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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

süßes Vergnügen, Feuersbrünste im Menschen mit der nassen Wirklichkeit zu löschen. Mon cher Cécil hat noch Zeit, glücklich zu werden, und Fräulein Helene mag ihr stolzes, rosig blühendes Köpfchen ein wenig senken. Es schadet Beiden nichts, ma foi! Der gute Cécil würde aber schwerlich so jähe geflohen sein, wenn er wüßte, von welchem Datum die Geschichte wäre! – Es ist ridicule, wie blind und taub der Mensch im Liebesstadium ist.“

Hier wurde sein Monolog von dem Eintritte seiner beiden Kinder, eines Zwillingspaares, unterbrochen, die jubelnd mit einer Neujahrsgratulation hereinstürmten. Sogleich verschwand der Spott von den Lippen des Herrn von Sieveringk und eine strahlende Freude verklärte sein Angesicht, als die kleine, Meta pfeilgeschwind an ihm hinaufkletterte, um den Platz an seiner Brust zu erobern. Der phlegmatische Leopold stand ruhig dabei, mit schmollender Miene die gelungenen Kletterkünste seines Schwesterchens betrachtend, und sagte dann bittend:

„Papa nimmt mich auf den andern Arm.“

„Praktisch gedacht, petit Léo!“ rief der Regierungsrath, und hob ihn auf das andere Knie.

Zwischen den Kindergesichtern eingeklemmt, von beiden Seiten geküßt und mit kindischen Neujahrswünschen überschüttet, erschien der Mann ein ganz Anderer, wie in der eben beschriebenen Scene. Man hätte an eine Verzauberung glauben können, an eine Metamorphose in bester Form, wenn man den Glanz in seinen Augen und das gütige Lächeln seines Mundes belauschte, womit er sich den sehr zutraulichen und liebevollen Liebkosungen seiner Kinder hingab. Die Achillesferse dieses gefährlichen Mannes war also die Vaterliebe, und in ihr allein ruhten die Elemente seiner Besserung, wenn sie sonst noch möglich war.

Seine Gattin, Frau Olga von Sieveringk, erschien auch in seinem Zimmer. In reizendem Morgenanzuge, umwoben von einem merkwürdigen und fremdartigen Zauber, dem eine sonderbare Hurtigkeit und Hastigkeit etwas Gespenstisches beimischte, trat sie auf die Gruppe zu, die ihr Gatte mit den Kindern bildete, und lächelte auf sie herab. Nur einen Moment dauerte das, nein, nur den vierten Theil eines Momentes, dann war sie wieder fort, verschwunden, aus dem Zimmer, ohne daß man es gehört hatte, als sie ging. Ihre kleine Gestalt, im vollendetsten Ebenmaße, von der zierlichsten Art, bewegte sich so schnell und geräuschlos, daß man sie selten kommen und gehen hörte. Sie war da und sie war fort! Nahm man zu dieser Eigenthümlichkeit noch ein scheues, unstätes Wesen, umhüllt vom Schleier einer angebornen Schüchternheit und ihre vollkommen ideale Geistigkeit, so mußte man den Namen „Undine“, den ihr das Publicum gegeben hatte, vollständig natürlich finden. Wer Frau Olga von Sieveringk zum ersten Male an der Seite ihres stattlichen, stolz und hoch gewachsenen Mannes sah, fragte gewiß: „Wie ist der Mann zu dieser Frau gekommen, die so unheimlich blickt, so seltsam lacht, so wenig spricht und so spurlos verschwindet?“ Man erwartete als Erklärung ein besonderes Begegniß, ein abenteuerliches Erlebniß zu hören. Keinesweges. Die Geschichte zeigte sich ganz gewöhnlich und alltäglich.

Der Herr Fabian von Sieveringk war in seiner Jugend der Lion der Residenz gewesen. Seine hervorragende Persönlichkeit, verbunden mit einem glücklichen Humor und der vollendeten Kunst, sich interessant zu machen, hatte ihm dazu verholfen, als ein Schmetterling ersten Ranges sich den holdesten und edelsten Blumen der Haute Volée nähern zu können, und es würde ihm überall eine günstige Antwort geworden sein, wenn er als Bewerber aufgetreten wäre, allein – er verpaßte seine Zeit, und es passirte ihm eines Tages, daß er sich von schönen Lippen, denen er mit Aufbietung aller seiner Liebenswürdigkeit ein Lächeln des Beifalls zu entlocken strebte, hinterrücks „Onkel Fabian“ nennen hörte. Diese Erfahrung verscheuchte plötzlich seinen reizvollen und entzückenden Humor. Er dachte nach, nahm auf mehrere Jahre Urlaub, um die Welt zu durchstreifen, und verschwand vom Horizonte des glänzenden Cirkels, wo er bis zum „Onkel Fabian“ degradirt worden war.

Er besuchte Paris und Rom nebst Allem, was dazwischen lag, ging nach dem Nordpol, besuchte die Finnen, zu denen er seit Mügge’s „Afraja“ eine ganz absonderliche Zuneigung gefaßt hatte, und schlich dann peu à peu, wie er selbst sagte, wieder der Heimatherde zu, als ihm einfiel, daß eine seiner Ur-Urgroßmütter vor hundert und einigen Jahren in irgend einem Winkel der Erde, umflossen von Meeresarmen, einen Mann geheirathet hatte, der Simon von der Höllbork hieß, und er erinnerte sich gerade noch zur rechten Zeit, daß dieses Simon’s Wittwe den Tod ihres Mannes der Familie angezeigt und dabei den Wunsch ausgesprochen hatte, mit dem Stamme Sieveringk in nähern Rapport zu treten.

