Seite:Die Gartenlaube (1859) 495.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

sein Herz der reichen Tochter seines jetzigen Herrn zugewendet. – Man spricht davon, es solle bald Hochzeit geben!“

„Der Garstige!“ fiel das junge Mädchen ein. „Hätt’s von Dem nicht geglaubt. – Doch das Geld!“

Sie schritten weiter. Die Förstertochter aber blickte wie träumend den Beiden nach. Sie hatte die alte Frau erkannt; sie hätte so gern ein Wort mit derselben gewechselt – und hatte es doch nicht gethan. Die Brust war ihr zu übervoll. Der Schmerz macht meist verstummen. Frost durchschauert sie; sie fühlt den Abend nahen. Mehr und mehr qualmen die feuchten Dünste aus dem Moosgrunde auf, Nebelschatten ziehen vom Moore her. Das sind die Fieber, die aufsteigen; die kalten Sumpffieber, die den Menschen erfassen, bis er, langsam hinsiechend, in’s Grab steigen muß.

Die Jungfrau, ihre todten Vögel am Arm, schreitet dem Vaterhause zu. Tiefer sinkt der Abend nieder. Der Hund wird unruhig. Fern, im Hochwald, ist große Jagd. Dumpf schallen einzelne Töne herüber; vor kurzem fiel ein Schuß. – Jetzt rasselt es in den Zweigen der Schonung; man hört’s, ein Thier bricht sich keuchend in mächtigen Sätzen Bahn, durch das Dickicht. Der Hund stutzt, er spitzt die Ohren. Jetzt ist das Wild nahe. Dort! dort! ein majestätischer Zwölfender, stark schweißend, keucht heran. Jetzt ist das Thier zur Stelle, wo die Jungfrau steht; es stutzt; es hebt sich mit mächtigem Satze ans, es stößt den eigenthümlichen Ton aus, jenen Ton, den das Wild von sich gibt, ehe es stirbt – und endet zu den Füßen der Maid.

Du armes, schönes Thier! wie drang Dein Todesseufzer der Jungfrau so tief in das Herz; wie blickten Deine klugen, großen Augen dieselbe so bittend, bittend an, als sprächen sie: Hilf mir! Sie darf nicht weilen. Näher dringt die Jagd. Schon hört sie die herantobende Meute. Auch ihr Hund wird unruhig und will sich nicht zufrieden geben. Scheu, flüchtig, wie ein gejagtes Reh, eilt sie dahin durch den Wald, dem Vaterhause zu.

Lauter, wilder tobt die Jagd. Ein mächtiges Halloh ertönt. Die Beute ist gefunden. Die fröhlichen Jäger versammeln sich. – Noch kurze Zeit und die Jagd ist beendet. Still wird es im Wald. Die Nacht beginnt. Der Fuchs durchstreift, als unberufener Jäger, den Dohnenstrich, der Baummarder schlüpft aus seinem Loch heraus, die Eule glotzt von den Zweigen herab. Aber dies Alles macht den Wald nicht lebendig; es bleibt dumpfstill; selbst kein Mondenstrahl wagt sich hervor.

Es ist als webten die Stunden
Ein Nebeltodtenkleid;
Wald, Feld ist wie gebunden,
Verzaubert in dumpfem Leid.

5
Kein Vogel läßt sich hören,

Kein Mondlicht zeigt sich jetzt –
Matt schimmern die alten Föhren –
Herbstnebel sich drüber setzt.




III.

Und nun sind die Wege verschneit. Der Winter ist gekommen. Wieder verändert ist der Wald. Unter der weißen, warmen Schneedecke scheint Alles wie vergraben, wie todt zu ruhen – und doch sprosset schon ein neues Leben unter der kalten Winterhülle hervor, von Niemand gesehen, von Wenigen geahnt und beachtet.

Auch die Grabesrosen auf den Wangen der Maid im Forsthause waren schöner und dunkler erblüht, indeß die Wangen selbst bleich und bleicher geworden waren, und die Augen wie in überirdischem Glanze zu leuchten begonnen hatten. Das Alles sprach von keinem kommenden Frühling, das waren nicht Zeichen von Genesung.

Die Blätter, eh’ sie fallen,
Färben sich schön und roth,
Der Sterbenden schnell Genesen
Und Lächeln bedeutet Tod.

5
Der Augen himmlisch Glänzen,

Ein Wort, von Hoffnung erfrischt,
Das ist der Lampe Flackern,
Aufleuchten, eh’ sie verlischt.

Christnacht ist heut; die Weihenacht ist gekommen. Ein eigenthümlich Weben und Feiern geht durch den Wald, durch die ganze Welt. Es ist, als wäre die ganze Erde mit Wonne durchschauert, als müsse jede Creatur in Freude jauchzen: „Christ ward geboren!“

Der alte Förster lehnt am Fenster seines Hauses und blickt in den Wald hinaus. Der alte Mann sieht recht eigen schmerzdurchschauert, wehmüthig aus. Denkt er vielleicht der Sage jetzt, die da spricht, daß der Herr einst in heiliger Weihenacht durch den Wald geschritten sei und die Bäume daselbst gesegnet habe, so daß auch sie seit der Zeit in der Christnacht eine Stunde erblühn – und in voller Zier des Frühlings prangen? Hofft er dies Blühen gewahr zu werden?

