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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 30. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.   Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Herr Referendarius.
Erzählung vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“
(Fortsetzung.)

„Sie scheint Sie zu einem eingebildeten Narren gemacht zu haben.“

„Mein Herr, mich konnten Sie beleidigen; aber keine Beleidigung hoher Personen; das darf ich nicht dulden, weder in meiner Stellung als Vater, noch überhaupt in meinem Gewissen als Unterthan. Wollen Sie subscribiren?“

„Nein.“

„Sollte ich mich wirklich in Ihnen geirrt haben?“

„Zum Teufel, Herr –“

„Ich habe hohe Verbindungen hier, nicht blos in den Künsten und Wissenschaften –“

„Gehen Sie zum Teufel mit Ihren Künsten und Wissenschaften.“

„Auch bei der Polizei, mein Herr, und Sie haben vorhin gegen hohe Personen –“

„Kerl, ich schmeiße Dich zur Thüre hinaus.“

„Mein Herr, ich bin kein Bettler –“

„Aber ein unverschämter Lump!“

„Sie wollen also nicht subscribiren?“

„Den Rücken werde ich Ihnen bläuen!“

Der Herr Ehrenreich sprang zu einem spanischen Rohr, das in der Ecke stand. Das half. Mit einem behenden Satze war der würdige Herr aus der Stube und aus dem Gange hinaus.

„Madame!“ rief der Herr Ehrenreich, als er fort war. „Madame, kennen Sie einen Menschen, der Pfaffenhorst heißt?“

„Gewiß, mein Herr. Die Concerte seines sechsjährigen Kindes werden oft durch die Zeitungen angekündigt.“

„Also doch?“

„Sie werden aber in neuerer Zeit nicht mehr so fleißig besucht. Es gibt seit Kurzem zu viele solcher Wunderkinder hier in Berlin –“

„Dem Sitze der Künste und Wissenschaften!“

„Und sodann bleibt der Knabe nun schon seit drei Jahren immer sechs Jahre alt.“

„Ah, ich hatte es gedacht. Aber, der Bursche muß in die Höhe geschossen sein.“

„Ach, mein Herr, solche frühreife Kinder bleiben in ihrer körperlichen Ausbildung zurück.“

„Diese verdammte Geniefabrik!“

„Sie werden oft sogar absichtlich in ihrer äußeren Entwickelung zurückgehalten, durch Hunger, Kälte – damit man sie lange für sechs Jahre ausgeben kann.“

„Ei, dieses verdammte Berlin, dieser Höllenpfuhl der Künste und der Aufklärung! Laß den Kerl mir wieder vor die Augen kommen!“

Während dieses Gesprächs war die Thür zu der Wohnung wieder geöffnet worden, und zwar ohne daß geklingelt war. Eins von den Kindern der Frau Rohrdorf hatte zufällig an der Thür gestanden, draußen vor dieser Schritte gehört und geöffnet. Ein Mann hatte nach dem Herrn Ehrenreich gefragt, das Kind hatte ihm seine Stube gezeigt; er nahm seinen Weg dahin. Der Herr Ehrenreich hörte die Schritte im Corridor. Schnell lüftete er die Gardinen und blickte hinaus.

„Ah, ah, endlich!“ sagte er vergnügt.

Auch die Frau Rohrdorf hatte einen Blick durch die schmale Oeffnung der Gardine geworfen; zwar nur einen flüchtigen, aber sie schien damit genug gesehen zu haben. Sie fuhr beinahe erschrocken zurück.

„Der da!“ rief sie.

Der Herr Ehrenreich winkte ihr, ihn zu verlassen, und zwar durch seine Schlafstube, damit der Angekommene, den er in das Besuchzimmer einließ, sie nicht sehe. Sie ging.

Der Fremde war ein kleiner, schmächtiger, gewandter Mensch, mit einem blassen, aschgrauen Gesichte, glatt anliegenden schwarzen Haaren, grauen, verschleierten Augen, mit denen er in kein anderes Auge, aber desto schärfer, durchdringender und schneller überall sonst wohin sehen konnte. Wo man ihm auch begegnet sein mochte, man hätte gewiß zuerst an Uhr, Börse und Taschentuch gedacht und sich die Taschen zugehalten. Wäre man in einsamer Gegend auf ihn gestoßen, man würde sich eines plötzlichen Messerstiches von hinten oder einer Pistolenkugel in das Genick versehen haben. Der Herr Ehrenreich schien von dem Menschen gar nichts zu fürchten, den er vielmehr als einen Vertrauten behandelte.

„Was bringen Sie, Herr Henne?“ kam er ihm eilig und erwartungsvoll entgegen. „Haben Sie gefunden?“

„Leider noch nicht, Herr Ehrenreich.“

„Gar nichts? Keine Spur?“

„Auf einer Spur wäre ich schon –“

„Lassen Sie hören –“

„Vor allen Dingen Geduld, Herr Ehrenreich. Die Polizei darf immer nur leise und vorsichtig gehen, sonst drehet alle Welt ihr Nasen.“

„Mit Eurer verdammten langsamen Vorsicht. Ich denke, Räder, die gut geschmiert werden, fahren desto schneller.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_409.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)