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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)


„Ich mache Sonnette.“

„Ein ausgezeichnetes Genre.“

„Und so ganz geschaffen für das weiche und tiefe Gemüth des Weibes.“

„Sie dichten gewiß auch Reisesonnette?“

„O gewiß; es wirft sich jetzt ja Alles auf die Reiseliteratur. Ach, ich muß mir gleich erlauben, Ihnen von meinen neuesten Sonnetten einige vorzulesen.“

„Sie werden mir eine große Ehre erzeigen. Darf ich fragen, ob Sie direct von Hamburg hierher gereiset sind?“

„Gott bewahre, ich habe viele poetische Streifereien gemacht und nenne meine Sonnetten Kreuz- und Querzüge.“

„Welche Gegenden besuchten Sie vorzüglich?“

„Meine Lieblingsgegenden sind die Torfmoore; es ist eine so tiefe Poesie darin.“

„Ah, Sie waren in denen der Provinz –?“

„Nein, mein Herr, dort war ich nie.“

Sie sagte das so offen und aufrichtig, daß ich nicht zweifeln konnte. Gleichwohl mußte ich auch noch über eine Stunde bei der geistreichen Dame ausharren und ihre Sonnetten-Kreuz- und Querzüge anhören.

Am andern Tage erging es mir noch schlimmer. Ich kam wieder zu einer Madame Meier aus Hamburg, die ihrem Aeußeren nach die Gesuchte sein konnte, obwohl sie sehr vornehm und strenge aussah.

„Was wäre Ihnen gefällig, mein Herr?“

„Meine Gnädige, ich habe erfahren, daß Sie vor Kurzem in der Provinz – waren.“

„Wer hat Ihnen das gesagt, mein Herr?“

„Sie waren also dort?“

„Wer hat Ihnen das gesagt?“

„Einer meiner Freunde.“

„Wenn es Sie interessirt, mein Herr, ich war dort.“

„Und wann, meine gnädige Frau?“

„Sie sind der Herr Menzel aus –?“

„Ja, meine Gnädige.“

„Hat die Polizei zu – etwa auch mit mir zu schaffen?“

„Teufel! Kannte mich diese Madame Meier aus Hamburg? Oder schlug sie in ihrer Strenge auf das Gerathewohl los? Ich war in der That in Verlegenheit, was ich weiter thun sollte. Allein die Dame überhob mich aller weiteren Mühe, sie wandte mir kurz den Rücken zu und ließ mich stehen. Sie kannte mich übrigens nicht, wie ich später erfuhr.

Ich kam zu der fünften Madame Meier aus Hamburg.

„Ach, Herr Menzel aus –?“ sagte mit einem boshaft spöttischen Lächeln der Bediente, als ich meinen Namen genannt hatte. „Madame Meier ist für Sie nicht zu sprechen.“

Da war ich also schon früher angemeldet, zum Glück ebenfalls nur als Herr Menzel.

„Der Meiernarr!“ rief mir der Bediente nach, als ich eilig ging, und ich sah ein, daß ich auf dem betretenen Wege nicht weiter gehen könne. Die Polizei kann doch noch nicht Alles.

Aber was nun weiter anfangen? Ich war in halber Verzweiflung, und auf einmal so heruntergekommen, wie der ordinärste Verbrecher, der in jedem Polizeibeamten einen Häscher erblickt, der ihm sein Verbrechen ansieht und ihn einfangen will. So war mir, daß jeder Mensch mir den –schen Polizeimenschen ansehen müsse.

Indeß was anfangen? Vorläufig ein paar Tage gar nichts. Dann weiter nachdenken: auch etwa wieder auf einen glücklichen Zufall warten, unterdeß mich zerstreuen, so gut wie möglich. Ich setzte diesen Entschluß sofort in’s Werk.

In der Badeliste hatte ich den Namen der Oberstin von Wüsthof aus der Residenz gefunden, die ich kannte. Ich suchte sie auf; es war Nachmittags. Sie war nicht zu Hause. Sie machte eine Promenade und in einer Stunde werde sie zurück sein, sagte mir der Bediente.

Ich machte bis dahin gleichfalls eine Promenade, und ging um das alte Schloß Badens herum, in eines jener wundervollen Thäler, die sich nach der Murg hinziehen. Es war einsam und still in dem Schatten der riesigen Eichen und Tannen. Ich ließ mich unter einem der Bäume hinter einem kleinen niedrigen Gebüsch auf dem Moose nieder und wollte mich in Gedanken und Gefühle versetzen, die dem schönen, stillen, einsamen, schattigen Thale entsprachen. Der Teufel treibt andere Spiele mit einer Polizeiseele. Ich konnte nur an Madame Meier aus Hamburg denken; dennoch sollte bald etwas Romantisches in meinem Innern Platz finden. Ich hörte Stimmen nahen, und durch das Gebüsch sah ich nach ihnen. Ein junger Mann und eine junge Dame gingen zärtlich Arm in Arm. Es war ein großer hübscher Mann mit einem stolzen, kühnen Blick, die Dame ein sehr zartes, leidend aussehendes Wesen, mit einem außerordentlich innigen, frommen Ausdrucke des Gesichts. Ich hatte Freude an dem stolzen, kräftigen Mann, und die Dame hätte ich als meine Tochter lieben mögen, sie hegen und pflegen, daß sie in rother, frischer Gesundheit blühe, um dann – Teufel, wie war ich plötzlich so sentimental geworden – um sie dann zur Frau des jungen Mannes zu machen.