Der alte Mann blickt so eigenthümlich ernst in den Wald hinein, zum Himmel auf, als habe er beiden so recht viel zu sagen und zu vertrauen. – Er kennt ja fast jeden Baum im Walde, er hat viele derselben noch gepflanzt, die jetzt schon zu kräftigen Bäumen herangewachsen sind. Wie lange wird es dauern, und man schlägt sie nieder, man senkt auch ihn hinab in die kühle Erde. Ein Anderer tritt an seine Stelle, der den Wald nicht so lieb haben kann, als er ihn hat. Er ist ja in demselben groß geworden; der Wald hat ihn gesehen als Jüngling, als Mann, als Greis; der Wald vernahm seine Freude, sein Leid, sein Weh.

Und heut ist der Mann so stumm. Er leuchtet keine Wildspur im Schnee; er lauscht nicht auf den Beilschlag der Holzdiebe, noch auf den Schuß des verwegenen Wildschützen. Er steht am Fenster und starrt in die Dämmerung hinaus. Hat er den Weihnachtsbaum nicht anzuzünden? Drüben im Städtchen glänzet schon Haus bei Haus Licht um Licht. Ueberall prangen die Christbäume schon; die jubelnden Kinderstimmen sind erwacht – Freude ist überall.

Und der Wald liegt schweigend, ernst im Schnee begraben. Die Sterne funkeln, der Mond durchleuchtet ihn überall.

Der alte Mann ist vom Fenster verschwunden.

Die Tannenbäume wiegen
Ihr Haupt so sorgenschwer,
Auf allen Zweigen liegen
Schneeflocken rings umher.

Die Nacht brach ein. – Tief im Walde fährt die Post; die Wege sind verschneit, langsam fährt der Postillon, die Passagiere nicken schlafesmüd. – Nur in der einen Ecke des Wagens vernimmt man leises Flüstern. Dort sitzt ein Bursch mit seinem Lieb im Arm, mit seiner Braut. Heut führt er dieselbe seiner Mutter zu; das soll derselben schönstes Christgeschenk sein. Wie Viel, wie unendlich Viel haben die Beiden sich zu sagen!

Jetzt bläst der Postillon! Wie herzgewinnend tönt das Horn! Der dritte Passagier, ein Jüngling, der zur Heimath reist, ist erwacht. Der freut sich des Klanges. Er öffnet das Wagenfenster, er starret in den Wald hinaus; er will des Hornes Ton so ganz vernehmen. Plötzlich aber bricht der Postillon in schönster Melodie des Liedes ab. Ein heller Lichtglanz, vom Forsthause her kommend, durchleuchtet den Wald zur Stelle, die Landstraße entlang. Die Pferde beugen den Kopf zum Lichtschimmer hin; der Postillon hat sich im Sattel erhoben und schaut gleichfalls hinüber zum Hause, indeß der Wagen einen Augenblick zu stehen scheint.

Der Jüngling beugt sich weit zum Fenster hinaus, während auch das Paar im Wagen sich zu ermuntern scheint; er ruft: „Gewiß! im Forsthaus brennt der Weihnachtsbaum. He, Schwager, haltet!“

Der aber wendet sich im Sattel um und sagt: „Das ist kein Weihnachtsbaum, das sind die Lichter, die der Förster um den Sarg seiner Tochter angezündet. Sein Kind liegt auf der Todtenbahr!“

Im Wagen vernahm man nach diesen Worten einen Schrei. Der Bräutigam stieß ihn aus. Krampfhaft preßte er die Braut an sich, indeß eine Thräne unwillkürlich von seiner Wange rollte, und eine mahnende Stimme in seinem Herzen sprach: „Das ist Dein Werk! Die Jungfrau starb um Dich!“ Rasch rollt der Wagen durch den Wald dahin. Mitternacht ist nah. Jetzt geht’s den Berg hinab; die Stadt liegt tief im Thal; noch kurze Zeit, dieselbe ist erreicht. Wiedersehn bringt Freude meist; auch die Reisenden werden voll Freude empfangen.

Fern im Walde aber weint ein greiser Vater am Todtenbette seines einzigen Kindes!

Weit ab, entfernt, im Fichtenwald,
Weglos, thalwärts, waldein;
Liegt, ringsum Föhren, grau und alt,
Ein Friedhof, eng und klein.

5
Am Kreuze Moos und Moos am Zaun,

Kein Laut die Ruh durchbricht;
Altklugen Aug’s hinüberschaun
Die Reh’ im Mondenlicht.

Schlaftrunken rings die Fichten stehn,

10
Das Wild schaut ernst darein –

Der Herr scheint durch das Thal zu gehn –
Es kann nicht stiller sein.

Von fern klingt Glockenläuten her;
Der Ton ruft: Weihnachtszeit! –

15
Nacht wird’s am Friedhof mehr und mehr;

Dichtflockig still es schneit.

F. Brunold.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_495.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2023)