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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Juden, Polen und Franzosen von San Franzisko nach Nicaragua ab, um der gegen ihre spanische Obrigkeit rebellirenden Bevölkerung zu Hülfe zu kommen. Er eroberte die Hauptstadt von Nicaragua, Granada, nannte sich General Walker, setzte den alten Präsidenten ab und dafür Don Patricio Rivas ein und schloß mit der abgesetzten Regierung Frieden, deren Kommandant Corval sich ihm auslieferte. Dies hielt den neuen Herrn, jetzt Generalissimus aller Truppen von Nicaragua nicht ab, den besiegten Feind erschießen zu lassen, eine Praxis, die er gegen alle spätern Kriegsgefangenen, z. B. die von Costa Rica, schonungslos ausüben ließ.

Auch unter seiner eigenen Armee war von Gnade keine Rede. Mehrere Deutsche erhob er durch höhere Stellen, Andere auch durch den Strang.

Nach Unterdrückung des legitimen Aufstandes der Costa Ricaner gegen Walker (die unterlagen trotz der geheimen Unterstützung von Seiten der palmerston-clarendon’schen Diplomatie) war und blieb er bis jetzt Herrscher in Nicaragua. Die amerikanische Regierung, anfangs zögernd, ihn anzuerkennen, nahm endlich den von Walker nach Washington geschickten Gesandten an und somit auch die walker’sche Regierung als eine „bestehende“.

„Wir erkennen alle Regierungen an,“ sagte Präsident Pierce, „ohne nach der Art ihrer Entstehung zu fragen, sobald solche Regierungen de facto von dem Volke der betreffenden Regierung anerkannt wurden.“

Nordamerika ist Walker’s Magazin für Central Amerika, das über ein Kleines zu den „vereinigten Staaten“ gehören mag. Und das ist keine Kleinigkeit. Die fünf central-amerikanischen Republiken Guatemala mit 850,000), San Salvador mit 395,000, Honduras mit 350,000, Nicaragua mit 300,000 und Costa Rica mit 125,000, zusammen mit 2,020,000 Seelen sind zwar mit dieser dünnen, faulen Bevölkerung noch nicht viel werth, aber innerhalb der 155,000 englischen Quadratmeilen ihres Bodens schwelgt ein Reichthum der Natur in der Hoffnung auf Erlösung und Verbrauch und Genuß durch Menschen, der fabelhaft klingt und für 100 Millionen Menschen mehr als hinreichend sein mag. Kostbare Hölzer und Mineralien, Antilopen, Bergkühe, Affen, Racoon’s, schwarze Tiger, Tigerkatzen und unzählige andere Thiere und Schätze schlummern und verwildern jetzt über die üppigsten, wärmsten Menschenöden hin.

Nach Humboldt giebt ein Acker von Pisang-Palmen in Central-Amerika an Masse eben so viel Speise (was von nährendem Stoff wohl zu unterscheiden ist), als bei uns 133 Acker Weizen liefern. Das Land vereinigt in üppiger Fülle fast alle Pflanzen und Früchte gemäßigter und heißer Zonen. Die centralamerikanischen Territorien können, wenn einst kultivirt und bevölkert, alle alte und neue Welt doppelt mit Kolonial-Produkten und sonst allen möglichen Gütern versehen.

Was den Mann betrifft, der angefangen hat, diese Paradiese der „geldmachenden“ Race aufzuschließen, so können wir ihn nicht nach unserm Katechismus und Landrecht abthun, schon deshalb nicht, weil wir, wie auch die Nürnberger, Keinen hängen, den wir nicht vorher gekriegt haben. Warten wir, bis er selbst einen Katechismus gemacht. Das thun ja die Eroberer immer, selbst sehr loyale und christliche, wie die Engländer in Indien, die Franzosen in Algier und da wo der Pfeffer wächst und die Transportirten sterben. Bis jetzt begnügen wir uns, ihn mal anzusehen, wie er im Frühlinge vorigen Jahres von Herrn Wance in San Franzisko photographirt und danach copirt und in Holz geschnitten ward. Hat er nicht etwas Lord Byron’sches und Napoleon’sches dazu? Schmale, harte, gepreßte Lippen, blaues aber grausames, strenges Auge, straffe, erbarmungslose Züge. Ganz der Mann, um entweder Andere zu erschießen oder erschossen zu werden. Sollte er einst ein großer Mann, vielleicht gar eine Majestät geworden sein, welche himmlische Züge werden dann die Hochzeitsschreiber in dieser Physiognomie finden! Fehlt es doch jetzt schon nicht an Republikanern in Amerika, die mit Bewunderung von seiner „geheimnißvoll anziehenden, gewinnenden, zarten Persönlichkeit“ singen, von „lichten, blauen Augen und gedankenvollem Ausdruck.“ Er wird immer schöner und geistreicher und tugendhafter werden, je mehr er todtschießt und an Macht gewinnt.

