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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 14. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Ein Familiengeheimniß.
Novelle von August Schrader.
I.
Ein Morgen im Comptoir.

Zu Anfang des Sommers im Jahre 1850 sah man an einem Hause in der W.straße zu Hamburg ein neues Schild mit der Inschrift: „Wechsel-Comptoir von Franz Soltau.“ Das Haus war von alter Bauart, der Giebel ging nach der Straße hinaus, die Menge kleiner Fenster desselben war vergittert, und die Thür bestand aus einem einzigen großen Flügel von schwerem Eichenholze. Trotzdem aber hatte dieses Haus ein freundliches, fast elegantes Ansehen, denn der ganze Giebel war von der Firste bis zur Schwelle mit dunkelgrüner Oelfarbe angestrichen, die Fensterscheiben erglänzten wie Krystall, und die große Thür mit dem schwarz lackirten Schlosse schien so eben erst verfertigt zu sein. Das große Schild mit den goldenen Buchstaben vollendete die Stattlichkeit des restaurirten alten Gebäudes.

Das Innere entsprach dem Aeußern: die Tünche der Neuzeit überzog das solide Alterthum. Ueberschritt man die weite Hausflur, welche die ganze Breite des Hauses einnahm, so trat man durch eine kleine gewölbte Thür in das Comptoir. Es war dies ein eben nicht großer gewölbter Raum, dessen drei Fenster nach einem Kanale hinausgingen. An jedem der Fenster befand sich ein vergittertes Bureau, vor dem ein Commis arbeitete. Vor dem Bureau stand ein langer, schmaler Tisch. Durch eine Glasthür rechts sah man in das Kabinet des Chefs dieses jungen Bankhauses.

Es war im Juni, Morgens halb zehn Uhr. Der Comptoirbote trat ein und legte die Briefe auf den Tisch, die er von der Post geholt hatte. Einer der Commis, ein blonder junger Mann in eleganten Kleidern, nahm die Briefe und trug sie in das Kabinet des Chefs

Franz Soltau war ein Mann von achtundzwanzig Jahren. Seine stets heitere und ruhige Stirn, der Schnitt seines einfachen, aber ausdrucksvollen Gesichts und seine ungekünstelten Bewegungen offenbarten ein arbeitsames, entsagendes Leben; zugleich aber auch lag in seinem ganzen Wesen eine hohe, imponirende Würde, aus der jener geheime Adel des Herzens spricht, der allen Lagen des Lebens Trotz bietet.

Der Commis überlieferte die Papiere und zog sich zurück. Der Banquier prüfte die mit der Post angekommenen Neuigkeiten. Er erbrach und las einen Brief nach dem andern, ohne daß sich seine Mienen veränderten. Der letzte indeß schien nicht nur seine Aufmerksamkeit, sondern auch seine Verwunderung zu erregen; er enthielt folgende Zeilen:

          „Mein Herr!

„Der Unterzeichnete ersucht Sie, beifolgenden Wechsel von hunderttausend Mark auf das Haus Salomon Heine zu realisiren und die Summe in Ihrem Bankhause zu deponiren. Bei einer solchen Caution werden Sie sicher keinen Anstand nehmen, einem jungen Mädchen, das sich Ihnen unter dem Namen Sophie Saller vorstellen wird, vierteljährlich eine Rente von tausend Mark zu zahlen. Die Empfängerin legitimirt sich durch ein Creditiv, das von derselben Hand, wie dieser Brief, geschrieben ist und dieselbe Unterschrift trägt. Die Quittungen Fräulein Saller’s erkenne ich im Voraus an und werde sie bei der Abrechnung, deren Zeit ich jedoch nicht bestimmen kann, als geleistete Zahlungen übernehmen. Im Uebrigen füge ich mich den in Ihrem Bankhause üblichen Zinsrechnungen.

     Berlin, den 15. Mai 1850.

E. Kolbert.“ 

Alles prüfte den Wechsel, der in dem Briefe lag; er war von einem bekannten Banquier in Berlin auf das Haus Heine in Hamburg ausgestellt. Kolbert, ein Name, den Soltau nie gehört, mußte demnach die Summe dort eingezahlt haben. Der Wechsel war augenscheinlich richtig.

„Wie aber kommt es,“ fragte sich Soltau, „daß man mir dieses Geschäft überträgt, mir, der ich erst seit einigen Jahren mein Bankhaus eröffnet habe? Ich erinnere mich nicht, je mit einem Kolbert in Berührung gekommen zu sein. Warum läßt man das Haus Heine die Rente nicht zahlen, auf das der Wechsel ausgestellt ist?“

Der junge Banquier hatte kein Risico bei dem Geschäft, wenn er das Einlagekapital erhielt; seine Betriebssumme ward im Gegentheil um hunderttausend Mark vermehrt, und außerdem war der Antrag ein Beweis des Vertrauens, das man ihm schenkte. Er nahm keinen Anstand, darauf einzugehen.

„Herr Lambert!“ rief er in das Comptoir.

Der junge Commis trat ein.

„Realisiren Sie diesen Wechsel bei Heine. Ich erwarte Sie so bald als möglich zurück!“

Lambert nahm den Wechsel, sah nach dem Betrage, rief den Comptoirdiener und entfernte sich. Nachdem Soltau noch einmal den Brief gelesen, legte er ihn in ein besonderes Fach, um ihn von den gewöhnlichen Geschäftspapieren zu trennen. Der gewöhnliche Geschäftsverkehr dauerte nun ununterbrochen eine Stunde fort, es kamen und gingen Leute, die Gelder brachten und holten. Das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_177.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)