Seite:Die Gartenlaube (1859) 370.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

er dem Ehrgeize Napoleons die Tochter des alten legitimen Kaiserhauses, Maria Louise, zuführte.

Diese Gunst Napoleons mochte auch viel dazu beigetragen haben, daß gleich nach der Schlacht bei Wagram (1809) der Kaiser Metternich mit dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten betraute – eine Stellung, die unter ihm so bedeutungsvoll für ganz Europa werden sollte und die 39 Jahr inne gehabt zu haben, den Ruhm und das seltene Glück dieses Staatsmannes bildet. Die österreichische Monarchie nach dem Frieden von Wien wieder aufzurichten, war sicherlich eine so schwierige Aufgabe, daß kaum der größte Ehrgeiz danach verlangen konnte, eine so furchtbare Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen. Krönte sie selbst ein Erfolg, so blieb sie, da Mittel der Gewalt vermieden werden mußten, wollte man nicht die letzte Karte ausspielen, immer eine undankbare. Auf einem anderen Wege, als dem der Nachgibigkeit und Geschmeidigkeit, war an eine endliche Rettung nicht zu denken. Zuerst gilt es, die Monarchie wieder aufzurichten und die Fesseln, die man nicht klirrend abstreifen konnte, mit Geschick und Kunst zu lösen. Diese Politik mußte die Metternich’sche sein, und mit welcher Meisterschaft er sie handhabte, bewiesen die folgenden Ereignisse.

Während sich Preußen durch den Heroismus der Verzweiflung um sein Leben wehrte und durch innere Kraft allein wieder errichtet werden konnte, war Oesterreich nur durch die außerordentlichste Geschicklichkeit durch alle die Klippen der kommenden Zeit hindurchzuführen, wollte es nicht, morsch und beschädigt, an dem Zusammenstoße mit ihnen seinen Untergang finden. Metternich gelang es, durch äußerste Geschicklichkeit das offene Meer wieder zu gewinnen, Oesterreich langsam von den Fesseln des napoleonischen Joches zu lösen und in äußerster Gefahr den Moment zu erfassen, um sich Rußland und Preußen im Kampfe gegen den großen Schlachtenkaiser anzuschließen. Die berühmte Unterredung Metternich’s mit Napoleon zu Dresden entschied. Als der Fürst auf diese weltwichtige Stunde in seinen Mittheilungen flüchtig zu sprechen kam, meinte er, daß alle Erzählungen darüber an Unwahrheit und Entstellung litten und Niemand mehr, denn Thiers in seiner Geschichte des Kaiserreichs, die Thatsachen verzerrt habe.

„Thiers,“ äußerte sich der Greis, „war selbst bei mir und ließ sich über Vieles und so auch über diese Unterredung mit Napoleon von mir Aufschluß geben. Ich habe ihm nur gesagt, daß alle Mittheilungen Napoleons selbst irrig seien, und trotzdem schmückte er diese nach seiner Phantasie aus, und die anderen Geschichtsschreiber schrieben ihm nach. Im Grunde konnte der Ausgang dieser Unterredung nichts mehr bestimmen, und ich führte sie nicht als Staatsmann, sondern aus persönlichem Interesse an dem Schicksale des Kaisers, dem ich über seine Lage Klarheit verschaffen wollte.“

Der Krieg begann. Die Franzosen wurden nach der Schlacht bei Leipzig über den Rhein geworfen und Deutschland war wieder frei. Mit diesem Moment schwächte sich die Energie Metternichs in der Bekriegung Napoleon’s ab, und es ist bekannt, welche Hindernisse er dem tapferen Vorrücken Blücher’s und York’s entgegensetzte und wie oft er Napoleon zu retten versuchte. Aber noch war Metternich nicht der Allmächtige, der er auf dem Wiener Congreß zu werden begann. Hier, wo alle Verhältnisse so glänzend waren und dazu dienten, des gefürsteten Ministers persönliche Eigenschaften in’s vollste Licht zu setzen, wurde zuerst der Grund zu jener Machtstellung gelegt, die Metternich bis zur Julirevolution innegehabt.

