Seite:Die Gartenlaube (1859) 525.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und Abwechslung charakterisirten, einem fruchtbaren[WS 1] Garten gleichenden Gegend bedürfen.

Eine Stunde oberhalb Schweinfurt leuchtet an einer der lieblichen Stellen dieser Thalstrecke an der rechten Seite des Flusses und nur in kleiner Entfernung von dessen Ufer von mäßiger Höhe eines jener im edlen Baustyl unserer ritterlichen Vorfahren restaurirten Fürstenschlösser der Vorzeit, wie wir sie seit einigen Jahrzehnten, von fürstlicher Baulust zu neuem Leben geweckt, wie Phönixe aus ihren Trümmern sich erheben gesehen haben. Wer etwa auf der Werrabahn von Thüringen nach Franken gekommen ist, der hat beim Beginn jener an Natur- und Kunstreizen so reichen Bahnlinie im Neubau der Wartburg die Schöpfung des Großherzogs von Weimar, in der Mitte die verjüngte Burg Landsberg, die Schöpfung des Herzogs von Meiningen, und am Ausgang derselben dei stolze Veste Coburg im neuen alterthümlichen Fürstenkleide, die Schöpfung des Herzogs von Coburg, auf ihren grünen Bergkegeln begrüßt, der hat endlich unfern der Einmündung der königlich bayerischen Fortsetzung jener Bahn, der Strecke von Coburg bis Lichtenfels, in die bayerische Nordbahn das Auge an dem prächtigen Schlosse Banz, Sommersitz des Herzogs Max in Bayern, auf seinem waldigen Bergscheitel, geweidet. Bald darauf begrüßt er denn das fünfte dieser erneuten Fürstenschlösser, Schloß Mainberg bei Schweinfurt. Sein Berg ist mit Gärten und Weinbergen geschmückt, drei stolze Giebel erheben sich in einer Fronte, vor dem östlichen Eckgebäude ein kleinerer niederer Vorbau, und hinter dem Ganzen ragt ein viereckiger Thurm mit spitzem Dache. So erhebt sich die schimmernde Burg über dem am Mainufer hingestreckten Dörfchen Mainberg, etwa neunzig Fuß vom Flusse entfernt. Am Ufer laufen die 1830 vollendete Chaussee und neben dieser die von 1851 bis 1853 erbaute Eisenbahn mit der Telegraphenlinie.

Wilhelm Sattler.

Gleich den ersten vier genannten Bergschlössern wurde auch Schloß Mainberg von einem Fürsten in der ursprünglichsten Bedeutung dieses Wortes restaurirt und bis vor Kurzem bewohnt, von einem Fürsten der deutschen Arbeit, des Gewerbfleißes, des Handels und Verkehrs. Und er hatte sich aus eigener Kraft zu dieser Fürstlichkeit emporgearbeitet, die Krone wurde nur mit rastloser Thätigkeit, nur mit scharfsinniger Speculation, nur mit besonnener Beherrschung der Mittel errungen; der echte Solitär vom reinsten Wasser daran war aber das menschlich fühlende edle Herz des Mannes, ein Herz voll schöner Liebe für Alle, die ihm näher und ferner standen; ja man darf sagen, für die ganze Menschheit; voll brennenden Eifers für alles Gute, Wahre und Schöne, voll Enthusiasmus für den ruhigen Fortschritt des Menschenthums auf der Bahn der Erkenntniß zu materiellem Glück und seelischer Erhebung, und endlich voll großartiger Bescheidenheit und in sich selbst gefestigter Würde, die nie mehr Werth auf die eigene Persönlichkeit legte, als zur Förderung der guten Sache nöthig war. Der Wiederhersteller der Burg Mainberg war ein edler und bedeutender Mensch in der vollsten und umfangreichsten Bedeutung des Wortes; er war ein Mann voll deutschen Geistes und Gemüthes, eine Zierde seines engern Vaterlandes, einer der Edelsten und Besten unseres Volkes. Wäre er nur ein durch glückliche Speculation und Thätigkeit reich gewordener Mann gewesen, wir würden ihm die verdiente Ehre gönnen, und auch wir würden seinem Andenken die gebührende Achtung zollen; denn wir halten es mit dem Grundsatze: jedem Verdienste seine Krone! Die Ehrensäule, die wir ihm in diesen Blättern Angesichts der ganzen deutschen Welt in allen Ländern der Erde setzen, gilt dem geräuschlosen moralischen Streben und Wirken des Mannes, der nach des alten Terenz’ Ausspruch lebte und handelte: Ich bin ein Mensch und alles Menschliche geht mich an; dessen üppiger Geistesbaum auch Blüthe und Frucht des Gemüthes erzeugte; der nicht nur Ideen im platonischen Sinne hatte, sondern auch sein Leben und Schaffen mit strenger Selbstverleugnung darnach einzurichten verstand, und der endlich ein geistesfreier Mann der Zukunft war, wie wenige Mitlebende seines Standes und Gewerbes.

