Seite:Die Gartenlaube (1859) 402.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Nirgends in der Welt gibt es eine Landschaft, welche von der Natur selbst als etwas so ganz und gar Zusammenhängendes geschaffen wurde, wie das Rheinthal zwischen Schwarzwald und Vogesen. Derselbe Menschenstamm, derselbe Boden, dieselben Erzeugnisse und eine gemeinsame geschichtliche Entwicklung von zweitausend Jahren! Diesen historischen Faden durfte Ludwig der Vierzehnte durchschneiden, und die Sünder des Wiener Congresses begingen den Frevel, ihn nicht wieder anzuknüpfen. Während meines zweiten Aufenthaltes in Baden-Baden, 1843, lernte ich dort einen sehr wohlhabenden und hochgeachteten Altbürger von Straßburg kennen; wir schlossen uns näher aneinander und bald wußte ich, daß ein echt allemannisches, kerndeutsches Herz in seiner Brust schlug. Die Lage und die Verhältnisse des Elsasses bildeten täglich einen Gegenstand unserer Gespräche.

„Da schleppen die Wälschen unsere Leute nach Algier, wo sie am Fieber oder an Kabylenkugeln hundertweise zu Grunde gehen; davon weiß jedes Dorf zu sagen. Warum habt Ihr uns 1814 nicht behalten? Ich bin es gewesen, der damals das deutsche Commando bei der Straßburger Nationalgarde wieder eingeführt hat. Wir waren darauf gefaßt, wieder mit Deutschland vereinigt zu werden, wohin wir gehören. Die Wälschen sind uns Fremde und wir haben kein Herz zu ihnen; aber Ihr habt uns bei ihnen gelassen. Gott verd–!“ Dabei nahm der alte, greise Mann sein Glas und warf es in tausend Scherben. Das war oben im schattigen Hofe des alten Schlosses von Baden-Baden.

Mich ergriff dieser Auftritt tief. Wir schwiegen eine Weile und dann fuhr der wackere Z–f fort: „Es hat nicht sein sollen. Vielleicht ist es auch gut so; denn sehen Sie, an wen hätten wir Elsasser fallen sollen, wem wären wir zugetheilt worden? Einem von Euren Duodezstaaten? Dafür müssen wir danken, das kann uns nicht locken, wir könnten nur zu einem großen Deutschland gehören, weil wir seit zweihundert Jahren einem großen Staate einverleibt sind. Auch lockt uns Eure Censur nicht, Euer Bundestag thut es eben so wenig; aber der Zollverein, wohlan, den lasse ich mir gefallen. Nur so fortgefahren. Sehen Sie, wir haben constitutionelle Verfassung und freie Presse, die doch für gebildete Menschen einen hohen Werth besitzen, und was könntet Ihr Deutschländer uns dagegen bieten? Also jetzt tauschen wir nicht. Ihr habt viel versäumt; nun sind seit 1814 wieder dreißig Jahre verflossen, in denen bei uns das Werk der Verwälschung Fortschritte gemacht hat, denn darauf versteht man sich in Paris, und Monsieur Guizot, der Protestant und Doctrinair, treibt es damit am allerärgsten.“

Ich entgegnete: „Das Alles ist sehr wahr. Aber Deutschland ist im Aufsteigen und es werden Tage kommen, da es wieder stark und mächtig dasteht. Dann wird durch Pflicht, Interesse und Nothwendigkeit vor allen Dingen geboten sein, daß wir wieder nehmen, was uns geraubt worden ist. Wir werden dann nicht lange fragen, ob die Elsässer Sympathien für uns haben und wieder mit uns vereinigt sein wollen. Nur ein Schwachkopf würde sich darum kümmern. Anderthalbhundert Jahre habt ihr die euch aufgezwungene Vereinigung mit Frankreich widerwillig ertragen, und nur durch lange Gewohnheit und materielle Vortheile euch mit demselben eingelebt; mit der Wiedervereinigung, dem Beitritt zum alten Haupt- und Stammlande, würde sich die Sache rascher machen; ohnehin weisen ja alle materiellen Interessen vorzugsweise nach uns, nach dem Rheinlande hin.“

„Darin pflichte ich Ihnen bei. Hätten die Deutschländer 1814 das Elsaß behalten, so wäre es bei uns überall wie in Landau, wo man nichts von Wälschem sieht und hört. In Straßburg, Mühlhausen, Colmar und andern Städten hätten wir dann wohl noch ein paar tausend Dutzend Franzosen behalten; aber was wollte das sagen gegen die Million Landesbewohner?“

Noch in demselben Herbste besuchte ich meinen würdigen Freund, der ein echter Mann von Schrot und Korn war, in seinem behäbigen Hause, das seit einigen Jahrhunderten im Besitze derselben Familie sich befindet. Ich fühlte mich wohl und heimisch, und in goldgelbem elsasser Wein haben wir auf das Wohlergehen, die Freiheit und die Macht Deutschlands getrunken.

Eben als die Gläser klangen, schritten Vincenner Jäger mit raschem Tritt durch die Straßen, um ihre damals neuen Schießwaffen zu erproben. Der köstliche Wein schmeckte mir bitter.

