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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

einer schönen Kathedrale, einem stattlichen Cabildo (Gerichtsgebäude) und einer Universität. Stolze, steinerne Privatgebäude waren auf der Straßenseite oft durch kühle steinerne Bogengänge und Colonnaden verbunden. Auf dem großen Platze war Markt von malerischster Lebendigkeit. Indianische Mädchen in brillanteste Farben gekleidet, saßen graciös auf Matten unter großen Schirmen und boten ihre Waaren und Produkte aus. Das theatralische, spanische Kostüm aus den Zeiten des Eroberers Pizarro herrschte noch vor. Agacucho ist ein patriotisches Wort in der neuen, peruvianischen Geschichte. In der Ebene vor der Stadt wurden 1824 die spanischen Soldaten so geschlagen, daß die republikanische Unabhängigkeit Peru’s proclamirt werden konnte. Ueberhaupt entschieden sich die seit 1808 fortgeführten Freiheitskämpfe der spanischen Kolonien größtentheils um diese Zeit gegen das despotische, barbarische Mutterland, das ohnehin durch die Minen von Potosi, gerade durch die Fülle des Goldes, welches es den Kolonien wegraubte, an den Bettelstab kam.

Die Straße von Agacucho nach der alten Inca-Metropolis Cuzco ist ein Klettern bis zu einer Höhe, die noch 2000 Fuß über den großen Bernhard hinausreicht, bot aber dem Reisenden nach den Cordilleren-Scenen nichts besonders Merkwürdiges.

Als Manco Capac im 11. Jahrhundert hier sein Reich der Inca’s (oder „Kinder der Sonne“) gründete, umfaßte es kaum 20 Geviertmeilen. In jeder Ecke seines Landes baute er gerade gegen Süden, Norden, Westen und Osten Paläste und umgab sie mit Festungswerken, im hohen Centrum desselben aber Cuzco, seine Hauptstadt, die Residenz einer großartigen Bildung und Herrschaft, die sich vier Jahrhunderte lang unter nobeln Fürsten vom Aequator bis Chili, vom Amazonenstrom bis zum stillen Ocean ausdehnte, deren ungeheuere Monumente noch jetzt Staunen, deren noch in dem Munde des Volks lebende Legenden und Lieder männlichen Sinn und patriotischen Stolz erregen. Die Niedermetzelung dieser hohen, prächtigen Civilisation durch Franz Pizarro (1530) bildet eine der scheußlichsten Scenen in der Geschichte. Man sieht jetzt noch, was für eine Fülle von Schönheit und Pracht einst in diesem Reiche geblüht, haben mag. Ungeheuere Berge und Felsen steigen in unabsehbarer Gestaltungsverschiedenheit über die Schneelinie hinaus und bedecken ihre Häupter mit ewigem Weiß, während unten an sonnigen Abhängen üppig blühende und fruchtende Thäler nisten, durchkühlt von unzähligen Strömen und belebt von der reichsten animalischen Schöpfung. Zwischen den kostbarsten Bäumen und schönsten Blüthen und Früchten springt lustig und graciös das unschuldige Llama, das seidenhaarige Vicuña und Alpaca, jagen sich wilde und zahme Pferde, weiden Schafe und Kühe in glänzender Rundung, nicht selten erschreckt und überfallen von dem elastischen, bunten Jaguar und dem grausamen Puma. Im sonnigen Schlamme schläft heimtückisch der Alligator und raschelt die buntstreifige Schildkröte, und über diesen reich belebten Tischen schwebt lauernd der Condor zwischen Schneegipfeln, oft blaue Emporsichten in den Himmel über Schluchten verdunkelnd. Dazu die bunte, malerische Bevölkerung in Thälern und auf Oasen, getrennt durch wüste Einöden, gegen welche das nächste Thal in seiner strotzenden Fülle sich als das zauberischste Paradies hervorhebt, der unerschöpfliche Reichthum edeler und nützlicher Metalle zwischen Bergen unten schlummernd und der dummen Bevölkerung von noch nicht drei Millionen Seelen mehr versprechend, als hundert Millionen brauchen und verwerthen können. Das Alles giebt bei errungener und sich kultivirender Freiheit Aussicht, daß die Herrlichkeit der „Kinder der Sonne“ in neuer, schönerer Gestalt wieder auferstehe. Cuzco, wegen der Nähe des Aequators in dieser Höhe sich noch eines milden Klimas erfreuend, ist noch jetzt eine schöne, steinerne, in rechtwinkeligen Straßen laufende Stadt, noch voller Reminiscenzen an die alte Inca-Regierung, obgleich lange Sitz spanischer Despotie. Die untern Geschosse der Häuser bestehen noch fast alle aus der gigantischen granitnen Baukunst der Inca-Zeit. Im Norden der Stadt erhebt sich, durch einen Abgrund von einem viel höheren Felsengebirge dahinter geschieden, wie eine steile ungeheuere Treppe in Terrassen der Sacschuamam-Hügel, auf welchem der Palast des ersten Inca stand, jetzt eine schweigende, aber noch in gewaltigen Quadern redende Ruine. Die oberste Terrasse, auf welcher er stand, trägt noch eine Steinwand mit acht Recessen, deren Quadern genau in einander geschliffen sind, so daß sie ohne irgend einen Mörtel ein festeres Ganze bilden, als wenn sie gekalkt und gekittet wären. Im Centrum der untern Wand erkennt man noch das Bild einer Sirene in Relief. Auf einer andern Terrasse steht noch eine 16 Schritt lange, 10 Fuß hohe Steinmauer mit einem Fenster und einer Thür. Die Bausteine derselben bestehen aus noch ganz scharfkantigen, großen Parallelogrammen, blos neben und ineinander gelegt, und zwar so genau, daß man mit der Spitze eines Federmessers nicht in deren Fugen dringen kann. Quadern von 6 Fuß Länge bilden Steinstufen zu Treppen, die verschiedene Terrassen auf- und ableiten.

