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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

sich durch Bestechung oder auf sonst eine Weise in den Besitz der so wichtigen Schätze zu setzen; weil ihm aber zugleich auch Alles daran gelegen sein mußte, unentdeckt zu bleiben, hat er Zuflucht im Auslande gesucht und ist nun hier darauf bedacht, vorerst einen Theil der entführten Kleinodien zum Schein zu veräußern, um, ist sein Streich gelungen, sie später wieder an sich zu bringen. Ich vermuthe ferner, daß er sich hier nicht mehr für sicher hielt und daß er deshalb die sich ihm darbietende Gelegenheit, in sein Vaterland unerkannt zurückkehren zu können, mit beiden Händen ergriff. In dem Bedienten des Grafen Aurelio von Weckhausen vermuthet Niemand einen Marchese, vielweniger einen Prinzen, der sich mit dem Gedanken trägt, dereinst die Stufen eines Thrones zu besteigen!“

„Man muß den Grafen unter der Hand doch benachrichtigen, wer sein Begleiter ist,“ sagte der Domcapitular.

„Allzu große Eile dürfte dies nicht haben,“ meinte Bornstein. „Je länger wir schweigen, desto leichter wiegt sich der angebliche Marchese in Sicherheit, und das ist, was wir wünschen müssen. Höchst wahrscheinlich tauchen nach einiger Zeit andere Juwelen auf, die, wofür man Sorge getragen hat, alle an Simonides ausgeliefert werden. Das Verzeichniß und die Beschreibung der verschwundenen Schätze befindet sich ja in den Händen aller Juweliere. Es kann also, da man bereits einige Juwelen bestimmt ermittelt hat, nicht schwer fallen, noch andere dazu gehörige ebenfalls zu sammeln. Um den Grafen drücken mich andere Sorgen!“

„Ich bitte, sich offen gegen mich auszusprechen, meiner Nichte wegen!“

„Graf von Weckhausen ist reich, freigebig, ein Freund des Glanzes und Luxus. Er hat seiner jungen Gemahlin zu wiederholten Malen Versprechungen gemacht, die er eines Tages sicherlich hält. Wenn es ihm nun einfallen sollte, von dem Marchese einige jener Juwelen, die dem fürstlichen Schmucke entnommen sind, zu kaufen …“

„Von seinem Bedienten?“ unterbrach der Domcapitular den Gerichtsrath. „Ein Bedienter, der seinem Herrn Juwelen zum Kauf anbietet, würde sich selbst zum Diebe stempeln!“

„Der Tabuletkrämer ist kein Bedienter mehr, es wäre ja aber auch möglich, daß der Tabuletkrämer zum Landmanne, zum reichen Pachter oder zum Chef eines renommirten Handlungshauses würde, das außer andern Gegenständen auch Edelsteine zu verkaufen hätte.“

„Sollte diese Bemerkung eine tiefere Bedeutung haben?“ fragte der Domcapitular.

„Der Herr Graf hat es mir selbst mehr als einmal gestanden, daß Juwelen, überhaupt Kostbarkeiten seltener Art eine ungewöhnliche Anziehungskraft für ihn besitzen, und daß vorzugsweise diese Liebhabereie ihn veranlaßt habe, von einem großen genuesischen Handlungshause ältere Schätze dieser Art an Zahlungsstatt anzunehmen.“

„Jenes Haus ist durch Erbschaft in den Besitz der erwähnten Schätze gekommen.“

„So sagt man, neuerdings jedoch haben sich Zweifel erhoben.“

„Gegen den rechtmäßigen Erwerb der Kleinodien des erwähnten Hauses?“

„Man weiß nur, daß der Chef desselben flüchtig geworden ist.“

„Das Haus stand lange schon auf schwachen Füßen, und gerade dies veranlaßte den Gemahl meiner Nichte, auf den ihm gemachten Vorschlag so bereitwillig einzugehen.“

„Der Herr Graf hätte doch vorsichtiger sein sollen,“ sagte der Obergerichtsrath. „Aber freilich, wie konnte der vornehme, vertrauensvolle Mann wissen, daß man ihn betrog!“

„Betrog? Der Genuese betrog den Grafen?“

„Ich bitte, Herr Domcapitular, erfüllen Sie mir eine Bitte!“ sprach Bornstein mit größerem Ernste. „Es ist ein Freund, der zu Ihnen spricht!“

„Wenn ich es vermag, haben Sie über mich zu gebieten!“

„Sie haben ein Kästchen in Verwahrung, das die Gräfin von ihrem Gatten während seiner ersten Reise nach der Vermählung zum Geschenk erhielt. Das Kästchen ist von Ebenholz, trägt eine goldene Krone mit Brillanten verziert und enthält einen uralten, kostbaren Schmuck … Ich bitte, vertrauen Sie mir dieses Kästchen an! …“

„Halten Sie es in meiner Behausung für weniger sicher, als in der Ihrigen?“

„Ich würde es Dritten in Verwahrung geben.“

„Dem Juwelier Simonides? Er kennt es bereits.“

„Unter Verschluß des Gerichtes, glaub’ ich, wäre es noch besser aufbewahrt!“

Der Domcapitular fuhr entsetzt von seinem Stuhle auf, und die Bestürzung raubte ihm fast die Sprache.