Der Glanzpunkt der Metternich’schen Laufbahn fällt unstreitig in die Zeit der Congresse von Aachen, Carlsbad, Troppau, Laibach und Verona. Die Politik, welche hier im Beisein von Kaisern und Königen, den höchstgestellten Frauen und Männern, ihre Weihe empfing und die jene Congresse, sowie besonders den Namen Metternich in ganz Europa berüchtigt machte, war ohne Zweifel von Hause aus in keinem ihrer späteren Herren, weder im Czaren Alexander, noch in Metternich, noch in Gentz, seiner rechten Hand und Protokollführer aller jener Congresse, klar ausgebildet gewesen, Es war eine Politik der Impromptu’s, der man erst später ein System und einen idealen Glorienschein zu geben wußte. Sie fand ihren Anstoß durch das Wartburgsfest und Kotzebue’s Ermordung, und man kann annehmen, daß vor diesen beiden Thaten eine Reactionspolitik nicht im Sinne Metternich’s gelegen hat, wenn er auch von gewisser Seite zu Rückschritten aller Art gedrängt wurde. Metternich sah nach dem Frieden von Wien das Heil der Welt und besonders Oesterreichs in der äußersten Ruhe um jeden Preis; er erkannte, daß in dem aufgewühlten Boden die alten Staaten nicht alle wieder Wurzel faßten und manche erst aus einem künstlichen Leben zu einem natürlichen gelangen könnten. Dazu war aber Ruhe nöthig; kein Krieg, keine laute Bewegung des Zeitgeistes, kein Experimentiren nach Vorwärts wie nach Rückwärts sollte diese nothwendige Ruhe des Welttheils stören. Wäre nur Alles in Ruhe abgegangen, Metternich wäre vielleicht den Anforderungen der Zeit nicht so schroff entgegengetreten. Da dies jedoch naturgemäß unmöglich war und jede Bewegung eben die Ruhe aufhebt, da ferner Alles daran lag, das lose Gewebe der Staaten fester zu ziehen, das künstliche Leben einiger Staaten fortdauern zu lassen, so blieb zuletzt der Weg der Reaction der einzige der Rettung. Es lag etwas Verzweifeltes in dieser Politik der heiligen Alliance, welche den Ruin der Staaten immer vor Augen sah und deren Gedanke mit Ludwig’s XV. Wort: après moi le déluge auf’s Innigste verwandt war. Metternich hatte im Geheimen selbst keinen Glauben an die Lebensfähigkeit mancher Staaten und an die Dauer seines unheilvollen Systems, aber je länger es sich hielt, um so weniger fürchtete er von der einstigen, wohl vorausgesehenen Umwälzung aller Dinge.

Die Grundsätze und Allmächtigkeit der idealistischen Heiligen-Alliance-Politik wurden durch ihren ersten Urheber, Rußland, selbst erschüttert. Der Krieg mit der Pforte (1828–1829) rollte das ganze System, was so künstlich und unter immensen Anstrengungen einige Jahre vorher gebildet worden, gänzlich auf, und Gentz, der so sehr den Metternich’schen Geist in sich aufgenommen hatte, schrieb selbst nach dem Frieden von Adrianopel: „Die Ewigkeit unseres Systemes habe ich nie behauptet. Es lag ihm nur die gute Absicht zu Grunde, die nach der napoleonischen Zeit wieder errichteten alten und neugeschaffenen Throne zu befestigen. Dieser Zweck ist auch erreicht. Aber bei all’ seiner Macht konnte es doch nicht den ewigen Frieden gründen und wird beim ersten Stoße der Geister zu einer Tradition werden. Einen Frieden haben wir wohl wieder, aber ich täusche mich nicht über die Nähe gewaltiger Stürme, die aus dem Schooße Frankreichs sich erheben und vielleicht den Weltball mehr als die von 1789 erschüttern werden.“

Diese vorausgefühlte Julirevolution hob in der That das eigentliche System der heiligen Alliance auf, und von nun dominirt lediglich die Metternich’sche Politik, welche Wohl an den liebgewordenen Grundsätzen festhält, aber doch auch ein eigenthümliches Gepräge der Bequemlichkeit aufweist. Der allmächtige Einfluß des Staatskanzlers war nicht mehr nach außen hin in voller Gültigkeit, sondern hie und da wußte man sich ihm sogar zu entziehen. Metternich war diese Seele des ganzen politischen Getriebes nur noch in Oesterreich und vollends, als Franz der Erste (1835) starb, und sein Nachfolger dem erprobten Staatskanzler alle Sorgen der Regierung willig allein überließ. Nach Metternich’s Plan sollte nun das alte Kaiserreich zu einem Musterstaate der Ruhe und politischen Unbedenklichkeit gestaltet werden; man sperrte es gegen das Ausland ab und ließ die Wurzeln, die es mit dem deutschen Mutterlands verbanden, unterbinden und vertrocknen. Die seit dem Wartburgfest gefürchteten Universitäten wurden zu bloßen Realschulen umgestaltet, und der Besuch ausländischer, besonders deutscher Hochschulen verboten. Eine Presse existirte nicht; was die österreichischen Unterthanen wissen sollten, theilte ihnen die Regierung durch die Wiener Zeitung, den Oesterreichischen Beobachter und einige Provinzialblätter mit; andere Zeitungen ließ die Grenzcensur nicht in das Reich und selbst die Augsburger Allgemeine, die dem Fürsten ganz zur Disposition gestellt war, durfte nur in einer besonders für Oesterreich verfaßten Ausgabe hereinkommen. Auch muß man sagen, daß es gelang, Oesterreich durch dieses Isolirsystem Deutschland zu entfremden; die Menschen dort lebten, was man so sagt, glücklich und sorgenlos und kümmerten sich gar nicht um Politik.

Aber der Zeitgeist, den Metternich in solcher Art verhindern wollte, Eintritt in Oesterreich zu finden, schlüpfte zuletzt doch unter den Grenzbarrieren hindurch und an den Nasen der Mauthbeamten steuerfrei vorbei. Er brachte Unruhe in die sonst friedevollen Gemüther, einen Drang nach politischem Leben und eine Gährung hervor, die immer gewaltiger wuchs. Man weiß, wie die Kuranda’schen „Grenzboten“ in der Mitte der vierziger Jahre nach Oesterreich hineingeschmuggelt wurden, wie dieses Blatt gerade über die österreichischen Zustände die aufreizendsten Correspondenzen brachte. Diese ungeheuere Gährung im Staate Metternich’s schien diesem selbst unbekannt zu bleiben, sei es, daß er an keine ernstliche

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_370.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)