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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Ach,“ sagte das Kind bittend, „Madame, bitte, bitte, sagen Sie es nicht, wenn Sie ihn kennen! Er hat es uns so strenge verboten, und wir fürchten mit Grund, sein Wohlwollen zu verscherzen.“

Sie beruhigte das Kind darüber vollkommen, und in demselben Augenblick ging die Thüre auf und Beranger trat ein. Er wollte sich zur Wirthin wenden, um sie zu begrüßen, aber ihre vor Freude strahlenden Augen machten ihn stutzig. Sein Blick fiel auf das ihm wohlbekannte Kind, und nur leicht grüßte er herüber und wandte sich schnell zu dem Freunde, der kurz vorher das Verhör über sein Ausbleiben hatte bestehen müssen.

Kaum war Beranger eingetreten, als die kleine Amelie voll Entzücken ihre Aermchen um die Wirthin schlang und halblaut ausrief: „Der ist’s, der ist’s!“

Die Wirthin küßte sie und sagte ihr in’s Ohr: „Geh’ nun zu Deiner Mutter und sage ihr, ihr Wohlthäter sei der Dichter Beranger! Komm aber morgen wieder.“

Flüchtig wie ein Reh eilte die Kleine hinweg.

Beranger blieb bei dem Freunde. Er ahnete, daß die Wirthin ihm in die Karte geblickt hatte, und vermied es daher, mit ihr in ein Gespräch zu kommen, und mit feinem Takte vermied auch sie es fortab, durch irgend ein Zeichen zu verrathen, daß sie den nun kannte, der auf eine so edle Weise die große Noth einer unglücklichen, ihr theuern Familie gehoben hatte. Das aber unterließ sie nicht, ihm zu sagen, daß sein langes Ausbleiben ihr Sorge für sein Wohlbefinden eingeflößt habe. Er dankte mit einem wahrhaft bezaubernden Lächeln, und versicherte, er werde das absichtslos Versäumte nun getreulich nachholen.

Am andern Tage kam Amelie zeitig. Auf dem Schenktisch, jedoch den Augen der Gäste verborgen, stand der beste Präsentirteller der Wirthin. Darauf lag ein Lorbeerkranz, in den Aehren geflochten waren und Rosen. Er war wunderschön! Eine kostbare Tasse stand darin und harrte des Kaffee’s. Beranger trat endlich ein und nahm wieder seinen alten Sitz in der Nähe der Wirthin ein, mit der er zu plaudern pflegte, ehe er die Zeitung nahm. Sie trat sogleich hinter den Schenktisch, goß die Tasse voll und legte einen Streifen Papier darüber. Amelie nahm die Tasse und reichte sie Beranger.

Betroffen und erröthend, wie ein junges Mädchen, nahm er den Präsentirteller aus des Kindes Händchen und las auf dem Papierstreifen:

„Er bringt die Freude in der Armen Hütte,
Und schützt vor Langeweile den Palast!“

Sein Gefühl überwältigte ihn in diesem Augenblicke. Er neigte sich tief herab und zerdrückte mit dem Tuche zwei Thränen. Dann nahm er schnell den Kranz und barg ihn auf seiner Brust, indem er den Rock zuknöpfte. Das Kind zog er an seine Brust und küßte es auf die Stirne. Der Wirthin aber reichte er die Hand und sagte: „Ich werde den Kranz aufheben, daß er einst an meiner Stirne liege, wenn ich gestorben sein werde! Nun aber noch Eins: geloben Sie mir, weder gegen mich noch gegen Andere jemals dessen zu gedenken, was Sie so zart und reich belohnt haben. Ich müßte sonst Ihr Café für immer meiden.“

„Ich gelobe es,“ sagte die Wirthin, seine Hand mit inniger Rührung drückend.


Ob die Pariserin schweigen konnte? Ich habe Ursache, es vollkommen zu bezweifeln; denn ohne sie wäre ja diese Edelthat des Dichters, dieser schöne Dank der Wirthin, nicht in’s Gebiet der Oeffentlichkeit gekommen, und darum wissen wir es ihr Alle Dank, daß sie ihr Herz wortbrüchig machte.

