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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Es dürfte deshalb gewiß interessant sein, die Tagesordnung des großen Naturforschers kennen zu lernen, die sich mit wenig Ausnahmen stets wiederholt. Durch die gütige Mittheilung jenes Freundes habe ich darüber folgenden Aufschluß erhalten. Humboldt steht gegen halb neun Uhr des Morgens auf; beim Frühstück liest er die eingegangenen Briefe, welche er auch sogleich zu beantworten pflegt. Es gibt wohl keinen pünktlicheren Briefschreiber als ihn, obgleich wenig Menschen eine so ausgebreitete Korrespondenz nach allen Weltgegenden führen mögen. Hierauf zieht er sich mit Hülfe seines Kammerdieners an, um die angemeldeten Besuche zu empfangen, oder selber welche bis zwei Uhr Mittags abzustatten. Um drei Uhr geht er zur königlichen Tafel, woran er für gewöhnlich speist, wenn er sich nicht in irgend einer befreundeten Familie, meist bei Alexander Mendelssohn selbst zu Tische ladet. Erst um sieben Uhr Abends kehrt er in seine Wohnung zurück, wo er bis neun Uhr lesend oder arbeitend verweilt. Von Neuem eilt er an den Hof oder in die Gesellschaft, aus der er gegen halb zwölf Uhr des Nachts wiederkommt. Erst jetzt beginnt seine eigentliche und liebste Arbeitszeit, in der tiefsten, nächtigen Stille schreibt er an seinen unsterblichen Werken, oft bis der helle Tag im Sommer durch die Fenster scheint. Drei Uhr des Morgens ist es schon geworden, wenn dieser jugendliche Greis seinem fast neunzigjährigen Körper eine kurze Ruhe gönnt, um die nöthige Kraft zum neuen Tagewerke zu sammeln. Man glaubt in der That ein Märchen zu lesen und doch ist diese Lebensweise Humboldt’s buchstäblich wahr. So sehr herrscht der Geist über den Körper, daß er kaum der Erholung gewöhnlicher Sterblicher zu bedürfen scheint. – Humboldt besitzt keine eigene Familie; seine nächsten Anverwandten sind die Söhne und Töchter seines Bruders Wilhelm, dem er eine rührende Pietät bewahrt. Als ich im Laufe der Unterhaltung den Namen des berühmten Bruders und die großen Verdienste desselben um den Staat und um die Wissenchaft erwähnte, glänzte das Auge Alexander’s in jugendlichem Schimmer und ein Lächeln der Erinnerung umschwebte verklärend das edle Gesicht des Greises. „Sie hätten meinen Bruder kennen sollen,“ sagte er mit liebenswürdiger Bescheidenheit, „er war immer von uns Beiden der begabteste.“ Die Verehrung für den Hingeschiedenen ist zu einem wahren Kultus geworden, der den Ueberlebenden am meisten ehrt. Zusammen glänzten einst diese Heroen der Wissenschaft als das unsterbliche Dioskurenpaar an dem geistigen Himmel der deutschen Literatur. Diese Pietät hält indeß Humboldt nicht ab, den kleinen Schwächen seines großen Bruders in schonender Weise im vertrauten Kreise zu gedenken. Als der bekannte „Briefwechsel Wilhelm von Humboldt’s mit einer Freundin“ erschienen war, äußerte Alexander in seiner feinen Weise: „Mein Bruder hätte der guten Frau weniger schreiben und mehr geben sollen.

Die Familie verehrt in Alexander Humboldt ihr berühmtes Oberhaupt und sein Geburtstag, der 14. September, wird auf dem Schlosse Tegel, welches gegenwärtig seine Nichte, Frau von Bülow, bewohnt, besonders festlich begangen. Dann erscheinen in den gastlichen Räumen, die von jeher die edelsten und bedeutendsten Männer Deutschlands bewirtheten, die Freunde aus Berlin, Meister Rauch, der größte Bildhauer unserer Zeit, die genialen Maler Kaulbach und Eduard Hildebrandt, der in Humboldt einen väterlichen Beschützer seines Talents gefunden hat, und noch manche andere Zierden der Kunst und Wissenschaft, um den schönen Tag in würdiger Weise zu begehen. Heiterer Scherz wechselt mit sinnigen Reden ab und wenn Alexander von Humboldt neben der erhabenen Gestalt seines Freundes Rauch, begleitet von seinen Jüngern und Verehrern, durch den schönen Schloßpark, von den Strahlen der untergehenden Herbstsonne beleuchtet, hinwandelt, so glaubt der Wanderer, der ihnen begegnet, sich in die schöne Zeit der Blüthe Griechenlands versetzt, wo Plato in der Akademie mit süßem Munde Philosophie lehrte und Phidias unsterbliche Bilder der Götter mit dem Meisel schuf. - Außer den genannten Freunden gehört noch Ehrenberg, der durch seine mikroskopischen Forschungen die Welt der Infusorienbildung erschlossen hat und besonders Varnhagen van Ense, der berühmte Biograph und Geschichtsschreiber im schönsten Sinne, zu dem näheren und vertrauteren Umgange des berühmten Mannes. Von jüngeren Gelehrten erfreut sich Professor Du Bois-Reymond, der geniale Nachfolger Humboldt’s auf dem Gebiete der thierischen Elektrizität und Doktor Brugsch, welcher die egyptischen Alterthümer mit rastlosem Eifer aufzudecken versucht, seiner ehrenden Gunst und Anerkennung.

