederholen oder billigen mag. Drei Viertel der russischen Cultur wird bis auf den Thron von Deutschen vertreten. Die fashionableste Umgangssprache in England ist vom Hofe her die deutsche. Die Musterackerwirthschaft, Schule und Unterricht in Australien sind in den Händen der Deutschen. Die lebendige Mauer der Civilisation in der Cap-Colonie gegen die Kaffern besteht aus deutsch-englischen Fremden-Legionären. Das erste californische Schiff, das nach der neuen russischen Amur-Civilisation abging, wurde von dem deutschen Kaufmanne Esche ausgerüstet. Barth und Overweg haben das ganze nördliche Central-Afrika geöffnet.

Wir könnten noch lange so fortfahren, aber nicht Bekanntes und Begründetes wollen wir hier zur Sprache bringen, sondern den neuen, von einem Deutschen in London begründeten und geleiteten Plan zur Eroberung eines ganzen Landes, das größer als ganz Deutschland ist, alle Klimate der Welt in sich vereinigt, die erhabensten Gebirge, darunter den Chimborasso, und die gewaltigsten Vulcane auf seinem Rücken trägt und von Gold und Kostbarkeiten aller Art quillt und fleußt.

Es ist die Republik Ecuador, die Aequator-Republik, zwischen Neu-Granada und Peru, Brasilien und dem stillen Oceane, 15,385 Geviertmeilen als Fläche, mit den gewaltigen Gebirgen über hundert mehr umfassend, also 3923 Geviertmeilen mehr, als ganz Deutschland[1]. Doch die Größe macht’s nicht. Die ungeheuersten Gebirge Südamerika’s, Wüsten und Wälder und äquatorverbrannte Tief-Ebenen müssen mit mehreren Tausend Quadratmeilen als ganz werthlos abgezogen werden. Aber dann bleibt immer noch das malerischste, paradiesischste Land Südamerika’s übrig, mit allen möglichen Klimaten und Contrasten der Erdoberfläche. Der gewaltigste aller Ströme, der Amazonenstrom, hier unter dem Namen Maranon entspringend, bewässert mit vielen Nebenflüssen eine dichtbewaldete Tiefebene im Osten und Süden. Dampfschiffe kommen vom atlantischen Meere bis Nauta zwischen 4° und 5° nördlicher Breite und 73° und 74° w. Länge von Greenwich. Der westliche Theil Ecuador’s ist Hochland der Cordilleras de los Andes, der südlichste eine Verkettung verschiedener Cordilleren-Züge zu dem Loxa-Gebirgsknoten, der östliche in’s Land hinein, wie der westliche nach dem stillen Oceane herunter schnelle, jähe, höchst malerische Abdachung und Auslauf in’s Meer oder dichter Wald. Auf diesen verschiedenen Abdachungen schichten sich die Eigenthümlichkeiten und Producte aller Klimaten empor. Beinahe unter dem Aequator sieht man aus der Gluth senkrecht niederbrennender Sonne in den ewigen Schnee der Cordillerenhäupter empor, die sich von zwölf- bis mehr als zwanzigtausend Fuß hoch nach dem Trachyt-Dome des Chimborasso zu aufschichten. Dadurch sind Terrassen von der eigenthümlichsten Beschaffenheit und Größe entstanden, Hochplateau’s und tiefe Thäler, acht bis zehntausend Fuß über dem Meeresspiegel und ihrer Lage nach mit einem ewigen Frühling üppigster Vegetation und mit einem Culturleben – ohne Gleichen auf der ganzen Erde. Das Centrum des ungeheueren Landes zieht sich um die Hauptstadt Quito auf dem dreiundvierzig Meilen langen und sieben Meilen breiten, acht bis zehntausend Fuß hohen Quito-Plateau. Der Aequator läuft ganz unmerklich durch diese italienisch heitern oder süddeutsch-fruchtbaren Paradiese, in denen die Sonne nie sticht, die Kälte nie beißt. Der ewige Schnee kühlt aus den unabsehbaren Höhen, die ewige Hitze, erstickend an der Küste und in den Waldebenen des Maranon, wärmt herauf, so daß sich Nordpol und Aequator fortwährend zu einer ewigen Milde und Fruchtbarkeit ausgleichen. Dies kommt auf der ganzen Erde nicht zum zweiten Male vor. Diese Quito-Hochebene, in der Ferne von den gewaltigsten Gebirgsformationen und den doppelten Gewölben theils erloschener, theils noch thätiger, 600 Quadratmeilen bedeckender Vulcane umgrenzt, ist ein paradiesisches Wunder von Gärten und Feldern, Städten und Dörfern, Viehweiden, Wiesen, Quellen, Flüssen, Seeen, Bergen und Thälern, aus denen noch neben der Blüthe des Lebenden mannichfache grandiose Denkmäler der alten Inka-Cultur, Tempel, Paläste, Mausoleen und Kunststraßen in noch trotziger Kraft hervorragen. Quito selbst, blos vierthalb Meilen südlich vom Aequator, breitet sich in einem malerischen Thale, 8954 Fuß hoch über der Meeresfläche – die höchste Stadt der Erde – am Fuße der Panecilla-Hügelkette und des 14,940 Fuß hohen Vulcans Pichincha wie ein Wunder auf einem fast stets vulcanisch zitternden Boden aus. Die Paläste, Kirchen und Klöster, die Universität und mehrere wissenschaftliche Anstalten, so wie Fabriken und Handelsverkehr nach und von dem großen Hafen Pailon, geben der Stadt mit 70,000 Bewohnern etwas Grandioses. Doch die meisten Nebenstraßen bestehen aus niedrigen Lehmhäusern, die von außen armselig aussehen, obgleich innen oft viel Luxus und Pracht herrscht. Man baute niedrig und dick, um sicherer gegen vulcanische Erschütterungen zu sein. Diese hören fast nie auf, so daß man sich eben so wenig darum


  1. Es sind hierbei allerdings große von Peru und Brasilien in Anspruch genommene Gebiete mit berechnet worden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_763.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2023)