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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

und ward auf’s Schiff gezogen. Lange lag er erschöpft in der Kajüte, ehe er sich von der furchtbaren Todesangst erholen konnte.

Groß war die Gefahr gewesen, aber d’Urville ward nicht muthlos, sondern setzte seine Fahrt nach Osten fort, bis er sich überzeugte, daß er wegen der Eisbank nicht nach Süden vordringen könne und nach den Süd-Orkneys umkehrte. Wieder ging es an meilenlangen und thurmhohen Eisbergen vorüber, und auf schmaler Fahrstraße durch 12–200 Fuß hohe Eisblöcke, deren Kanten von rothen, dunkel- und veilchenblauen Lichtern funkelten, während andere schneeweiße Eismassen da, wo die See anschlug, im schönsten Ultramarinblau strahlten, und an den Wänden groteske Figuren wie ausgemeiselte Basreliefs standen. In den seltenen nebelfreien Stunden konnte man 12–15 Meilen überschauen und ringsum das Schimmern, Funkeln und Blitzen der Eisberge betrachten, welche die Sonne 22 Stunden beschien, da nur von 11–1 Uhr Nachts eine leichte Dämmerung eintrat. Wundervoll schimmerten die Schneefelder und Gletscher im Morgen- und Abendroth, schien das Meer wie mit Rosenduft übergossen und sahen die schwimmenden Eisstädte wie ein Feenreich aus in den dunkelrothen, gelben und violetten Tinten des Abendhimmels, während an einzelnen Stellen der Eisblöcke die Sonnenstrahlen brennendroth sich brachen, als ob man die Fenster eines Schlosses im Abendroth glühen sähe. Ein anderes Mal beobachtete man einen Eisblock von 250 Fuß Höhe, der einer runden Festung mit spiegelglatten Wänden glich und hohl war. Gleich einem Amphitheater von 125 Fuß Höhe und 950 Fuß Umfang schwamm er dahin, den weißen und schwarzen Sturmvögeln ein bequemer Ruheplatz. Andere Eisblöcke schimmerten auf der einen Seite im durchsichtigen Amethystblau, während die andere Seite von grünen, weißen und blauen Streifen geädert war. Daneben schwamm ein Eisstück von 100 Fuß Höhe und 300 Fuß Länge hin, dessen Fuß von vier regelmäßigen Schwibbogen durchbrochen war. Die Matrosen konnten aber dieser Eiswunder kaum froh werden, denn Tag und Nacht rannten tiefgehende Schollen an die Schiffsplanken, daß es aus den Fugen zu gehen drohte, und der Kapitain selbst manchmal glaubte, das Schiff müsse bersten. Dazu hingen lange Eiszapfen an den Segelstangen, waren Taue und Segel steif gefroren, da sie der fortwährende Nebel sehr stark anfeuchtete, brüllte das Meer, wo es an den Eisbergen sich brach, von denen einer 115 Fuß hoch und 11 Meilen lang war, wechselte Schneegestöber mit Hagelwetter und kalten Regengüssen, daß die Matrosen unsägliche Anstrengungen aushalten mußten, und donnerten Tag und Nacht wie furchtbare Artilleriesalven die von den Bergen stürzenden Gletscher. Als der Gesundheitszustand der Matrosen sich besserte, kehrte d’Urville wieder nach Süden um und fand öde Felsenküsten mit Gletschern, die er Louis-Philipps- und Joinvilleland nannte. Sie sind vielleicht die dem stillen Ocean zugewandte breite Küste des Südpolarlandes. Im folgenden Jahre kehrte d’Urville noch einmal in das genannte Meer zurück und entdeckte einen andern Küstensaum, welchem er den Namen Adelineland gab.

Auch auf dieser Fahrt hatte d’Urville große Gefahren zu bestehen, denn mitten in einem Engpaß zwischen Eisblöcken überfiel seine beiden Schiffe ein ungeheuerer Sturm, der sie gerade gegen einen Eisberg zutrieb, in dessen Nähe ein furchtbarer Wasserstrudel das Schiff ergriff. Näher und näher kam man dem Berge, lauter und lauter brauste der Strudel, da gelang es im letzten Augenblick, das Schiff zu wenden und sich von dem Berge zu entfernen. Aber in demselben Augenblick jagt der Sturm das zweite Schiff gegen dan erste, vergeblich sind die Anstrengungen, sich auszuweichen. Schon sind die Schiffe so nahe, daß die Matrosen das Weiße im Auge erkennen. Dabei schwanken sie so entsetzlich, daß die Mastenspitzen die Wellen berühren. Da gerathen sie an einander, ihr Tauwerk verwickelt sich, und während die Schiffskörper auf den Wellen auf- und abtanzten, sind ihre Masten an einander gefesselt. Hier können Menschen nicht mehr helfen; Alle erwarten den Untergang. Doch der Sturm rettet sie. Es knackt und kracht in den Masten, die eine Spitze bricht, die Taue reißen, die Schiffe werden frei und haben bald den Engpaß hinter sich.