Humboldt wird von einem wahrhaft antiken Gefühl für Freundschaft beseelt; seine Aufopferungsfähigkeit und Dienstwilligkeit sind in unserer egoistischen Zeit wahrhaft bewunderungswerth und fast ohne Beispiel. Durch diese Eigenschaft und seine vielfachen Verbindungen mit den hervorragendsten Persönlichkeiten aller Länder und Völker, wir gedenken nur seiner ausländischen Freunde Arago, Bonpland und Faraday, ist er im eigentlichsten Sinne der geistige Mittelpunkt unserer heutigen europäischen Kultur und jedes wissenschaftlichen Fortschrittes geworden. Durch ihn angeregt dringen kühne Reisende nach den fernsten Gegenden und entdecken neue, unbebaute Ländergebiete, welche so der Civilisation und der Bildung gewonnen werden; junge Naturforscher beschäftigen sich unter seinem Einflusse mit den Räthseln der Schöpfung und den geheimen Kräften der Natur, der Physiker, der Astronom, der Botaniker und der Chemiker legen ihm die Entdeckungen, die sie zum Theil seinen Vorarbeiten zu verdanken haben, huldigend zu Füßen. Er belebt ihren Eifer, sein Lob ist ihr Sporn und höchster Lohn, seine Anleitung zeigt ihnen meist den richtigen Weg, den sie einzuschlagen haben. Alle blicken nur auf ihn wie auf einen Fürsten, alle Kanäle und Ströme münden in dies Meer des Wissens, welches den ganzen Schatz unserer heutigen Kenntnisse in sich schließt. Wahrlich, ein solcher Mann hat noch nie zuvor gelebt und in ihm kommt der schöne Traum, den Goethe von einer Weltliteratur und einer universellen Bildung geträumt hat, zur vollsten Wahrheit und schönsten Anerkennung. Einem Deutschen ward das große Loos zu Theil, die Weltherrschaft des Geistes zu begründen, und das ganze Volk muß mit Stolz und Ehrfurcht zu dem geborenen Fürsten emporschauen, der aus seiner Mitte hervorgegangen ist und die Krone des Genius für ewige Zeiten trägt.

Max R.




Blätter und Blüthen.


Der schwarze Domino. Die junge Gräfin Charlotte von F., eine schöne und geistreiche Dame in Paris, war nur erst zwei Jahre verheirathet, aber schon nahm sie an ihrem eleganten Manne eine Gleichgültigkeit wahr, die sie mit Schmerz und Eifersucht erfüllte. Während der Gatte seine Klubs besuchte, wie er vorgab, blieb die Gattin, die sich sonst häufig an der Seite des Grafen gezeigt, allein in ihrem großen Hotel.

„Werden wir nächsten Donnerstag den Maskenball in der Oper besuchen, lieber Franz?“ fragte sie eines Tages bei Tische den Grafen.

„Nächsten Donnerstag? Mein liebes Kind, der Maskenball trifft mit einer Klubgesellschaft zusammen, die ich unmöglich versäumen kann, da ich zu dem Comité derselben gehöre.“

„Könntest Du Dich mir zu Liebe nicht frei machen?“

Der Graf führte so triftige Gründe an, daß die Gräfin, eine taktvolle Dame, nicht weiter in ihn drang, und schwieg. Früher hatte sie ein Opfer gebracht, wenn sie ihren Mann auf den Ball begleitete, wo die fashionable Welt von Paris sich versammelte, und jetzt weigerte er sich, ihr den kleinen Wunsch zu erfüllen. Die arme Frau nahm an, daß der Graf ohne sie den Ball besuchen würde, den er früher um keinen Preis versäumt hätte. Was die Eifersucht argwöhnte, machte Hermine von S., eine Freundin, zur Gewißheit.

„Ich wette,“ sagte Hermine, „daß Dein Mann auf dem Balle nicht fehlt! Die Klubs versammeln sich an solchen Abenden nicht, da alle Mitglieder den Maskenball besuchen.“

„Das wäre entsetzlich!“ flüsterte traurig die junge Frau. „O, hätte ich Gewißheit!“

„Diese zu erlangen, wird nicht schwer sein, meine arme Charlotte.“

„Aber wie?“

„Du kennst Deinen Mann am Gange, an seiner ganzen Haltung, wie er sich auch costümiren mag; ich besorge zwei Einlaßkarten, und wir besuchen als einfache Domino’s den Ball. Eine Stunde genügt, um den Saal zu durchspähen. Siehst Du ihn nicht, so kannst Du Dich beruhigen, er hat Dir die Wahrheit gesagt.“

„Besorge Kostüme und Einlaßkarten!“

Der verhängnißvolle Donnerstag erschien. Nach dem Diner, das um fünf Uhr eingenommen ward, küßte der Graf seine Gattin, und ging in den Klub. Charlotte trocknete eine Thräne, als sie sich in ihrem Boudoir allein befand. Die Befürchtung, den Gatten in der Oper zu treffen, schnürte ihr die Brust zusammen. Um zehn Uhr erschien Hermine; um elf Uhr verließen beide Frauen, mit Halbmasken und Domino’s versehen, das Hotel. Ein Fiaker brachte sie nach der Oper. Der Ball war ungewöhnlich zahlreich besucht. Prächtige Masken wogten im dichten Gedränge durch den glänzend erleuchteten Saal. Charlotte hing mit klopfendem Herzen an dem Arme der Freundin, in jeder Maske glaubte sie den ungetreuen

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