Wie würden wir Deutschen den Tag segnen, an welchem unsere Fahnen vom hohen Münsterthurme herabflattern, und statt der Vincenner Jäger unsere Regimenter auf dem Kleberplatze ständen, geschaart um das Standbild eines tapfern Marschalls, der für Fremde focht!

Wenn, mein lieber Alfred, unter Deinen Cameraden sich der Eine oder der Andere befände, der in Sympathieen für fremde Nationalitäten schwärmte, so rede Du ihnen vom Elsaß und sage, daß man Theilnahme, Mitgefühl und Thatkraft vor allen Dingen für sein eigenes Land und seine eigenen Brüder haben müsse. Deutschland muß stark und mächtig sein; darauf kommt Alles an; denn sind nicht zwei Czaaren, im Westen und Osten, unsere Nachbarn, und haben sie nicht schon 1829 das Uebereinkommen getroffen, die sogenannte Rheingrenze und die sogenannte Weichselgrenze zu nehmen? Kümmern diese Czaaren sich um Gerechtigkeit oder um Nationalitäten? gibt der französische Sultan seine nichtfranzösischen Nationalitäten, also Corsicaner, Deutsche, Flamingen, Basken und Bretagner frei? der moskowitische Czar die deutschen Ostseeprovinzen, die Polen, die Turkomanen, Finnen und die vierzig oder funfzig andern Völkerschaften, die im russischen Reiche nicht russisch reden? Trachten die Italiener nicht nach dem Etschlande bis zum Brenner? Drücken die Dänen nicht auf die Deutschen in Schleswig-Holstein? Gibt England die ionischen Inseln, Malta, Irland, Indien etc. heraus? Nein. Und wir allein sollten so kindisch sein, uns eine abstracte Gerechtigkeit zur Richtschnur zu nehmen, die unter den gegebenen geschichtlichen Verhältnissen geradezu kindisch wäre; wir, denen nichts so nöthig ist, als Wahrnehmung unserer eigenen Interessen, sollten unsere Sympathieen an Andere wegwerfen, die uns dafür nicht einmal Dank wissen? Der Teufel hole solche schlappen, sentimentalen, dummen Philister.

Es kommt darauf an, daß wir unsere ganze Energie ungetheilt gegen den Zwingherrscher wenden, dessen Absicht auf Beraubung unseres Vaterlandes geht; er füttert seine dienstwilligen Franzosen mit Soldatenruhm voll, und sie geben sich zu blinden Werkzeugen eines Despoten her. Dieser tritt genau in die Fußtapfen seiner Vorfahren auf dem Throne, welche seit drei Jahrhunderten die Maxime befolgten, bei jeder Gelegenheit Stücke deutschen Landes abzureißen und Frankreich einzuverleiben. Die französischen Republikaner waren eben so wenig sentimental; sie hatten Sympathieen nur für sich, und thaten recht daran.

Bei uns begannen das Unheil und die Verluste, als Kaiser und Reich schwach wurden und der Particularismus obenauf kam; dazu haben die nichtswürdigen dogmatischen Zänkereien und die Religionskriege wesentlich beigetragen. In Folge derselben schnappte Frankreich zu; während es im eigenen Lande die Protestanten mit Feuer und Schwert verfolgte, leistete es den deutschen Protestanten gegen den katholischen Kaiser Vorschub, und so gingen für uns durch den kläglichen Passauer Vertrag und Moritz von Sachsen die drei lothringischen Bisthümer Metz, Tull und Verdun verloren. Metz, die alte Reichsstadt, in welcher die sieben deutschen Kurfürsten die goldene Bulle unterzeichneten, wurde dadurch aus einem Schlüssel Deutschlands ein Bollwerk und eine Vormauer Frankreichs gegen uns, und dieser schwere Verlust ist bis auf den heutigen Tag zu verspüren.

Während wir uns wegen theologischer Formeln und Floskeln unter einander rauften, gingen auch die Ostseeprovinzen verloren; erst an die Polen, dann an die Schweden und Russen; aber nach dem dreißigjährigen Kriege trieb Frankreich das Raubsystem in’s Große, und Ludwig der Vierzehnte konnte um so bequemer übergreifen, weil der Kaiser im Osten von den Türken bedrängt war. Er nahm die burgundische Freigrafschaft, die sogenannte Franche Comté, er nahm Theile von Luxemburg, mit der Stadt Diedenhofen, welche bei den Franzosen Thionville heißt; an Frankreich kam auch die alte Reichsstadt Kammerich oder Cambray; er riß die Südhälfte von Flandern ab, und es kümmerte ihn nicht, daß die Bewohner nicht französisch werden wollten. Er hatte Arras und St. Omer von Deutschland abgerissen, und gegen den burgundischen Kreis, das heutige Belgien, ein Dutzend Festungen gewonnen. Ich will Dir einige nennen, denn hoffentlich wird diesmal der Krieg nicht auf deutschem, sondern, wie 1814 und 1815, auf französischem Boden ausgefochten. Also jener Ludwig nahm und behielt im Maaslande und der Umgegend die Festungen Givet, Charlemont, Condé, Valenciennes, Meaubeuge, Quesnoy, Landrecy, Avesnes und Philippeville; und seinem Nachfolger fiel vor einhundertundzwanzig

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_402.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)