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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Körper selbst die Kraft des Entschlusses ganz erstorben war. Er fühlte wohl, daß das, was ich ihm anbot, das Beste für ihn wäre, aber es fehlte ihm der Muth, es anzunehmen.

Indessen verschlimmerte sich sein Zustand von Tag zu Tage. Niemand zwar schien es zu bemerken, außer mir, und vielleicht Maria. Dem Anscheine nach blieb auch seine Ausdauer bei der Arbeit dieselbe; er ruhte nur, wenn er sich allein glaubte; so hatte ich ihn früher einmal überrascht und überraschte ihn später häufig, in einer träumerischen, hoffnungslosen Stimmung.

Sechs Monate waren auf diese Weise verflossen; er war wie ein Skelett geworden; zu Maria ging er seltener als je.

Kaum war der Schnee ein paar Tage verschwunden, so nahm er sein Arbeitszeug und begann einen Weinbergsgraben in den Fels zu hauen ; das war damals für ihn eine furchtbare Anstrengung. Wie zufällig schickte ich den Arzt zu ihm dorthin, der sich nach seiner Gesundheit erkundigte und ihm rieth, aufzuhören und sich zu schonen.

„Lege ich mich zu Bette,“ erwiederte er, „so bin ich so gut wie todt.“

Er hatte Recht. Eine kleine Erkältung zwang ihn, das Zimmer zu hüten; und bald ergriff ihn das Fieber. Er ließ mich rufen, um ihm den letzten Trost zu bringen. Ich hörte seine Beichte, – gute, reine Seele! Dann bat er mich, Maria und Francesco rufen zu lassen.

„Wozu das?“ erwiederte ich, – „die arme Frau!“

„Sie haben Recht,“ sagte er, „sorgen Sie lieber, daß sie nicht kömmt. Ich bin ein Mann ohne Kraft; doch glaube ich, daß ich jetzt ein wenig mehr Muth haben werde.“

Am dritten Tage erhielt er die letzte Oelung. An seinem Halse fanden wir eine Flechte von Maria’s Haar.

„Nehmen Sie sie weg,“ sagte er; „vielleicht war es Unrecht, daß ich sie nach meiner Rückkehr noch getragen habe. Aber dies kleine Andenken und dies Gebetbuch, das ich von Ihnen habe, sie haben mich immer begleitet und mir in Rußland das Herz warm gehalten. Nehmen Sie es. Nehmen Sie auch meine Kreuze.“

Und er gab mir das Buch und die Kreuze, die unter seinem Kopfkissen lagen.

Eine halbe Stunde später verlor er das Bewußtsein, und ehe der Tag zu Ende ging, war er verschieden.

Maria lebte ruhig noch vier Jahre; vor sechs Monaten ließ sie mich rufen, um ihr den letzten Beistand zu leisten. Sie starb in Frieden.




Die große Schmiedeeisenkanone
der Herren Horsfall zu Mersey bei Liverpool.

Es wurde neulich eines schönen Morgens Friede in London auf den Straßen geblasen, geblasen von Trompetern zu Pferde, verkleidet wie Kunstreiter, die sich dem hohen Adel und verehrten Publikum durch solche Umritte empfehlen wollen. Außerdem werden ja auch Buden gebaut draußen in Green- und Hyde-Park, worin die Palmerston’sche Regierung dem Volke für 8000 Pfund Sterling, welche dasselbe Volk erst hat hergeben müssen, ein besonderes Friedensfest geben will. Die Budenbauer und die regierenden Verwalter des Volksfriedensfestes nehmen so und so viele Tausend Pfund für ihre Bemühungen: was übrig bleibt, kommt dem Volke zu Gute, d. h. es kommt bei diesem Feste etwa um 5000 Pfund zu kurz. Hätte man ihm das Geld gelassen, könnte es sich dauernd der 8000 Pfund und des Friedens erholen. Aber der Friede besteht bereits jetzt schon wieder aus neuen Kriegsrüstungen. Der Friede sieht schon jetzt nicht wie eine dauerhafte Arbeit aus. Die Feinde Englands, zu denen zum Theil die hochgestelltesten Engländer gehören, suchen England zu einem Kriege gegen Amerika zu hetzen. Dazu müssen die ehemaligen deutschen Bummler, Assessor Streber aus Berlin, jetzt conservativer Dictator von Costa-Rica, und der alte göttinger Student Walker, jetzt Chef der rothen Republikaner von Nicaragua, auch der unkluge und etwas ungesetzliche Irländer Crampton, den die englische Regierung als ihren Gesandten und Soldatenwerber nach Amerika geschickt hatte, herhalten. So schickt man bereits trotz aller Protestationen Truppen nach Canada und nimmt die Miene des aberwitzigsten Krieges an, um die Vergehen Crampton’s gegen amerikanisches Gesetz zu vertheidigen.