O. W. von Horn. 




Die kosmopolitische und Wasser-Poesie des Krystallpalastes
zu Sydenham bei London.
„Ohne Wasser ist kein Heil.“
(Sirenen im Faust.
) 

Raum und Zeit, worin unsere Heiligthümer Tausende von Meilen und Millionen von Jahren zerstreut umherliegen, haben sich, durch Dampf ohnehin schon geschwächt, sterbend zur Bildung eines „idealen Bodens“ vereinigt im Krystallpalaste zu Sydenham bei London. „Vom vorsündfluthlichen Ungeheuer bis zur neuesten Erfindung und Entdeckung, von der Mumie Egyptens bis zur Reiterstatue Friedrich’s des Großen, von den Zwerggewächsen des Nordpols bis zu den stolzen Naturgebilden des Aequators, vom erhabensten 90 Fuß hohen Gotte der Grabtempel von Thebais, dem Erhabensten, bis zum Lächerlichsten der Restauration, wo man ein Glas trübes Wasser mitten unter 11,788 Wasserstrahlen für einen Penny verkauft, ist überall nur ein Schritt.“

„Die geologische Schicht, die einst Erdoberfläche war und dann seit Tausenden von Jahrtausenden tief begraben lag, lebt hier nicht nur in einem lebendigen Adersystem von Eisen, das die Seelen vorsündfluthlicher Urwälder als Wärmeadern für die Pflanzen und als Gaslicht auferstehen läßt, sondern liegt auch in ihrer tief unterirdischen Gestaltung offen vor uns in einem Lichtmeere, das ungeschwächt durch Tausende von Fenstern (und Wänden zugleich) dringt.“

„Die geheimnißvollen Bewohner der Meerestiefe unterrichten uns in durchsichtigen Seen von ihrer Art und Weise zu leben. Landschafts- und Naturbilder beleben sich durch entsprechende Thiere und Menschen, die zusammen Reihen ethnologischer Bilder geben, wie sie die Welt noch nie sah. Mit einem Blick übersehen wir die ungeheuere Entwickelung von dem mißgestalteten Menschenräthsel der Sphinx bis zu der schönen, klaren Auflösung in der Gliedermelodie einer Venus, eines Apollo von Belvedere; mit einem Blick den Kampf der „gefrornen Musik,“ Baukunst, durch egyptische, assyrische, griechische, römische, byzantinische, gothische, maurische Bogen und Säulen nach Harmonie der Massen und melodischen Linien. Haben wir im Parke draußen, der sich in prächtigen Terrassen mit Statuen, in fabelhafter Fülle von Springbrunnen, Cascaden und Wassertempeln, kleinen Seen und Gondeln, Rosenglaslauben, wissenschaftlichen Landschaftsbildern und weiten Spaziergängen vor uns dehnt und stuft, wo hier langhalsige Plesiosaurier aus dem Wasser drohen, dort Megatherien, Ichthyosaurier, Mastoda, Labyrinthoda u. s. w. in ihrer Lebensgröße und urweltlicher Umgebung sich der Gegenwart zu freuen scheinen, indem sie die vorbeisausende Eisenbahn erschrecken, mit Tausenden aller Stände und Nationen diese Herrlichkeiten und weithintragenden Aussichten genossen, können wir mit wenigen Schritten Tausende von Meilen oder Jahren zurücklegen und in Pompeji römische, in der Alhambra maurische Kultur täglich frisch zu uns nehmen, um einige Minuten später Maschinen aller und modernster Art für die Lebensfreuden aller Völker arbeiten zu sehen, oder in Modellen neuester Erfindungen ahnen, wie schön es erst unsere Kinder und Enkel haben werden. Was englischer Associationsgeist, amerikanische Kühnheit, französische Grazie und einsamer, deutscher Geschmack mit künstlerischem Sinne Neuestes und Schönstes zu produciren wissen – hier kann man es auch gleich kaufen und so unmittelbar zur Verschönerung des eigenen Herdes in’s Leben einführen, ohne danach zu fragen, ob dadurch das Geld irgendwie „aus dem Land“ gehe.“

Diese Stellen sind aus dem Buche: „Der Krystallpalast von Sydenham, seine Kunsthallen, sein Park und seine geologische Insel. Von H. Bettziech-Beta. Mit 30 in den Text gedruckten Abbildungen.“ (Leipzig, bei J. J. Weber), abgeschrieben, weil darin der Verfasser ouverturenartig den ganzen Reichthum von Beseligung, die sich hier zusammendrängt und auf die mannigfaltigste Weise in seinem Buche kund giebt, anklingen läßt. Ich möchte wohl wissen, was sonst an dem Buche wäre. Mir selbst ist es zu schwer, den Verfasser kennen zu lernen, denn dieser bin ich selbst. Und bekanntlich ist nach Sokrates nichts schwerer, als sich selbst kennen zu lernen. Aber so viel weiß ich noch, daß ich bei mühevollster Zusammentragung und Ausarbeitung des ungeheuern Materials von Heiligthümern und Beseligungen, die sich hier unter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_419.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)