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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

ein einziges Lied, das es von diesem düstern Poeten enthielt, genügte, um ihn dauernd zu fesseln und ihm die Ahnung zu vermitteln, daß es außer dem Göttinger Dichterbunde noch bedeutende Talente geben müsse. Ein Freund, mit dem ihn das Universitätsleben in Prag, in das er nach den humanistischen Studien eintrat, in Berührung brachte, machte ihn mit den Stimmführern der neuesten Literatur bekannt, von denen ihm aber weniger die übermüthigen Kritiker, die an den alten Autoritäten vermessen schüttelten, als die Dichter imponirten, die ihm durch Productionen den Beweis einer eigenen Schöpfungskraft führten. Von Prag wagte er 1838 seinen ersten Ausflug nach Norddeutschland, von dem gleichsam sein späteres Wanderleben datirt. In den „Erzählungen eines Unstäten“ geschieht dieses Ausfluges im „goldenen Haar“ Erwähnung. Seine ersten poetischen Versuche, die er aber schüchtern hinter Schloß und Riegel verbarg, fallen in jene Epoche.

Von 1840–1844 treffen wir Moritz Hartmann in Wien; er hatte schon auf das Drängen von Freunden mehrere kleine Gedichte in belletristischen Zeitungen veröffentlicht, die sofort eine ungewöhnliche Begabung verriethen. Die Schriftsteller, mit denen er nach und nach bekannt wurde, nahmen ihn trotz seiner Jugend für einen Ihresgleichen. Lenau faßte schon nach der ersten Begegnung eine lebhafte Sympathie für ihn und eiferte ihn durch sein Lob, mit dem er gewöhnlich sehr sparsam war, zur rührigsten Production und zur Zusammenstellung seiner Gedichte auf. Er trug sich selbstverständlich mit großen epischen Gedichten aus der Hussitenzeit; das rauschende Leben und Treiben in Wien hatte zu viel Verlockendes, als daß der junge Poet, den man überall gerne sah und aufnahm, sie fertig ausführen konnte; es verblieb bei Fragmenten, die einen schönen Schmuck seiner ersten Gedichtsammlung: „Kelch und Schwert“ bilden. Da er sich von dem väterlichen Hause durch die künstlerische Richtung, die, weil unpraktisch, nicht nach dem strengen Willen des Vaters, wenn auch nach dem still geheimen Wunsche der Mutter war, unabhängig gemacht hatte, mußte er sich ohne dessen Unterstützung durchzuhelfen suchen. Er trat in ein reiches Bankierhaus als Hofmeister; daß er seine Aufgabe gewissenhaft erfüllte, erhellt aus dem Umstande, daß seine einstigen Eleven, die ihm den ersten Bildungsimpuls zu danken haben, jetzt seine Freunde und, was noch mehr gilt, auf dem Felde der Wissenschaft tüchtige und trotz ihrer Jugend schon ausgezeichnete Arbeiter sind. In Wien hatte sich damals unter der strebsamen Jugend eine politische Opposition geltend gemacht, die bei allen Gefahren, von denen sie auf Schritt und Tritt bedroht war, eifrigst erhalten wurde. An dieser Opposition, die als den ärgsten Frevel den Censurdruck betrachtete, betheiligte sich der junge Poet und suchte mit seinen Liedern die Fesseln zu zerbrechen, welche den Geist umschnürten und wund drückten. Im Jahre 1842 machte er von dem „Capua der Geister“, wie Grillparzer die Kaiserstadt benannte, einen Ausflug nach Italien, nach der Schweiz und nach Süddeutschland. Die Erinnerung an seinen Wiener Aufenthalt und an diese Reise klingt in den „Erzählungen eines Unstäten“: „Dur und Moll“, „Miß Ellen“, „Nessuskleid“, „die Samaritanerin“ und „die Patrioten“ nach.

Im Herbst 1844 ging Moritz Hartmann nach Berlin und Leipzig, in letzterer Stadt veröffentlichte er: „Kelch und Schwert“. Diese Gedichtsammlung, in der sich ein frisches und gesundes Talent offenbarte, wurde von der Kritik und von dem Publicum freudig begrüßt, so daß sie in kurzer Zeit eine zweite Auflage erlebte. Diese Veröffentlichung, mit der er offen und heftig die Fehler und Gebrechen seiner Heimath und ihrer Regierungsweise rügte, verschloß ihm die Rückkehr, so lange die politischen Verhältnisse Oesterreichs in dem Statu quo ante verblieben. Sein Buch wurde von der österreichischen Censur mit dem „damnatur und deleatur“ belegt, was dem Absatze nicht schadete, da man sich in Wien trotz aller Präventivmaßregeln die verbotenen literarischen Erscheinungen zu verschaffen wußte.

Im Jahre 1845 machte er eine Reise durch Deutschland, und knüpfte viele interessante Bekanntschaften mit bedeutenden Männern an; sein liebenswürdiges Auftreten in allen gesellschaftlichen Kreisen erhöhte noch die Sympathie, die man schon für sein Talent hatte. Moritz Hartmann macht vielleicht darin eine löbliche Ausnahme, daß bei ihm der Mensch noch das Interesse für den Dichter steigert; der Erklärungsgrund liegt aber darin, daß beide organisch verwachsen sind. Er gibt sich äußerlich nicht anders, als in seinen Büchern; die Person dementirt nie deren Inhalt. Er setzte sich nach dieser Rundreise für einige Zeit in Brüssel fest, wo er für die „Grenzboten“ thätig war, die für Oesterreich einen ungefährlichen Liberalismus predigten.