Herr Fabian machte in seiner Reisetour eine Schwenkung nach Osten, und kam glücklich auf Höllbork an, als gerade Fräulein Olga von der Höllbork wie ein aufgeblühtes Röschen der Stolz und die Zierde der engbegrenzten Heimath war.

Was war natürlicher, als daß sich der fünfundvierzigjährige Lion der Residenz für fähig hielt, das schöne Cousinchen mit seiner Liebe zu beglücken, obwohl er ein Vierteljahrhundert älter war, als sie. Er fand es ganz in der Ordnung, daß Fräulein Olga ihn vor den vierschrötigen Landjunkern ihrer Heimath auszeichnete, und konnte nicht begreifen, weshalb die Mutter des jungen Fräuleins mit einiger Angst und Beklemmung Einwendungen gegen diese Heirath erhob.

Herr Fabian von Sieveringk besiegte ihren Widerstand, der keineswegs seiner Persönlichkeit zu gelten schien, und führte seine bildhübsche kleine Frau triumphirend in die Residenz, wo er förmlich mit ihr Staat und auch Aufsehen machte.

Im zweiten Jahre dieser Ehe wurde dem Regierungsrathe sein Zwillingspärchen geboren, und dabei zeigte sich zum ersten Male, daß unter seiner pomphaften Oberflächlichkeit ein regsames Gemüth verborgen lag. Die Kinder waren seine Leidenschaft und die Kinder waren sein Glück. Alles Andere, selbst seine hübsche Frau, brachte er unter die Loupe des ausgearteten Humors, und regierte Alles mit der Spottsucht. So schonungslos er aber dabei verfuhr, eben so empfindlich war er selbst über Beurtheilungen des allgemeinen Publicums, und er hütete sich mit allen seinen Verhältnissen krankhaft penible vor der Offenbarung von Begebenheiten, die der Spötterei zum Opfer dienen konnten.

In seinem jetzigen Aufenthaltsorte, einer stark bevölkerten Mittelstadt, befand er sich erst seit Jahresfrist, und er hatte die Frau Justizamtmann Starkloff nebst ihrer Nichte, Helene von Kursen, die er beide in der Residenz kennen gelernt, zu seinem Erstaunen hier ansässig getroffen. Frau Starkloff hatte sich nur wegen der Ausbildung Helenens in der Residenz aufgehalten, und als diese vollendet war, hatte sie sich beeilt, in ihr ererbtes Elternhaus zurückzukehren, worin sie mit Helenens Mutter die Freuden der Jugendzeit erlebt hatte. Auch in dieser Stadt brillirte Herr von Sieveringk mit seiner jungen hübschen Frau, mußte aber nach wenigen Monaten schon die unangenehme Bemerkung machen, daß sich eine gewisse Mißliebigkeit gegen dieselbe zeigte. Da er seinen Aufenthalt aber nur als eine Zwischenstation betrachtete, um reif zu irgend einem Präsidentenstuhle zu werden, so forschte er der mysteriösen Abneigung gegen Frau Olga nicht nach, sondern schob sie ohne Weiteres auf die unfertige Bildung der Ortsbewohner, die nicht fähig waren, eine Natur wie seine Frau zu beurtheilen.


II.

Während Herr Fabian von Sieveringk über sein gelungenes Spottwerk triumphirte, war das Herz des Fräulein Helene von Kursen von tiefer Trauer erfüllt und ganz nahe daran, ein Anathema über alle Männerherzen auszusprechen. Aber nur die ersten acht Tage verfiel sie willenlos in den Zustand innerer, aufreibender Schmerzen, dann erhob sich ihr Gemüth und sie stellte muthig feste und gediegene Vorsätze vor ihr Herz, um sich nie wieder einer solchen Verzweiflung überantwortet zu sehen.

Sie gestand es sich selbst gern zu, daß sie Cécil von Sieveringk lebhaft zugethan gewesen sei, daß sie schwerlich Jemand wieder so lieb gewinnen werde, daß sie aber von seinem abscheulichen Betragen dergestalt beleidigt wäre, um ihn für immer zu verachten. Mädchenherzen verachten und hassen immer, wenn sie in ihren Liebesvoraussetzungen getäuscht werden, allein die Verachtung und der Haß pflegt stets eben so rasch wieder zu verschwinden, wie er gekommen ist, wenn der Gegenstand der Liebe reuevoll sein Unrecht einsieht.

Weit weniger ist dem Hasse zu trauen, den die Mütter oder Tanten der Betrogenen in sich aufspeichern, und zwar zeigt er sich um so gefahrdrohender, wenn Frauen vom Charakter der Tante Starkloff ihn in sich aufzunehmen Gelegenheit finden.

Die Frau Justizamtmann Starkloff gehörte zu den „weisen Damen des Morgenlandes“, wie der Onkel Fabian von Sieveringk

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