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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

eingerichteten Bibliothek und einem ausgesuchten Naturaliencabinet dienend; ferner auf der äußersten Spitze der Stadt die alte Gertrudenkirche und die, jetzt protestantische, Kirche Sanct Stephan, aus dem elften Jahrhundert stammend. Den bei Weitem imposantesten Anblick aber gewährte mir die auf der Höhe des Michelsberges ruhende ehemalige Benedictinerabtei, ebenfalls von Kaiser Heinrich II. erbaut und seit 1803 säcularisirt. Ihre beiden Thürme ragen wie mächtige Erinnerungszeichen an die versunkene Glorie der Hierarchie in die Wolken und man kann sie nicht anschauen, ohne lebhaft daran zu denken, wie sie einst Zeugen waren von dem großen Einflusse geistlicher Herrschaft.

Ein helleres, freieres Leben waltet und entfaltet sich jetzt überall in der Runde. Muntere Gewerbthätigkeit, welche nicht mehr, wie vor Zeiten, blos einem exclusiven Stande zinsbar ist, verleiht der ohnehin freundlichen fränkischen Städteperle einen überaus gemüthlichen Charakter. Dieser magische Eindruck verstärkte sich in mir, als ich Bambergs Mauern verließ und vor seinen Thoren all' die herrlichen Flächen mit Spargel, Bohnen, Schoten, Salat, Zwiebeln, Radieschen, Kohlköpfen, gelben Rüben, Anis, Koriander, Mohn, Süßholz etc. bemerkte, welche ein Zeugniß geben von der großen Ausdehnung der landwirtschaftlichen Gärtnerei Bambergs, namentlich auch des Anbaues officineller Kräuter. Statistische Ausweise nennen in Bamberg allein an 540 Gärtner mit circa 400 Gehülfen.

Noch einmal weckte der Anblick der kaum eine Viertelstunde von der Stadt entfernt hoch auf dem Berge liegenden Alten oder Babenburg, der Wiege Bambergs, in mir trübe, geschichtliche Erinnerungen. Hier, wo das Auge des Reisenden bis nach Nürnberg, Würzburg, Koburg, Baireuth etc. schweifen kann, ermordete Otto von Wittelsbach im Jahre 1208 den unglücklichen Kaiser Philipp von Schwaben; hier vollführte ein elender Bischof den schändlichen Verrath gegen den Grafen Adalbert von Babenberg, indem er, als Bote eines die Burg belagernden feindlichen Heeres gekleidet, in die Burg kam, und ihren Besitzer aufforderte, zu Friedensverhandlungen ihm gegen das Versprechen des freien Geleits ins feindliche Lager zu folgen. Graf Adalbert erklärte sich ohne Furcht bereit dazu, denn er war ein gerader deutscher Mann, wie das schöne Bamberg auch damals deren viele barg. Nachdem er den Bischof köstlich bewirthet und dieser ihm geschworen hatte, ihn unversehrt in seine Burg zurückbringen zu wollen, ritten Beide über die Zugbrücke der sicheren Veste in’s Freie, dem bischöflichen Feldlager entgegen. Kaum tausend Schritte weit hatten sie ihre Rosse getragen, da fing der Bischof an zu jammern und meinte, sein Tod müsse nahe sein. „Ach,“ rief er, „lasset uns nach Eurer Burg umkehren, auf daß ich nicht im Freien verende!“ Graf Adalbert hieß ihn umkehren. Beide ritten wieder in die Burg. Da aber genas der Bischof so schnell, daß er in Begleitung des arglosen Grafen schon kurz darauf wieder herausreiten konnte. Im Lager angekommen, warf der Bischof plötzlich die höllische Maske ab, und ließ den Grafen fesseln. „Bindet den Hund!“ schrie er jetzt, „und henkt ihn an den Galgen!“ Graf Adalbert berief sich auf das ihm zugeschworne freie Geleit. „Wie,“ entgegnete der Bischof, „habe ich Dich nicht, wie ich geschworen, unversehrt in Deine Burg zurückgebracht, als ich unterwegs erkrankte, und wir umkehrten?“ „O schändlicher Verrath!“ rief schmerzvoll der getäuschte Mann, indem er die Hände vor’s Gesicht schlug und solche pfäffische Bosheit nicht fassen konnte. Er mußte sterben. Mit Wehmuth ward mein Herz erfüllt, als ich durch eine Halle, die mit Schilden, Wappen und anderen Denkmälern einer längst erstorbenen Zeit geschmückt ist, in den inneren Burghof schritt, und den in dessen Mittelpunkt liegenden hohen Thurm bestieg. Erst als sich hier vor meinem Blicke das bezaubernde Panorama einer meilenweiten Umgebung mit Anhöhe und Thal, Holz, Feld und Garten aufrollte, und die glänzende Fluth der Regnitz flüchtig nach dem Maine dahinschoß, da ward der traurige Eindruck magisch verwandelt, und ich athmete wieder freier auf.