Wir kommen aus diesem Wahnsinn zu unserem Thema, der technischen und wissenschaftlichen Bedeutung von Schmiedeeisenkanonen. Deren Fabrikation, lange für unmöglich gehalten und öfter mißlungen, ist jetzt als gesichert zu betrachten. So große Massen weiches Schmiedeeisen ließen sich nicht hämmern, ohne durch die Verschiedenheit ihrer Temperatur beim Schmieden zu krystallisiren, wodurch das Schmiedeeisen die ihm eigene Textur, den zähen Zusammenhang seiner kleinsten Theile verliert und spröde wird, so daß es leichter bricht und platzt. Es war lange ein Problem der Eisen- und Waffenmeister, die Dauerhaftigkeit und Kraft kleinerer Waffen von Schmiedeeisen auch auf Kanonen auszudehnen, überhaupt, die größten Massen von Eisen schmiedend zu formen. Den Eisenmeistern von Mersey bei Liverpool gebührt die Ehre, dieses Problem zuerst gelöst zu haben. Schon 1845 wurde in der Anstalt von Horsfall eine große Kanone mit einem 13 Fuß langen und 12 Zoll im Durchmesser großen Laufe, aus welchem Kugeln von 219 Pfund Gewicht geschossen wurden, für die amerikanische Dampffregatte Princeton geschmiedet. Sie wog ohne alle Zuthat 160 Centner. Die Ausbohrung des Laufes und alle feinere Arbeit ward der größern Anstalt von Fawcelt, Preston u. Comp. in Liverpool übertragen. Sie richtet jetzt ihre Mündung gegen Feinde Amerika’s auf Brooklyn bei New-York.

Nach Ausbruch des Krieges nahm der moderne Vulkan Englands, Mr. Nasmyth, die Sache wieder auf, worüber in der Gartenlaube berichtet ward. Aber seine Riesenkanone platzte. Das Eisen war beim Hämmern zum Theil in krystallinischen Zustand übergegangen, also stellenweise brüchiger in der Textur geworden. Nasmyth behauptete nun, die Krystallisation ließe sich nicht vermeiden. Dies nahmen die Herren der Horsfall’schen Anstalt als eine Herausforderung an und gingen an ein größeres Werk als das von ihnen bereits geschmiedete. Die Schmiedearbeit zu ihrer jetzigen Riesenkanone ist vollendet. Man sah einen ungeheueren zusammengeschmiedeten, etwas kegelförmigen Eisenklumpen, 15 Fuß lang, 2 Fuß 10 Zoll im Durchmesser am dicken Ende, 23 Zoll bis zur Mündung abnehmend, 490 Centner schwer. Um die Textur des Schmiedeeisens beim Hämmern – das große Problem, zu sichern, wurden alle wissenschaftlichen und technischen Mittel und Vorsichtsmaßregeln angewandt. Man schmiedete sieben ganze Wochen lang ununterbrochen Tag und Nacht unter der Oberleitung des technischen Directors Mr. Clay. Die bearbeitete Eisenmasse bestand aus Eisenbarren, die der Länge nach an einander gelegt von dem großen Dampf-Stoßhammer zu einer einzigen fibrösen Substanz zusammengearbeitet wurden. Diese Masse wurde dann durch neue Eisenbarren, in der Quere, dann diagonal und dann wieder in der Länge angeschweißt, vermehrt und verstärkt. Bei dem ganzen Processe war es eine Hauptsorge, Stöße und Erschütterungen der Masse während des Kühlens oder während einer geringeren Temperatur zu vermeiden.

Es kam aber zuletzt immer noch auf die genaueste Durchsuchung des ganzen ungeheuern Klumpens an, ob er überall die zähe Textur des Schmiedeeisens beibehalten und nicht durch Krystallisation gelitten habe. Diese fiel durchweg zur größten Genugthuung aus und zwar beim Bohren des 131/2 Fuß langen und 11 Zoll im Durchmesser breiten Laufes. Der Bohrer brachte durchweg eine zähe, elastische Masse von Schmiedeeisenspähnen heraus, die auch unter dem Mikroskope nirgends eine Spur von Krystallisation verriethen. Die Hauptsache ist gethan und gelungen. Nur der Kaliber des Laufes muß noch erweitert und genau egalisirt werden. Die äußerliche Oberfläche zu formiren und zu poliren, ist zwar keine Kinderarbeit, aber doch mit den zu Gebote stehenden mechanischen Dampfmitteln eine gewöhnliche Procedur, nur im größten Maßstabe. Man hatte zur Vollendung dieser äußerlichen Arbeiten vier Wochen berechnet. Die vollendete Kanone

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_264.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)