Sie ließen sich auf einen Baumstamm an der andern Seite des Gebüsches nieder, etwa fünfzehn bis zwanzig Schritte von mir. Ich war trotz meiner Sentimentalität Polizeimensch genug geblieben, um mich nicht zu verrathen, wohl aber zu horchen. Ich habe manches Liebesgespräch behorcht, behorchen müssen, heilige und unheilige. Ich wurde jetzt Zeuge eines sehr heiligen. Es wurde mir so recht klar, daß es auf Erden doch nun einmal nichts Heiligeres gibt, als die reine Liebe zweier junger Herzen. Und doch steht vielleicht die Mutterliebe noch höher.

Mit ihren Herzen waren die jungen Leute im Klaren, auch schon gegenseitig; sie hatten es sich wahrscheinlich schon hundertmal, immer mit dem süßesten Reize des ersten Geständnisses, gesagt, wie unaussprechlich, wie unendlich sie sich liebten. Aber es war noch ein anderes Bedenken da, eigentlich, wie im Laufe ihrer Unterredung sich ergab, gar zwei.

„Ach, Eduard,“ sagte das junge Mädchen, „heute kann die Antwort meines Vaters eintreffen. Wie wird sie lauten? Der Athem will mir ausgehen, wenn ich daran denke.“

„Aber Dein Vater liebt Dich, er will nur Dein Glück,“ suchte der junge Mann sie zu beruhigen.

„Und ich habe ihm geschrieben, daß ich ohne Dich sterben müsse, und auch die Tante hat es ihm geschrieben. Und ich würde und müßte ohne Dich sterben, Eduard. Schon in dem Augenblicke, als Du mich damals verließest, fühlte ich es klar, daß ich Dich wiederfinden müsse, oder nur den Tod finden könne.“

„Auch ich, auch ich,“ rief der junge Mann, „hatte seit unserer Trennung nur den einen Gedanken, Dich wieder zu sehen, nur das eine Gefühl, daß ich ohne Dich nicht leben könne!“

„Und Du hast Dein Leben gewagt, mich wieder zu sehen, und Du wagst es noch, täglich, stündlich. O, mein Gott, und ich leide das, ich lasse Dich nicht von mir, ich halte Dich. Aber ich kann ja nicht von Dir lassen. Ich kann mich nicht noch einmal von Dir trennen. Es wäre mein plötzlicher, augenblicklicher Tod; auch die Tante sieht es ein, auch Du, darum eben, nur für mich, setzest Du ja Dein Leben ein.“ –

Das waren interessante Enthüllungen für einen Beamten der Polizei. Ich sah mir durch das Gebüsch den jungen Mann genauer an. Ich verglich seine Gestalt, sein Gesicht, sein Benehmen mit allen möglichen Verbrechersignalements, die jemals durch meine Hände gegangen waren, besonders mit den fast zahllosen der politischen Flüchtlinge von 1848. Aber ich mochte deren eben wohl zu viele im Kopfe haben, und darum vielleicht fand ich kein einziges, das zutraf. Ich horchte mit einer gewissen Spannung weiter. Bald kam denn auch das zweite Bedenken zum Vorschein.

„Ich habe die Ahnung, meine gute Ottilie,“ sagte der junge Mann, „daß Dein Vater einwilligen wird. Nach seinen Grundsätzen, nach Allem, was Du mir von ihm sagst, wird er nichts gegen mich einzuwenden haben. Aber ein anderer Gedanke beunruhigt mich.“

„Und der wäre, mein Theurer?“

„Dein Glück, Ottilie. Ottilie, es gibt kein elenderes Leben, als das eines Flüchtlings!“

„Aber wir sind reich, Eduard,“ warf das Mädchen ein. „Du, ich. Du hast schon Dein eigenes Vermögen; ich bin die einzige Tochter eines reichen Vaters. Wir können uns auch im Auslande das Leben so angenehm wie möglich machen. Die Aerzte sagen ohnehin, daß ich schon mit dem nächsten Herbste in den Süden müsse. Wir gehen nach Italien, in das südliche Frankreich, nach Spanien. Die schönsten Länder stehen uns offen für unsere Liebe, für unser Glück.


(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_204.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2018)