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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

von Habgier und Scheu betrachtete; es war darin eine ansehnliche Summe enthalten, bestimmt die Kosten für das Examen seines Sohnes zu bestreiten. Mit zitternder Hand erbrach er nach kurzem Schwanken das Siegel und nahm einen Funfzigthalerschein heraus, den er mit seinem Gewinnst bald wieder zu ersetzen hoffte. Nur als ein Darlehn betrachtete er diesen Raub, mit dem er sogleich nach der Ressource eilte, um auch ihn zu verlieren. Bald war die ganze Summe erschöpft und bis auf den letzten Heller verspielt. Mit Schrecken sah der Vater den Tag nahen, wo der Sohn dies Geld von ihm verlangte. Was sollte er beginnen?

In einer schlaflosen Nacht stieg der Hofrath leise aus seinem Bette, indem er einen furchtsamen Blick auf die neben ihm liegende Frau warf. Sie schlief.

Vorsichtig schlich er sich zu dem alten Schrank, einem Erbstück ihrer Mutter, wo sie, wie er wußte, das Geld sorgsam verwahrte, das zur Ausstattung der Tochter bestimmt war; er nahm den Schlüssel, der auf dem Nachttisch neben ihr lag, und öffnete geräuschlos das knarrende Schloß. Darüber erwachte die Frau; in der Dunkelheit konnte sie nicht ihren Mann erkennen.

„Diebe, Diebe!“ schrie sie laut. „Steinert, so wach doch auf!“

Er glaubte vor Scham in die Erde sinken zu müssen.

„Um Gotteswillen!“ rief er ihr zu. „Sei ruhig! Dein Geschrei wird noch das ganze Haus aufwecken.“

„Wie, Du bist es? Was thust Du bei dem Schrank?“

Er hatte nicht den Muth, ihr eine Lüge zu sagen, da sie ohne hin Alles errathen hatte, indem er in der bebenden Hand den geraubten Beutel hielt.

„Also dahin ist es mit Dir gekommen!“ sagte die unglückliche Frau im schmerzlichsten Tone.

Mit beiden Händen hielt er sein Gesicht bedeckt, so war er weinend zu ihren Füßen hingesunken.

„Kannst Du mir noch verzeihen?“ fragte er nach einer bangen Pause.

Sie wandte sich erschüttert ab und dachte nur an ihre ihre Kinder.

Eine tiefe Stille herrschte in dem Zimmer, nur unterbrochen von dem Stöhnen des reuigen Mannes. Endlich siegte das Mitleid in der Brust der edlen Frau; sie reichte ihm die Hand, welche er mit seinen Thränen und Küssen bedeckte.

Seitdem besuchte der Hofrath nicht mehr die Ressource und rührte keine Karte an. Der häusliche Friede wurde wieder hergestellt, und auch der alte Herr Laurenberg ließ sich von den Bitten seines Sohnes rühren, indem er endlich nach einem Jahre sich mit Steinert wieder aussöhnte und seine Einwilligung zu der Verbindung mit dessen Tochter gab. Zu der Hochzeit wurde der Ministerialdirector ebenfalls eingeladen und aus Rücksicht auf ihn eine Spielpartie arrangirt.

„Kommen Sie,“ sagte freundlich der Vorgesetzte zu dem Hofrath, „wir wollen unser altes Partiechen wieder machen.“

„Sie müssen mich schon entschuldigen,“ entgegnete dieser fest, „aber selbst ein unschuldiges Partiechen kann unter gewissen Umständen das Lebensglück eines Mannes zerstören. Ich habe einen Schwur gethan, keine Karte jemals zu berühren.“

Der Hofrath hielt sein Wort und fand einen reichen Ersatz für die sich selbst auferlegte Entbehrung in der schönsten Häuslichkeit. Wollte man seitdem wieder eine glückliche Familie nennen, so führte man nur das Steinert’sche Haus an, wo jetzt zwar nicht Karte gespielt wurde, aber dafür Eintracht und Zufriedenheit in reichsten Maße zu finden war.

M. R.




Aus dem Leben des Nilpferdes.
Von Dr. A. E. Brehm.


Unter den Schaugegenständen, welche die letzte Michaelismesse in Leipzig vereinigt hatte, fesselten mit vollem Rechte zwei junge lebende Nilpferde die allgemeine Aufmerksamkeit, wenn sie auch nicht alle Zeitungen beschäftigten, wie vor wenig Jahren das erste lebende Thier dieser Art, welches seit der Römer Zeiten nach Europa gebracht worden war. Ich glaube aber, daß die beiden Urweltsthiere von Niemandem mit größerer Theilnahme betrachtet worden sind, als von mir; denn ich habe in ihnen wieder einmal alte gute Bekannte aus Afrika wie liebe Freunde begrüßt, obgleich ich nicht gerade sagen kann, daß ich von ihnen in Afrika besonders freundschaftlich behandelt worden wäre. Jedoch die Erinnerung, welche durch sie wieder aufgefrischt wurde, brachte mir so viele freundliche Bilder mit, daß ich ihnen die Unbilden gern verzieh, welche mir andere ihrer Art zugefügt hatten, und mich mit ihnen so vertraut machte, als es möglich war. –