Von diesen seinen glücklich ausgeführten Ideen ist unstreitig die schönste und poetischste, die für den Besucher des Maingrundes interessanteste die geniale und großartige Vermählung der modernen Industrie mit der alten Romantik auf Schloß Mainberg. Auf der Wartburg, auf der Coburg, auf dem Landsberg, auf Banz findet ihr fürstlichen Luxus im Bunde mit der mittelalterlichen Romantik; auf Mainberg ist an die Stelle des Ersteren der deutsche Kunst- und Gewerbfleiß getreten, und wahrlich, ich denke, dieses in seiner Art einzige Bündniß steht den übrigen in nichts nach, es hat sogar den tröstlichen Blick auf die Zukunft des deutschen Volkes vor ihnen voraus. Denn diese Verbindung der menschlichen Vergangenheit mit der Zukunft, des alten Geistes des Ritterthums mit dem neuen der Industrie kann und wird eine fruchtbare sein, während jene immer nur eine interessante Curiosität ohne befruchtende Kraft für das Saatkorn der künftigen Weltgeschichte bleiben.

Dies ist für uns der Cardinalpunkt in dieser reizenden Sattler’schen Schöpfung.

Wie das der meisten Industriellen ist das Leben unseres Helden auf dem ruhmreichen Kampffelde des Fleißes und der gewerblichen Speculation nicht eine Reihe effectvoller Scenen und drastischer Wendungen. Flüsse, welche Wiesen und Fluren bewässern und nützliche Gewerke treiben, bilden selten prächtige Katarakte und Stromschnellen.

Johann Christian Wilhelm Sattler, am 13. Mai 1784 zu Hessen-Cassel als Sohn eines dort ansässigen Kaufmanns geboren, widmete sich nach den gut benutzten Schuljahren in hannöverisch Münden drei Jahre mit Fleiß der Erlernung des väterlichen Geschäfts und trat dann in derselben Stadt als Commis in eine andere Handlung ein, deren Chef in Verbindung mit einem andern Kaufmanne eine Bleiweißfabrik zu Niederwerrn ohnweit Schweinfurt besaß, und unsern Sattler als geschäftstüchtig und gewissenhaft erkannten jungen Mann mit der Geschäftsführerstelle bei diesem Fabrikwesen betraute. In dieser Eigenschaft oft nach Schweinfurt geführt, lernte er in Katharina, der geist- und gemüthvollen Tochter des rühmlich bekannten Kunstmalers Geiger, ein ihm seelisch verwandtes weibliches Wesen kennen, schätzen und lieben, und schloß mit ihr am 14. Februar 1809 den Ehebund, welcher fünfzig Jahre und einige Monate ein glücklicher und segensreicher war. Zehn Kinder aus demselben, unter der trefflichen elterlichen Obhut erwachsen, bildeten, mit Vater und Mutter an der Spitze, eine der liebenswürdigsten, mit allen Tugenden der Häuslichkeit geschmückten, echt deutschen Familie, in deren Mitte sich jedes gefühlvolle Herz wohl fühlte, das Veranlassung gefunden, in ihren gastfreundlichen Kreis zu treten.

Sein geschäftliches Wirken begann Wilhelm Sattler in Verbindung mit dem Apotheker Ruß aus Kamen in Westphalen in der Bereitung solcher chemischen Fabrikate, welche bei der damaligen Continentalsperre vorzugsweise Absatz versprachen. Der gemeinschaftliche Gewerbszweig wurde in einem erkauften Hause allmählich auf die Zubereitung von Malerfarben, Druckerschwärze, Weinsteinsäure etc. ausgedehnt, die nach mannichfaltigen Versuchen auf die Erfindung des jetzt so allgemein beliebten Schweinfurtergrüns

  1. Vorlage: furchtbaren
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_525.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2023)