Äm 13. Jahrhundert ließ der große Krieger Inca Viracocha (der „Schöne des wilden Meeres“) einen größern Festungspalast im Osten des Sacschuamamhügels errichten. Drei halbrunde, große, mathematisch genau eingehauene Terrassen führen hinauf. Der Palast trug drei Thürme, die im Felsenboden unten durch Tunnels verbunden waren. Spuren und Ruinen davon liegen noch in unversehrten gigantischen Quadern umher, auf welche einst das Blut der Vertheidiger gegen spanische Bestialität in Strömen floß. Von einem Punkte dieser Terrassen läuft eine dreifache Linie cyclopischer Fortification, deren Größe und wissenschaftliche Konstruktion Staunen erregen. Sie besteht aus drei Reihen Granitmauern, 18, 16 und 14 Fuß hoch, mit springenden Winkeln, die so genau berechnet sind, daß kein Punkt angegriffen werden konnte, ohne ihn von verschiedenen andern Theilen her zugleich zu vertheidigen. Die Bausteine, ungeheuere Blöcke von 12 – 16 Fuß Höhe, alle genau behauen, gestaltet und in einander polirt, mußten nachweislich aus großer Ferne zu dieser bedeutenden Höhe hinaufgeschafft werden. Welche Kraft, welche Industrie, welche Wissenschaft und Bildung redet noch aus diesen gewaltigen Ruinen!

Ungefähr eine Stunde von Lima-Tambo an der alten Westgrenze des Inca-Reichs stehen die Ruinen eines ähnlichen Palastes, aber das merkwürdigste Beispiel alter peruvianischer Architektur findet sich in den Ruinen der Festung Ollantay im Thale Vilcamaga, östlich von Cuzco. Von den öden Pampas der Cordilleren stürzt sich ein Abgrund in das Thal, aus welchem sich zwei schroffe Felsenkegel erheben. Der eine ist zu einem Plateau künstlich abgeplattet und mit ungeheuern Bausteinen bedeckt, zwölf Fuß hohen, genau geformten Granitquadern. Einige dieser Quadern sind schon zu Mauern auf- und in einander gelegt, so daß sie wie eine polirte Masse dastehen, worin man die Fugen nur mit dem schärfsten Auge entdecken kann. Dahinter höher und tiefer erkennt man noch die Spuren vieler steinerner Privatgebäude. Auf andern Terrassen entdeckte Mr. Markham noch Wände von polygonalen, vieleckigen Steinen mosaikartig in einander gefügt, die an manchen Stellen, mit dem bloßen Finger berührt, metallartig erklingen und an die tönenden Memnonssäuleu Egyptens erinnern.

Die Kinder der Sonne wurden in Konstruktion dieser letzteren Bauten von den Kindern der Finsterniß und grausamer Hab- und Eroberungssucht unterbrochen, unterbrochen in dem erhabenen Werk, die gewaltigsten Andesfelsen in terrassirte Frucht- und Lustgärten zu verwandeln, und eine lachende Bildung an Bergen hinauf, Thäler hinunter und über traurige Pampas zu ziehen. Spät ist die Rache gekommen, aber sie ist gekommen. Noch ließe sich Vieles aus den Beobachtungen unsers kühnen Forschers über das alte Inca- und das neue, rührige freie Peruland mittheilen, Schilderungen des Lebens und Treibens der bunten Menschenmischungen, die vom tiefsten Schwarz in das civilisirteste Weiß des Nordens, von dem naivsten Naturleben in den üppigsten Luxus der Kauf- und Handelsherren Lima’s hineinragen. Aber die Civilisation und der Leibrock, der auch in Lima von zunft- und gewerberathflüchtigen, freien deutschen Schneidergesellen meisterhaft gemacht wird, bleiben sich im Wesentlichen überall gleich. Diese Gleichheit der Civilisation, sehr ohne Brüderlichkeit, ist bis jetzt noch ihre hinten geflügelte, größte Schattenseite.

Die alte, lange Jahrtausende uns verborgene atlantische Welt drüben ist längst ein neues Europa geworden. Wenn wir im alten so fortfahren, können wir uns hier mit der Zeit auch verlieren, wie die Azteken, die Inca’s und andere Menschengeschlechter der neuen Welt verschwanden. Die glorreiche Stadt Cuzco glänzte einst prächtiger und steintrotziger den Spaniern von ihrer 12,000 Fuß hohen Steinburg herunter entgegen, als die militärstolzesten Residenzen der alten Welt aus ihrem Sand- und Kalkstaube oder übertünchten Sumpfe. Steine, noch so gewaltig, Heere, noch so mächtig, thun’s nicht mehr, jetzt weniger, als zu irgend einer früheren Zeit.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_271.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)