Noch muß ich, bevor ich die alte Babenburg verlasse, eines Mannes gedenken, dessen Name in der Literatur Deutschlands noch immer vielfach genannt wird, nämlich J. T. Hoffmann’s, des Verfassers der „Phantasiestücke in Callots Manier“, der einst in einem Thurmzimmer der Babenburg hauste, und hier mehrere seiner genial verfratzten Phantasien zeichnete, z. B. „die Elixire des Teufels“, und so dem classischen Boden seine classische Narrheit einimpfte. Nur ungern scheide ich von dir, schönes Bamberg, und mein schautrunkenes Auge hängt an deiner lächelnden Flur, wie der Blick des liebedürstenden Jünglings am Antlitz der holdseligen Jungfrau. Du hast mich reich erquickt, Perle im Frankenlande, und zum Danke nehme ich dich als erstes Bildlein mit wenigen starken Strichen in meine Reisemappe auf. Da ist dieses Bildchen, freundlicher Leser der Gartenlaube; sieh Dir's an, und wenn Du Deinen Wanderstab durch das reich wechselnde Franken setzest, so vergiß ja nicht, Dir sein lockendes Urbild anzuschauen.




Erinnerungen eines alten Jenensers.
Zur Vorfeier des Jubelfestes.
Nr. 1.

In dem lieben alten Jena wird viel Freude und Lust sein. Die Hochschule feiert in der zweiten Hälfte des Augustmonats ihr dreihundertjähriges Jubelfest, und tausend ehemalige Burschen werden herbeiströmen, um sich noch einmal jung zu fühlen. Olim meminisse juvabit! Sie kommen aus allen Landen, wo die deutsche Zunge klingt und vaterländische Lieder singt, selbst aus Ungarn und Siebenbürgen haben sie sich angemeldet, und wenn das Gerücht Wahrheit spricht, werden auch alte „Germanen“ nicht vermißt werden, die nun schon seit einem Menschenalter am Mississippi leben. Denn wohin wären nicht alte Jenenser verschlagen worden? Von denen, mit welchen ich einst so manches Kännchen Lichtenhainer oder Ziegenhainer geleert, war Einer längere Zeit Gouverneur der spanischen Provinz Huesca, nachdem er sich durch tapfere Kriegsthaten wacker hervorgethan. Ein Anderer, Gustav Körner, war Vicegouverneur des Staates Illinois und ist angesehener Bürger in der deutschen Stadt Belleville; ein Dritter, Wislicenus, hat die weiten nordamerikanischen Prairien durchzogen und die Felsengebirge überstiegen; ein Vierter Sibirien durchwandert; Andere sind im fernen Texas angesiedelt oder haben den Sand der afrikanischen Wüsten durchmessen, leben am Erie-See, in Australien, am Fuße des feuerspeienden Vesuv, unter allen Zonen. Den Meisten ist freilich ein ruhigeres Loos beschieden worden; sie rückten gemächlich in Amt und Würden ein und sind Pfarrer oder Richter, Advocaten, Professoren oder Aerzte geworden, sie bestellen den Acker ihrer Väter und Einige haben es bis zum Staatsminister gebracht. Aber Alle ohne Ausnahme, wo sie auch sein mögen, tragen warme Anhänglichkeit im Herzen für das liebe Jena, und wo immer alte Jenenser zusammentreffen, sei es irgendwo im deutschen Lande oder in ferner Fremde, — allemal ist bald ein freundschaftliches Einvernehmen gefunden, alte Erinnerungen tauchen auf und der Sinn wird froh. „Auf den Bergen die Burgen, im Thale die Saale und im Städtchen die Mädchen.“

Und diese warme Empfindung wird durch die Zeit nicht abgeschwächt; bei mir wenigstens ist sie noch eben so frisch, innig und lebendig, wie damals, als ich das Lied anstimmen mußte: „Bemooster Bursche zieh ich aus.“ Auf nicht weniger als vier Universitäten habe ich studirt, deren Leben und Eigentümlichkeiten kennen gelernt, auf allen gute Dinge gesehen und sehr heitere Tage in jugendlicher Lust verbracht; ich kenne noch ein halbes Dutzend anderer Hochschulen, aber keine ist mir so lieb gewesen und geblieben, wie Jena. Auch habe ich gefunden, daß bei meinen sämmtlichen Freunden und Bekannten dasselbe der Fall ist. Dieses kleine, auch heute noch von keinem Schienenstrange berührte Jena übt einen ganz eigenthümlichen Zauber. Schon der Anblick des Städtchens macht aus der Ferne einen sehr freundlichen Eindruck, es liegt so ruhig und wohlig hingegossen in dem reizenden Thale, die Umgebungen sind von vornherein so anmuthend und werden einem täglich lieber. Das Ganze ist eine ruhige, freundliche Idylle, die unser Herz erquickt, und in der Stadt selbst fühlt man sich schon nach wenigen Tagen heimisch. Man weiß sich unbehindert, man findet fröhliche Kumpane aus allen Gauen und lebt sich rasch ein. Durch Jena ist, dem Himmel sei es gedankt, nie ein finsterer Geist gegangen, die Bücker und Mucker haben in der reinen Luft keinen Boden gewonnen; das Andenken an jene großen Tage, in denen

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