„Was … soll das … bedeuten?“ stammelte er.

„Nichtswürdige, schlaue Betrüger haben den arglosen Grafen auf eine empörende Weise hintergangen und zu seinem größten Nachtheile dupirt,“ versetzte der Obergerichtsrath. „Zum Glück läßt sich aber Alles noch rechtzeitig wieder in Ordnung bringen. Der Graf ist reich, er wird also gern eine Summe opfern, um unnöthiges Aufsehen zu vermeiden. Jenes Kästchen ist geraubt, von ganz gemeinen Straßenräubern einer reisenden Herrscherfamilie gewaltsam entrissen worden. Simonides machte zuerst diese Entdeckung und setzte mich davon in Kenntniß, um Sie, Ihre Nichte und den Grafen in jeder Hinsicht zu schonen. Ich überzeugte mich von der Schuldlosigkeit des Letzteren und beschloß deshalb, eine schickliche Gelegenheit abzuwarten, um ihn einer höchst fatalen Lage zu entreißen. Die Zeit, zu sprechen, ist jetzt gekommen. Darum wiederhole ich meine Bitte. Man wird keine weiteren Nachforschungen anstellen, wenn das geraubte Kästchen der Familie wieder ausgeliefert wird und der Herr Graf durch einen Eid bekräftigt, daß er dasselbe von jenem genuesischen Hause an Zahlungsstatt erhalten, dessen Chef, betrügerischer Handlungen überführt, sich auf flüchtigen Fuß gesetzt hat, vielleicht aber auch in diesem Augenblicke schon in den Händen der Gerechtigkeit sich befindet.“

Der Ernst des Obergerichtsrathes, die Wärme, mit welcher er sprach, mußten dem Domcapitular die Ueberzeugung beibringen, daß der Fall ernst sei und allzulanges Besinnen unberechenbare Nachtheile haben könne.

„Sie haben mir noch nicht Alles mitgetheilt,“ sprach Rütersen, sich nach Kräften fassend. „Jener Betrüger ist entdeckt – der Graf selbst compromittirt … Lieber Himmel, was soll aus meiner armen, nichts ahnenden Nichte werden!“

„Man verfolgt die Spur des wahrscheinlichen Verbrechern, der Viele in großes Leid bringen dürfte,“ erwiderte Bornstein. „Graf von Weckhausen ist bis jetzt noch frei von jedem Verdacht; nur das Kästchen mit den Juwelen könnte, entdeckte man es im Besitz des Grafen, ihn wenigstens in Unannehmlichkeiten verwickeln.“

„Und wenn ich es Ihnen ausliefere … ohne des Grafen, ohne meiner Nichte Wissen, von wem hat es dann das Gericht erhalten?“

„Ein Juwelendieb, der auf der That ertappt wird und bei dem man eine Menge anderer derselben Familie angehörende Kostbarkeiten entdeckt, dürfte unschwer zu überführen sein, daß gerade dieser werthvollste Raub ihm ebenfalls zugehört. Sollte er aber leugnen, nun, so glaubt man ihm nicht.“

Noch zögerte der Domcapitular, unschlüssig, ob er das verhängnißvolle Kästchen, die erste werthvolle Liebesgabe Aurelio’s an Rosaura, dem Obergerichtsrath einhändigen sollte. Während er nachdenkend das Zimmer durchwandelte, klang die Glocke an der Thür des Corridor’s. Der Domcapitular blieb stehen und horchte mit angehaltenem Athem.

„Es ist mein Diener, den ich bestellt habe,“ sagte Bornstein.

„Er soll das Kästchen in Empfang nehmen. Bitte, zögern Sie nicht länger!“

Rütersen schloß seufzend seinen Secretär und reichte dem Obergerichtsrath den alterthümlichen Familienschmuck. Dankend nahm ihn dieser entgegen.

„Sie versprechen, den Grafen in keiner Weise zu compromittiren?“ fragte der Domcapitular.

„In keiner Weise, wenn er selbst nicht durch unzeitiges Prahlen die Gerichte herausfordert.“

Die Glocke klang abermals, und ein Bedienter trat ein. Er trug einen Teller, auf dem ein Brief lag. Der Domcapitular winkte, den Teller auf ein Tabouret zu stellen, was der Bediente that, worauf er sich wieder entfernte.

„Ich werde Ihnen diesen Freundschaftsdienst nie vergessen,“ sprach der Domcapitular zu Bornstein, „und damit der Graf nicht etwa zufällig von dem hier während seiner Abwesenheit Vorgefallenen durch Zeitungsmittheilungen Kunde erhält, werde ich ihn noch heute davon unterrichten.“

Der Obergerichtsrath, dessen Diener noch nicht angekommen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_742.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)