Vor allen übrigen Erdtheilen scheint besonders Afrika berufen zu sein, unseren Tagen Thiergestalten aus der märchenhaften Vorzeit in lebendigen Bildern vorzuführen. Aber man muß jetzt schon ziemlich weit in sein Inneres eindringen, ehe man ihnen, den Zurückgelassenen oder Uebriggebliebenen früherer Schöpfungstage, begegnet. Auch die recht eigentlichen Kinder des heiligen Stromes der Nordhälfte Afrikas haben sich aus dessen unterem Laufe entfernt und sind mehr den Quellenländern zugezogen. In Egypten leben nur noch wenige Krokodile in Angst und Sorge, daß die tödtende Kugel für sie wohl bereits gegossen sein könnte; und Ibis, der Bote des göttlichen Niles, hat sich gegenwärtig bis nach dem Sudahn zurückgezogen. Nur der altberühmte Ichneumon führt noch heut zu Tage, selbst in Unteregypten, ein recht beschauliches Leben: er hat sich dem Zeitgeiste gefügt. Krokodileier gibt es nicht mehr auszuscharren; deshalb spürt jetzt das kluge Thier den Hühnereiern um so eifriger nach, – und arge Verleumder in seinen Augen, zu denen auch ich leider mich zählen muß, wollen behaupten, daß diese ihm gegenwärtig weit besser schmeckten, als die Krolodileier ihm früher geschmeckt haben sollten; denn es mag nicht gerade leicht gewesen sein für unsern edlen Ichneumon, dieselben unter den Augen einer Krokodilmutter, welche oft sehr ungemüthlich sein kann, auszuscharren. So ist an den Grenzrändern Nord-Afrikas von der alten Herrlichkeit nicht viel übriggeblieben; dringt man aber tiefer in’s Innere des „Räthseldreiecks der alten Welt“ ein, dann zeigt sich der Erdtheil noch heut zu Tage in seiner ganzen Eigenthümlichkeit. Die viertausend Jahre alten Hieroglyphenbilder der Tempel Egyptens werden lebendig. Pavian und Nilgans, Krokodil und Ibis, welche gegenwärtig in der Nähe der Tempel ganz oder fast ganz fehlen, leben in größter Behaglichkeit und Ruhe unter den sich gleichgebliebenen Menschen des Innern; aber zu ihnen treten auch jene phantastischen Thiere, welche wohl immer mehr oder weniger in einer gewissen Zurückgezogenheit gelebt haben, jene Uebriggebliebenen, wie Elephant, Nashorn und Nilpferd. Mit der Bildung und Gesittung des Menschen vertragen sie sich nicht; daher sind sie bereits aller Orten, wo dieser zur unbestrittenen Herrschaft gelangt ist, der furchtbaren Feuerwaffe erlegen; aber, dort, wo nur die Lanze oder der Bogen den Mann bewehrt, stehen sie ihm noch heute feindlich gegenüber.

Alle größeren Ströme des Innern Afrikas – nur Afrikas – beherbergen noch gegenwärtig das Nil- oder Flußpferd (Hippopotamus amphibus, Linné); der Nil ebensowohl wie der Gabon, der Zambese sowohl wie der Niger. In Nubien ist es bereits als ausgerottet zu betrachten; denn nur selten zeigt sich eines nördlich der Gebirgskette von Rhexri, welche als die Südgrenze des Sonnenlandes gilt. Anders ist es im Ostsudan. Der Stadt Charthum (am Zusammenflusse des weißen und blauen Nils gelegen) gegenüber liegt eine kleine baumreiche Insel im weißen Nile; auf ihr sah ich noch im Jahre 1851 das wohlbekannte Paar „Wasserbüffel“, welches alljährlich mit den steigenden Fluthen aus den Urwäldern des oberen Flusses herabkam, und habe manche Büchsenkugel vergeblich nach seinen Köpfen entsandt. Wenige Meilen oberhalb der „Hauptstadt der Hölle“ sieht man in den Schlammbänken der Stromufer häufigere Spuren dieses plumpesten aller Thiere, etwa zwei Fuß tiefe, baumstarke Löcher, zu beiden Seiten einer muldenartig eingedrückten Furche; – es sind Fährten des Nilpferdes, welche dieses zurückläßt, wenn es auf seinen nächtlichen Weidegängen dem Strome entsteigt, um nach einem Getreidefelde oder dem Walde zu wandern. Die Löcher rühren von den Beinen her, die Furche von dem auf dem Schlamm dahin geschleppten Bauche; denn bis zu ihm versinkt das Unthier im weichen, nachgiebigen Boden. Bei der ungemein geringen Abflachung des Abiadt oder weißen Flusses, welcher in der Regenzeit hier und da gegen zwei Meilen weit über jedes seiner Ufer austritt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_680.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)