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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Tabaksqualm erfüllten niederen Zimmer wurde manches bedeutende Wort gesprochen, mancher göttliche Gedanke zu Tage gefördert, wenn auch manche unreife Idee dazwischen lief und es nicht an tollen Behauptungen und Paradoxen fehlte, die man der Jugend nicht zum Vorwurf machen darf. Das deutsche Studentenleben blühte hier in seiner schönsten Pracht, noch nicht getroffen von dem Mehlthau der späteren Verfolgungen und von dem Wurme der Reaction benagt.

Es war der Frühling der jungen Burschenschaft, welche erst später durch die Gewalt der Verhältnisse in eine verderbliche Bahn getrieben wurde, wo sie nicht durch eigene, sondern durch fremde Schuld ihre ursprüngliche Reinheit einbüßte und in dunkle Verschwörung und gefährliche Umtriebe ausartete.

Nachdem Hagen noch einige Zeit in diesem Kreise verweilt, von dem er sich nur schwer trennen konnte, brach er endlich auf, weil er Sand nicht länger warten lassen wollte. Der zudringliche Berthold ließ es sich nicht nehmen, ihm bis zu seinem Hause das Geleit zu geben, wo er einen überaus zärtlichen Abschied von dem wieder versöhnten Freunde nahm.

„Auf Wiedersehn!“ rief er ihm zu. „Du hast doch keinen Groll mehr gegen mich?“

„Nicht eine Spur,“ entgegnete Friedrich und reichte ihm zur Bekräftigung die Hand.

„So schlafe wohl und träume von Deiner Julie!“

Es lag ein eigenthümlich boshafter Ausdruck in den letzten Worten des Scheidenden, aber Hagen war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um darauf zu achten. Er zweifelte keinen Augenblick an der Aufrichtigkeit des Anderen. – Als er in das ihm angewiesene Quartier trat, fand er Sand bereits hier, der ihn erwartete. Trotzdem Beide ermüdet waren und von den vielfachen Eindrücken des Tages sich angegriffen fühlten, konnten sie nicht sogleich zur Ruhe kommen. Ihr Herz war zu voll und sie saßen noch bis gegen Mitternacht im eifrigen Gespräch. Sand war ganz erfüllt von den herrlichen und bedeutenden Jünglingen, die er in der Sitzung des Ausschusses kennen gelernt hatte.

„Du wirst sie morgen,“ sagte er, „bei der Feier sehen und hören, um Dir selbst ein Urtheil über sie zu bilden. Die edelsten Söhne hat das Vaterland geschickt, wo solche Geister blühen und solche treue Herzen schlagen, verzweifle ich nicht. So viel steht jetzt fest bei mir: es kann für das liebe deutsche Vaterland kein Heil kommen, es sei denn durch eine allgemeine freie Burschenschaft, in der Deutschlands edelste Jugend verbrüdert lebt.“[1]

„Ich bin darin mit Dir vollkommen einverstanden.“

„Aber wir müssen auch dazu thun und deshalb habe ich für den morgenden Tag einen Vorschlag drucken lassen, den ich zu vertheilen gedenke, da mir die Gabe der Rede nicht in solchem Maße zu Gebote steht, wie anderen Brüdern. Jeder muß nach besten Kräften dazu thun, unsere hohe Sache zu fördern. Ich will Dir meinen Aufsatz vorlesen, wenn Du nicht zu müde bist.“

Dies geschah, da Hagen mit Freuden einwilligte, und Sand entwickelte in einer längeren gedruckten Ansprache mit der Ueberschrift: „Zum achtzehnten des Herbstmonats im Jahr nach Christo achtzehnhundert und siebzehn auf der Wartburg“, seine Ansichten und Meinungen in einem zwar dunklen Style, dem es aber nicht an Schwung und Wärme fehlte. Vor Allem aber wies er darin auf die Nothwendigkeit einer allgemeinen Burschenschaft hin, in welche die vereinzelten Verbindungen zusammenschmelzen sollten. War auch die Sprache unbeholfen und der Sinn zuweilen verborgen, so entschädigte dafür die Gluth und Begeisterung, womit er seinen Gegenstand auffaßte und behandelte. Man fühlte unwillkürlich, daß es ihm ein heiliger Ernst war und daß er bereit schien, jedes Wort mit seinem Leben zu vertheidigen. Aus jeder Zeile leuchtete ein fester Wille und ein unbeugsamer Muth.

Der Morgen des achtzehnten Octobers brach in wunderbarer Klarheit an und versprach einen schönen, heitern Tag für das Fest. Feierliches Geläute der Glocken erschallte von den Thürmen der Stadt und unter den frommen Klängen versammelten sich die Studenten, meist in schwarzer altdeutscher Tracht, auf dem Markte, wo sich der Zug allmählich ordnete. Es war ein wunderbarer und erhebender Anblick. – Fünfhundert blühende Jünglinge aus allen Gauen des deutschen Vaterlandes waren hier versammelt, um ein wahres Nationalereigniß in würdiger Weise zu begehen; jeder unter ihnen wurde mehr oder minder von heiliger Begeisterung durchglüht. Zwei und zwei setzten sie sich in Bewegung, die Mützen und Hüte mit dem Laube der heimischen Eiche umkränzt; voran der erwählte Burgvoigt mit dem entblößten Schwerte der Jenaer Burschenschaft, gefolgt von den Burgmännern, in deren Mitte der Fahnenträger mit der schwarz-roth-goldenen Fahne schritt, die im frischen Herbstwinde stolz und lustig flatterte. Ihm zur Seite ging Sand als Fahnenbegleiter, die blanke Burschenwaffe in der Hand, mit gerötheten Wangen und überirdisch glänzenden Blicken.