Einen Herrscher, der durch viel schlimmere Mittel zur Macht kam, und Anfangs in der englischen Presse wie das scheußlichste Geschöpf der Erde behandelt ward, fand man nach und nach immer erträglicher, endlich einen Abgott in ihm und in den Portraits, die von ihm gegeben wurden, wurde er immer schöner, jünger, unschuldiger, tugendhafter, majestätischer, bis sie eine Zeit lang nicht anders von ihm sprachen, als in den Staub geworfen vor einem gottgesandten Erlöser und Retter. Es darf uns also weiter nicht geniren, wenn der vor Kurzem noch unter dem Titel: „Hauptmann einer abgerissenen und zusammengeflickten Lumpenbande“ figurirende Walker mit zunehmender Macht auch an Titeln und Orden zunehmen sollte und Palmerston, der gegen ihn geheimnißvoll Waffen lieferte, dessen Gesandten mit der Versicherung empfing, daß es ihm zur höchsten Ehre gereiche, im Namen Englands die Versicherung vorzüglicher Hochachtung und treuer Freundschaft aussprechen zu können. Alles schon dagewesen, sagt Ben-Akiba.




Das Haus- und Zimmerturnen.

Der Mensch ist, genau betrachtet, zur Zeit doch noch ein recht närrischer Kerl, voller komischer Rücksichts- und Schicklichkeitsansichten, zusammengesetzt aus Vorurtheilen, Aberglauben und Unglauben, mit unbesiegbarer und leichtsinniger Liebe zur Ruhe und Bequemlichkeit, das allgemeine Beste der Menschheit immer nur wollend, aber wegen des eifrigen Strebens nach eigenem Wohlbefinden nicht energisch fördernd. Kurz ein Geschöpf, was in der Zukunft noch ganz anders werden muß, wenn es seine, ihm vermöge seiner Organisation zugehörige Stellung in der Natur ordentlich ausfüllen will. Recht deutlich zeigt sich dieser jetzige Menschencharakter auch, wenn auf das Turnen (in zweckmäßigen und, bei unserer jetzigen Civilisation ganz unentbehrlichen Körperbewegungen bestehend) die Rede kommt und dieses zur Erhaltung und Erreichung der Gesundheit anempfohlen wird. Was für Gründe werden da nicht von den Meisten hervorgesucht, um sich oder die Ihrigen davon loszumachen, obschon sie das Turnen nur vom Höhrensagen kennen. Es macht garstige starke Hände, dicke Knöchel und eine plumpe Figur, behaupten die Mütter von Töchtern; – die gehörige Aufsicht über unsere Kinder fehlt auf dem Turnplatze und unsere Kinder sind lebhaft (d. h. ungezogen); – das Turnen schickt sich für uns Frauen nicht; – meine vielen Geschäfte gestatten mir nicht zu turnen; – ich bin schon zu alt und steif dazu; – warum soll ich denn noch turnen, ich bin ja gesund; – die Gesellschaft auf dem Turnplatze gefällt mir nicht, sie ist zu gemischt; – ich habe früher einmal geturnt, aber es bekam mir nicht; – man muß sich ja schämen, wenn man die Uebungen nicht so gut wie die Andern machen kann; – es könnte ein falsches Licht auf mich fallen, wenn ich den Turnplatz besuchte, das Turnen ist doch immer noch mißliebig u. s. f.

Alle diese Ausflüchte sind hohle Redensarten und Lügen, um theils die Faulheit, theils die Eitelkeit und Furcht zu bemänteln. So viel Zeit kann gewiß Jeder erübrigen, um wöchentlich einige Mal zweckmäßige und seiner Gesundheit dienliche Turnübungen vorzunehmen, da doch zum Biertrinken, Kartenspiel, Thee- und Kaffeeklatsch u. s. f. immer genug Zeit gefunden wird. Was aber das Alter und Geschlecht betrifft, so ist das Turnen, wenn es nur dem Körper richtig angepaßt wird, ebenso für den Greis, wie für Mädchen und Frau vortheilhaft. Es macht übrigens auch, sobald es nicht einseitig betrieben wird, den Körper nicht unschön oder plump, sondern schön, erhält jung und schafft dem Gesunden eine dauerhaftere Gesundheit auch noch für seine spätere Lebenszeit. Wem das Turnen schlecht bekommt, der trieb dasselbe falsch; der Ehrgeiz beim Turnen darf nur nicht zu Gesundheitswidrigkeiten verführen; alte Herren müssen nicht Herkulese und Springinsfelde werden wollen, Matronen nicht Backfische (so heißen bei uns zu Lande die Mädchen, welche zwischen Schulmädchen und Jungfrau

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_415.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)