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möglich. Sehen Sie, ich weiß recht gut, wann und wo ich packe, wann ich in dem Herzen des Publikums mit einer wahren Wollust wühle. Ich kenne die Todtenstille recht gut, wenn der Athem stockt und das Haar sich auf dem Kopfe sträubt, und wenn die Damen nach dem Riechfläschchen greifen. Und das mache ich mit meinem Teufel. Schwitzen müssen die Bestien – schwitzen, sonst ist mit der todtkalten Masse Nichts zu machen!“

„Neben mir saß ein Mensch,“ erzählte Hoffmann wieder, „eine Art Färber oder Hutmacher, denn er hatte an allen zehn Fingern blaue Nägel, dem liefen die Thränen immer an der Weste herunter, und vertraulich flüsterte er mir zu: ach, der gute Herr Devrient muß doch viel ausgestanden haben in seinem Leben, das sieht man. So verwirrte Ihre Darstellung dem armen Teufel die Begriffe. Das ist das beste Publikum,“ setzte Hoffmann sehr nachdrücklich hinzu, denn er hatte bereits angefangen, zu fantasmatisiren, „nicht in den Ranglogen, im Parterre, auf der Gallerie wächst’s!“

Und nun begann wechselseitig bald eine Analyse über gutes und schlechtes Publikum, über Lear, über Theorie und Praxis, über die „Wisser und Macher“ – und immer, standen die beiden Geister sich anfangs noch so heterogen gegenüber, zuletzt trafen sie in einem Punkte zusammen, und schüttelten sich dann die Hände, und stießen auf den „geistigen Rapport“ an.

An der Stelle, wo jetzt Devrient’s Portrait prangt, sah man damals den Kopf eines Engels, den die beiden Freunde „ihren Genius“ zu nennen pflegten.

Wenn die Geisterstunde sie noch beisammen fand, wie dies wohl Tag aus, Tag ein geschah, erhob gewöhnlich Hoffmann drohend den Finger gegen Devrient und sagte sehr bedeutsam: „Der Genius mahnt!“ Devrient nickte dann stillschweigend mit dem Kopfe, machte einen schwachen Versuch, aufzustehen, Hoffmann zog dabei die Uhr zehnmal heraus, aber trotz des mahnenden Genius, Keiner von ihnen hatte die Kraft, aufzubrechen. Ja, oft fanden sie sich noch beim Glase, wenn schon das unheimliche Dämmerlicht der ersten Morgenröthe durch die Gardinen brach. Dann erhoben sie sich, und verließen, ermattet und abgespannt von den Ausbrüchen ihrer wildesten Phantasieen, schweigend die Stube.

Draußen aber, auf’s Neue belebt durch die scharfe Luft, die ihre Schläfe umwehte und die fieberheißen Stirnen kühlte, hatten die Geister noch keine Ruhe; und sah man an der Ecke des Gensd’armenmarktes im Dunkel der Nacht oder im Grau den Morgennebels zwei heftig gestikulirende Gestalten, so konnte man wetten: es seien die des Serapionsbruders Hoffmann mit der zerstörten Seele, und des Teufels Devrient mit dem weichen Kinderherzen in der Brust.

H. K–ö–g.




Flüchtige Reisebriefe aus der Schweiz von E. A. Roßmäßler.
Die internationale Seite an den Schweizreisen.
Friedrichshafen, den 23. September.

Als ich Ihnen vom Faulhorn aus von der geldgierigen doppelten Besteuerung des Besuchs der Reichenbachfälle schrieb, behielt ich mir vor, am Ende meiner Reise einmal die internationale Seite der Schweizbereisung zu beleuchten. Ich benutze dazu ein Abendstündchen am Bodensee, der mich auf seinen meergrünen Wellen eben wieder herüber an Deutschlands Gestade getragen hat. Das man aber von einer internationalen Seite der Schweizreisen reden könne, wird Niemand bestreiten, der sich daran erinnert, daß neben Uhren, den sogenannten Schweizer- und anderen Waaren auch eine bedeutende Menge Reisegenuß aus der Schweiz exportirt und dafür ein schöner Thaler Geld importirt wird. Die 14,500 Gast- und Wirthshäuser (so daß eins auf je 165 Schweizer kommen würde, wenn sie nur für diese bestimmt wären) weisen deutlich genug auf den außerordentlichen Reiseverkehr hin. Von mehreren Schätzungen des diesjährigen Reiseverkehrs, die ich hörte, lauteten die mittleren auf 30,000 Reisende. Auf den Kopf 50 Thaler durchschnittlich ist sicher eher zu wenig, als hinreichend; das macht in diesem Jahre anderthalb Millionen Thaler. Für eine Bevölkerung von etwa 2,300,000 Seelen eine hübsche Position auf dem Ausfuhr-Budget! Man darf sie aber höchst wahrscheinlich getrost auf zwei Millionen erhöhen. Diese Geldeinfuhr kommt ohne einen Abzug recht eigentlich der Bevölkerung zu Gute, fließt nicht in die eisernen Kästen der Kapitalisten; sie verdient mithin in hohem Grade die Beachtung des Bundesrathes, die sich einfach dahin zu richten hat, diese Geldquelle immer reicher fließen zu machen. Dies kann leicht dadurch geschehen, daß das Reisen in der Schweiz möglichst angenehm gemacht werde. Thäte der Bundesrath nichts dafür (was nicht der Fall ist, da mancherlei von oben herab geschieht, um das Reisen zu erleichtern), so hieße das, die nicht schweizerische Reisewelt der Schweiz tributär machen. Ich wiederhole, daß dies nicht der Fall ist, glaube aber, daß noch weit mehr geschehen könne und müsse, bevor die Eidgenossenschaft sagen kann, daß das Tauschgeschäft zwischen Reisegenuß und Reisegeld, würdig der erhabenen Vermittlerin, der Natur, ein internationales im humanen Sinne des Wortes sei. Ich weiß wohl, daß in dem Verhältniß des internationalen Verkehrs neben dem materiellen Vortheil die Humanität in der Regel wenig zu Worte kommt; aber hier ist das Verhältniß, wie sicher keins weiter, ein laut dazu aufforderndes. Die Eidgenossen sind in dem Besitz eines hohen, nicht nach Geldwerth zu schätzenden Gutes, der Schönheit ihrer Alpennatur, an welchem jeder Mensch das Recht des edelsten Mitbesitzes geltend machen kann. Dieser Mitbesitz läßt sich natürlich aber nur vom humanen Standpunkte aus geltend machen, und ist ihm von Schweizer Seite auch auf humane Weise zu begegnen, wobei ich jetzt keineswegs an den sittlichen Gegensatz inhuman denke, wozu kein Grund vorliegt.

