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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

entgegen lauschte. Es erfolgte jedoch nichts, und wir beeilten uns deshalb, so schnell als möglich nach Steileck zu gelangen, von wo aus Alles zu übersehen sein sollte. Bald erreichten wir das wunderbar schön gelegene Pürschhaus, Der Herzog war mit seinem Leibschützen schon oben und beobachtete denselben Hirsch, der uns in so große Aufregung versetzt hatte. Hier wurde ich von dem Herzog auf das Huldvollste empfangen und in das Pürschhaus eingeführt, von wo aus man jedenfalls eine der seltensten Aussichten hat, die wohl überhaupt das Gebirge bieten kann. Ueber das Rißthal hinweg in ein Seitenthal, irre ich nicht, Johannesthal genannt, schweifte das Auge hinüber, um in duftig blauen, edelgeformten Gebirgslinien zu schwelgen. Ein Wasser, das im Thale fließt, schlängelte sich wie ein silbern glänzendes Band dahin. Mit voller frischer Bewunderung machte mich der hohe Jäger auf diese herrliche Natur aufmerksam und auf Augenblicke wurde der Hirsch vergessen. Doch es durfte nicht gezögert werden. Der Herzog beschloß, nach dem Hirsch zu pürschen, und führte dies, nachdem er noch die nöthigen Befehle an die Jäger ertheilt hatte, sofort aus. Ebenso rasch als vorsichtig verschwand er auf kurze Zeit thalabwärts, um bald an der jenseitigen Lehne, jedoch weit ab vom Hirsch wieder zu erscheinen. Mit wunderbarer Behendigkeit und nicht weniger Sicherheit und Behutsamkeit klimmte der ritterliche Waidmann zur Seite des Hirsches empor, um über ihn zu kommen und so von oben mit gutem Winde auf Schußweite sich heranpürschen zu können. Mit Herzklopfen verfolgte ich, das Fernglas vor dem Auge, jede Bewegung des Jagdherrn, um dann schnell wieder nach dem Hirsch zu sehen, ob dieser noch ruhig sei. Der ahnte nicht, daß ihm der Tod so nahe; doch zog er dem Wilde nach in einem Streifen hoher alter Fichten, die von Unterwuchs umgeben waren, so daß man von Steileck nichts mehr vom Wilde sehen konnte. Auch dem Herzog schien es nicht besser zu gehen, und die Instructionen, die der Leibschütz und Moosrainer hatten, nämlich durch Handbewegungen anzudeuten, wo sich der Hirsch befinde, waren nicht mehr ausführbar. Da entschlossen sich die beiden Jäger, auf eigene Verantwortung hin zu manövriren, um so ihrem Gebieter den Hirsch zu Schuß zu bringen. Und es gelang.

Jagdschloß des Herzogs von Gotha im Hinterriß.

Während der Leibschütz mit einem anwesenden Treiber die entgegengesetzte Flanke, an der der Herzog stand, deckte, um den Hirsch am dortigen Herausziehen zu verhindern, pürschte Moosrainer geradezu auf den Hirsch los, um von ihm bemerkt zu werden und ihn zur Flucht zu veranlassen. Das doppelte Interesse, mit dem ich dies Alles beobachtete, sollte sich bald bis zur höchsten Spannung steigern. Das Wild hatte von Moosrainer Wind bekommen und wurde flüchtig. Erst kam ein Stück nebst Kälbchen, dann ebenso noch ein Thier, und ihnen folgte eines ohne Kalb. Sie kletterten über ein ausgetrocknetes Gießbachbette hinweg, um höher hinauf zu steigen. Eine kleine Pause, – und es erschien der Hirsch selbst. Den Kopf gerad aus, nicht hoch über den Körper tragend, eilte er dem Trupp nach. Jetzt mußte er, so viel ich von meinem Standpunkt aus beurtheilen konnte, dem Herzog schußgerecht sein! Mich ergriff dabei förmlich das Hirschfieber, als stände ich selbst mit der Büchse in der Hand bereit, das edle Thier zu erlegen. Unverwandt verfolgte ich den Hirsch mit den Blicken, um den Moment, wenn er die Kugel bekäme, nicht zu versäumen. Plötzlich wich der Hirsch links vom Trupp ab, und schon glaubte ich, da ich keinen Schuß vernahm, er habe den Schützen in Wind bekommen und wolle einen andern Wechsel annehmen, als der Schuß donnernd zu mir herüberhallte. Er hatte bereits vorher getroffen. Nur wegen der Entfernung hatte ich die Wirkung der Kugel so viel früher gesehen, bevor ich den Schuß hörte, und darum das Abgehen vom Trupp – ein, wie ich aus Erfahrung wußte, sicheres Zeichen des Getroffenseins – für etwas Anderes gehalten. Nicht weit mehr ging der Hirsch, so sah man, wie es ihm an’s Leben ging und er nicht mehr zu steigen vermochte. Zwar versuchte er es, aber schon fing er an zu taumeln; dennoch hielt er sich noch, und mühsam wendete er die letzten Kräfte an, seinem Schicksale zu entgehen. Aber es war nicht mehr möglich. Fast nur gleitend, rückwärts weichend, wurde er immer unfähiger, sich zu halten, und indem er den Versuch zum Emporklimmen erneuerte, erfaßte es ihn wie mit unsichtbarer gewaltiger Hand und hob ihn aus, so daß er, sich hoch überstürzend, zusammenbrach und nun in rasendem Fall und mit lawinengleich reißender Schnelle die Gebirgslehne hinabstürzte, An einem dichten Laatschengebüsche gewann der rollende, mächtige Körper Halt, und ich glaubte ihn nun dort zerrissen hängen bleiben zu sehen – da raffte sich, wahrhaft gespenstig, das edle Thier noch einmal halb empor – doch der Tod, mit dem es kämpfte, klammerte sich an das ihm verfallene Opfer und, wieder zusammenbrechend, rollte es mit neuem Schwunge vollends hinab bis ziemlich auf den schon erwähnten Pürschpfad, wo es verendet liegen blieb.

Mit gemsengleicher Geschicklichkeit war der Herzog seiner stürzenden Beute gefolgt, und kam bald nach ihr auf dem Wahlplatze an. Natürlich litt es auch mich nicht an meinem stillen Amphitheater, denn wie von einem solchen aus hatte ich der tragischen Scene zugeschaut, sondern ich lief, was ich konnte, hinzu. Auch die Jäger kamen ihrem kühnen Herrn nach. Leuchtenden Auges, ein Typus ritterlich männlicher Kraft, in seiner ganzen Erscheinung das Urbild eines echten Jägers, stand der fürstliche Waidmann an dem von ihm erlegten Recken, dessen mit mächtigem Geweih gekrönter Kopf noch den vollen Zornesausdruck des kampfbereiten Verfechters seines Harems besaß, während andererseits der Tod einen wehmüthigen schmerzlichen Zug hinzugefügt und das gebrochene Auge mit smaragdenem, mattem Glanze übergossen hatte. Noch vor einer Stunde war der herausfordernde Ruf des nun auf immer Verstummten erklungen – und unwillkürlich empfand ich Trauer, ein so prächtiges Thier gefällt zu sehen. – Doch so fühlt man nur ohne Büchse!

Einen höchst malerischen Anblick gewährte es, wie der Hirsch auf einer rasch hergestellten Trage von den kräftigen Männergestalten der Jäger, so wie des baumlangen und urmarkigen Treibers – er hieß Jackel – auf schmalem, steinigem Pfade nach dem Pürschhaus getragen wurde.

Ein echtes Waidmannsfrühstück, aus Gems- und anderm Wildpret

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_061.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)