Der Amerikaner Wilkes durchforschte dieses Meer 1839 und 40, ohne Entdeckungen zu machen, wogegen der englische Wallfischfänger Balleny die Küste Sabrina sah. Am weitesten drang 1841 der Engländer Roß, der Sohn des berühmten Nordpolarfahrers, gegen den Südpol vor, indem er eine lange Gletscherküste von Norden nach Süden entlang fuhr, die er Victorialand nannte. Auf ihr beobachtete er mehrere thätige Vulkane, von denen er den südlichsten Erebus, seinen Nachbar Terror nannte. Die Berge dieser Küste bestanden meist aus 9–12,000 Fuß hohen Kegeln mit hochbeschneiten, fast senkrechten Wänden. Dem oben genannten Eiswalle folgte er 50 Meilen weit und kam bis zum 78. Grad, wo er umkehren mußte, und im folgenden Jahre wegen großer Eismassen nicht weiter vordringen konnte.




Auf dem Berge Ararat.

Wir stehen auf dem Berge Ararat in Armenien, um uns ganz Kleinasien, den Kriegsschauplatz, das gefallene Kars, die russisch-türkische Grenze, durch ein Fernrohr über das schwarze Meer hinweg, die Krim und das nun still gewordene, aus Ruinen rauchende Sebastopol, die ganze orientalische Frage und die Geschichte der alten Menschheit, die hier gleichsam ihre Denksäule in die Höhe streckt, 17,261 Fuß über dem Meeresspiegel und 10,000 Fuß über dem umliegenden Hochlande mit einem Panoramablicke anzusehen. Zunächst nehmen wir die noch ganz gut erhaltene Arche Noah in Augenschein, in welche er mit „all sündhaft Vieh und Menschenkind“ Sonntags am 30. November des Jahres 2349 vor Christi Geburt einzog, worauf es Sonntag am 7. December zu regnen anfing. Es regnete so arg, daß die Arche über den höchsten Bergen dahin schwamm, bis sie bekanntlich auf diesem Berge Ararat wieder festen Fuß faßte, und die neue Menschheit aus- und herabsteigen ließ. Die Arche ist 547 Fuß lang, 91 breit und 54 hoch. Sie faßt 72,625 Tonnen Gewicht. Noah lebte darin mit allem Zubehör 13 Monate und 18 Tage, da er erst am 18. December, Freitags, des folgenden Jahres, aussteigen konnte, nachdem die Arche Mittwochs, am 6. Mai, auf dem Berge Ararat stehen geblieben war. Die Erde war damals 1656 Jahre alt, denn sie war erst Sonntag den 23. Oktober des Jahres 4004 vor Christi Geburt fertig geworden, und steht deshalb jetzt im 5858sten Jahre. Was diese Daten und Jahreszahlen betrifft, so stehen sie wenigstens in England durch Parlamentsbeschluß als Dogma der Hochkirche fest, nachdem sie Bischof Wilkins, Schwager Oliver Cromwell’s, ausgerechnet hatte. Er wußte das revolutionäre Parlament so sehr von der Wahrheit dieser Forschungen zu überzeugen, daß es dieselben als Glaubensartikel der Hochkirche sanctionirte. Dieser Parlamentsbeschluß ist bis jetzt eben so wenig aufgehoben, wie der, daß Niemand übersponnene Knöpfe auf dem Rocke tragen, daß Niemand etwas von den Parlamentsverhandlungen veröffentlichen darf und tausend andere Parlamentsbeschlüsse, die noch gesetzliche Kraft haben, und an welche gleichwohl Niemand mehr zu denken wagt. Dies ist zugleich ein Beweis, daß Freiheit und Unfreiheit nicht durch Gesetze erzwungen werden können. Was es in England Freies giebt, ist durchweg gesetzlich verboten, aber das Freie lebt und schöpft aus dem Meere ringsum, aus dem alten germanischen Volkscharakter, und da es wirklich lebt, kann es durch pfiffige Gesetzgebung von Sonderinteressen, die England längst ruinirt haben würden, wenn es nach ihren Gesetzen ginge, nicht so leicht incommodirt, wenigstens nicht todt gemacht werden.

Die vom Bischof Wilkins gemessene und durch’s Gesetz des Parlaments in Länge, Höhe, Breite und Tonnengehalt genau bestimmte Arche Noäh steht noch wohlbehalten auf der Spitze des Berges Ararat. Dies ist wenigstens ein gesetzlicher Glaubensartikel der alten armenischen Bischöfe. Auch kann man ihn unten beim Volke als ausgemachte Sache hören. Die Engländer glaubten’s auch. Wenigstens las ich erst neulich in einem englischen Blatte, daß mehrere Besteigungen der höchsten Spitze des Ararat durch glaubwürdige Männer erwiesen hätten, die Arche Noäh sei nicht nur nicht noch wohlerhalten, sondern überhaupt gar nicht mehr da.

Ich denke bei dieser unserer abendländischen Schöpfungs-Mythologie an die morgenländische der alten Indier, die wenigstens den neuen geologischen Forschungen, nach welchen unsere Erde

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_203.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)