Verschiedene Einrichtungen, z. B. die vereideten, geprüften und an eine feste Taxe gebundenen Alpenführer des Berner Oberlandes, zeugen von einer kantonal-, vielleicht bundesräthlichen Fürsorge für die Reisewelt; ich glaube auch annehmen zu dürfen, daß namentlich in dem am stärksten bereisten Kanton Bern im Kantonalrath ein besonderer Ausschuß für diese Seite der Verwaltung bestehe. Ob aber diese Vorsorge für diese Verkehrsfreunde – im geschäftlichen und im humanen Wortsinne – Bundessache sei, habe ich nicht erfahren können. Wenn es wider Erwarten nicht der Fall wäre, so scheint mir nichts näher zu liegen, als das hierin zur Zeit noch Verabsäumte nachzuholen. Man sage nicht, daß dies blos Sache der einzelnen und vorzugsweise bereisten Kantons sei. Die ganze Schweiz genießt die bedeutende jährliche Einnahme an Reisegeld der Ausländer, denn bekanntlich sind gerade die am meisten besuchten Kantons die am wenigsten erzeugenden, weil ihr Alpenboden dem zuwider ist. Die ebenen, nur schnell durchflogenen Kantons, führen ihre Bodenerzeugnisse den besuchteren zu, um sie in deren zahllosen Gasthäusern zu verwerthen. Die Bereisung der Schweiz ist also nicht Kantons-, sondern Bundesinteresse.

Alle Reisehandbücher sagen, daß es in der Schweiz noch große Gebiete gebe, welche noch wenig oder nicht bereist werden, obgleich sie den am meisten bereisten in nichts nachstehen. Man fühlt jetzt im Berner Oberlande recht lebhaft das Bedürfniß, daß sich der Touristenschwarm doch etwas dünner vertheilen möchte. Mache man doch jene noch unbereisten Gebiete zugänglicher! Es würde dadurch die Fluth der Reisenden etwas breiter vertheilt und gleicherweise ihr Geld Mehreren als jetzt zu Gute kommen. Vielleicht sind die betreffenden Kantons oder Gemeinden zu arm, um für sich allein ihre verborgenen Schätze dem Reiseverkehr zugänglich zumachen. Wenn die Eidgenossenschaft den Reiseverkehr in ihrem Lande von dem höheren internationalen Standpunkte auffaßt, so wird dieses Unvermögen einzelner Kantons nicht länger hinderlich sein. Wahrlich es ist ein neidenswerther Vorzug eines Landes, eine reichfließende Einnahmequelle in der malerischen Schönheit seines Bodens zu besitzen. Wer sie einmal geschaut hat, der findet diese Schönheit so groß, daß er vielleicht einen Grund darin gegen die vorgebrachte Mahnung, mehr für die Touristenwelt zu thun, findet, weil die Größe der Schönheit die Beschwerde des Reisens vergessen mache und, was wohl nicht gering anzuschlagen sein möchte, der unbehinderte freie Zutritt zu der Schweiz die Mitbewerbung des benachbarten paßverschlossenen Tirol und Vorarlberg leicht überwinde. Allein für die meisten Touristen – wie ich die Vergnügungsreisenden unterscheidend nennen will, lieben nun einmal eine gewisse Behaglichkeit des Reisens, und je behaglicher es ihnen gemacht wird, desto lieber und öfter reisen sie.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_667.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2021)