Im Jahre 1846 kam Moritz Hartmann zum ersten Male nach Paris, und ging hier viel mit Béranger, Alfred de Musset, Venedey, Heinrich Heine und A. um. Sein erster Pariser Aufenthalt vermittelte ihm außer künstlerischen Beziehungen, zu denen es ihn vorzugsweise drängte, noch einen klaren Einblick in die Debatten der Parteien, und er reifte sich durch diese Erfahrung gleichsam zum politischen Charakter. Seine Rückkehr von der Weltstadt an der Seine, aus der er ein buntes Bilderbuch interessanter Erinnerungen mitbrachte, nahm er, nach einem kurzen Aufenthalte am Rhein, über Hannover nach Leipzig, wo er sich wieder für einige Zeit festsetzte, nur einen neuen Band Gedichte, der bei G. Wigand erschien, zu sammeln und zu ordnen. Diese neue Sammlung rechtfertigte vollkommen die Erwartungen, welche das Publicum und die Kritik an sein Talent stellte. Auch diese verfiel dem „damnatur“ der österreichischen Censur; dies neue Lebenszeichen seines Talents konnte die Regierung seiner Heimath nicht milder gegen ihn stimmen; es war daher ein vermessenes Wagstück, daß er ihre Grenzen überschritt, um seine Mutter zu besuchen, an der er mit abgöttischer Verehrung hing. Er entkam nur durch die eiligste Flucht der Verfolgung, welche dienstwillige Angeber auf seine Person gehetzt hatten. Der Abschnitt: „Heimkehr und Flucht“ in den „Zeitlosen“, der zu dem Schönsten gehört, was Hartmann poetisch producirte, schildert dies für seine Freiheit bedrohliche Intermezzo seines Lebens.

Im Winter 1846–1847 verblieb Moritz Hartmann in Berlin und beschäftigte sich mit ernsten historischen Studien, um sich die nöthigen Grundlagen für die Tragödie zu schaffen, der er sich nicht Knall und Fall wie die leichtsinnigen Dramatiker, die jeder Aufgabe gewachsen zu sein glauben, zuwenden wollte. Er entwarf und vollendete ganze Scenen eines Trauerspiels: „Johanna“ aus der Geschichte Neapels, die, obwohl sie Bruchstücke verblieben sind, eine starke Begabung für das dramatische Fach verrathen.

Zu Ende des Jahres 1847 ging er nach Prag, fest entschlossen, sich allen Strafconsequenzen zu unterwerfen, die seine Regierung, deren Censurgesetze er durch die Veröffentlichung seiner Gedichte ohne das „Imprimatur“ des Revisionsamtes verletzt hatte, über ihn verhängen würde. Es wurde auch sofort ein Preßproceß gegen ihn anhängig gemacht und mit ihm erst auf freiem Fuße verhandelt. In dieser Ungewißheit über den Verlauf seiner Angelegenheit schrieb er ein Trauerspiel: „Sie sind arm“, in dem seine Richter gewiß keinen Milderungsgrund gefunden hätten, da er die socialistischen Ideen nicht verleugnete, die sich schon überall in Schrift und Rede kundgaben. Sein Proceß führte, obgleich man ihm versprach, er würde mit einer Geldstrafe wegkommen, zu seiner schließlichen Verhaftung, von der ihn jedoch nach kurzem die im März 1848 ausbrechende Revolution befreite. Er war politisch gewiegter, als die Meisten, die sich an der Revolution betheiligten; seine Reisen, sein Aufenthalt in constitutionellen Ländern, sein vertrauter Umgang mit hervorragenden Persönlichkeiten bewirkten, daß er in politischen Dingen kein Neuling war. Das erkannte seine Umgebung, die mit der Sympathie für den Poeten auch Vertrauen auf seine Erfahrung hatte.

In Prag bildete sich ein deutsches Comité, das gegen das überwiegende Czechenthum mit seinen separatistischen Bestrebungen Front machte. Die Slaven verfolgten schon seit einer Reihe von Jahren ein antideutsches Ziel; sie drapirten sich zu diesem Behufe mit einer künstlich erzeugten Literatur, für die sie alle Mittel der Reclame in Verwendung setzten. Hatten sie früher geheim und listig minirt, so traten sie jetzt offen hervor; das entschiedene Auftreten dieser Partei war noch ein Glück, weil man sich gegen die von ihr ausgehende Gefahr waffnen und wehren konnte. Darauf wurde er, Moritz Hartmann, in den Nationalausschuß gewählt, mit dessen Constituirung man eine harmonische Ausgleichung der dualistischen Bestrebungen bezweckte. Es zeigte sich nur zu bald, daß die Slaven die Macht in die Hand zu bekommen suchten; geschickter als die Deutschen manövrirend, hatten sie diese bald überstimmt. Hartmann kämpfte mit allem Eifer dagegen; da er nicht die gehoffte Unterstützung von Seite seiner Partei fand, trat er aus dem Nationalausschusse aus. Er wurde im April nach Wien an den Kaiser deputirt; Zweck dieser Deputation war, die deutschen Wahlen für das Frankfurter Parlament zu befürworten und zu betreiben. Der Erzherzog Franz Karl und Minister Pillersdorf, die ihn mit seinen Begleitern zu diesem Zwecke empfingen, versprachen ihre

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