Es war der schönste Tag seines Lebens und eine sonst nie gekannte Freude verklärte sein ernstes, blasses Gesicht.

„Jetzt möchte ich sterben,“ betete er, von einer unerklärlichen Ahnung erfaßt. „Herr, laß Deinen Diener in Frieden dahinscheiden, nachdem er solche Herrlichkeit geschaut!“

Die schmetternden Töne der Musik weckten ihn aus seinen Träumen; er fuhr empor und erblickte die alte Wartburg, welche im Morgenlichte mit ihren Erkern und Fenstern golden herniederglänzte. Bei diesem Anblicke ertönte ein einstimmiger Jubelruf von den Lippen der fünfhundert Studenten. Immer klarer und deutlicher zeichneten sich die alten Mauern in der durchsichtigen Luft ab; der Geist der Vergangenheit schien aus den geweihten Hallen die frische Jugend begrüßen zu wollen. Die Burg hatte ihren Festschmuck angelegt und mit grünen Tannenreisern sich geziert, was ganz wunderbar von dem grauen Gemäuer abstach. In musterhafter Ordnung betrat jetzt der Zug den zu diesem Zwecke geöffneten Rittersaal, an den sich jene mächtigen Erinnerungen an die Zeit der Minnesänger und der Reformation knüpften. Hier hatten sich bereits die Eisenacher Behörden, die dortige Geistlichkeit und vier von Jena angekommene Professoren, Schweizer, Kieser, der geniale Oken, und der freisinnige Fries eingefunden, um an der schönen Feier des Tages Theil zu nehmen.

Mit einem Male erschallte der hundertstimmige Chor: „Eine feste Burg ist unser Gott“ so mächtig und brausend, daß die gewölbten Hallen erzitterten; das Kampflied der neuen Zeit, welches Luther im erhabenen Gottvertrauen einst angestimmt und das jetzt seinem Andenken zu Ehren an der Stätte triumphirend klang, wo er selbst gewirkt, gelebt und gestritten hatte.

Welche Erinnerung!

Nachdem die feierlichen Töne verhallt waren, bestieg der Festredner Riemann, Ritter des eisernen Kreuzes, die aufgestellte Rednerbühne und begrüßte im Namen der Jenenser Burschenschaft Alle, die herbeigekommen „zur gemeinschaftlichen Feier des Wiedergeburtsfestes des freien Gedankens und des Errettungsfestes des Vaterlandes aus schmählichem Sclavenjoche.“

Von Neuem ertönte der Gesang: „Nun danket alle Gott.“

Thränen der Rührung und Begeisterung netzten die Wangen der Studenten und aller Anwesenden, die aus der Nähe und Ferne herbeigeströmt waren.

Da betrat Hofrath Fries, von allen Seiten dazu aufgefordert, die Rednerbühne. Lautlose Stille herrschte in dem Saale und die Blicke der Jünglinge hingen an den Lippen des allgemein, geliebten Lehrers, der, von der Gewalt des Augenblickes ergriffen, folgendermaßen sprach:

„Ihr deutschen Burschen![2]

„Aufgefordert von Euch, zu sprechen, gebe ich keine Rede, keine Lehre, nur ein Wort des Gefühls, ein Wort, ein treues Wort im Namen Eurer freien Lehrer auszusprechen!

„Sei uns gegrüßt, Du helles Morgenroth eines schönen Tages, der über unser schönes Vaterland heraufkommt; sei uns gegrüßt, du geisteswarmer, jünglingsfrischer Lebensathem, von dem ich durchhaucht fühle mein Volk!

„Ihr deutschen Burschen!

„Lasset Euch den Freundschaftsbund Eurer Jugend, den Jugendbundesstaat, ein Bild werden des vaterländischen Staates, dessen Dienst Ihr bald Euer ganzes Leben weihen wollt. Haltet fromm bei Tapferkeit, Ehre und Gerechtigkeit!

„Ihr deutschen Burschen!

„Lasset aus dem Freundschaftsbund Eurer Jugend den Geist kommen in das Leben unseres Volkes, denn jünglingsfrisch soll uns erwachsen deutscher Gemeingeist für Vaterland, Freiheit und Gerechtigkeit!

„So bleibe Euch und uns der Wahlspruch:

Ein Gott, ein deutsches Schwert, ein deutscher Geist für Ehre und Gerechtigkeit![3]

  1. Sand’s eigene Worte.
  2. Wörtlich.
  3. Ebenfalls wörtlich.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_090.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)