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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

die Diplomaten auch bestimmen, sie sind ein ganz besonderes Geschlecht, das ganz außerhalb der Kreise steht, welche das Schicksal der Welt bewegen. Sie beschließen, bestimmen, machen Paragraphen, und draußen beschließt und bestimmt und treibt das Leben und das Interesse der Kultur, die Eisenbahn, das Dampfschiff, der Geldmarkt, die Erfindung, Produktion und Bedarf der Völker ganz nach den Natur-, Sitten- und socialen Gesetzen des Lebens, ohne sich um die Paragraphen der Diplomaten zu bekümmern. Du Diplomatie glaubst zu schieben und du wirst geschoben. Setzen wir gemeinen Leute, die wir im gemeinen Leben irgend etwas Nützliches und Gescheidtes treiben, überall, wo wir einen Karren in der Tinte sitzen sehen, unsere Schultern mit an’s Rad, so schieben wir und die Diplomaten werden geschoben, denn sie sitzen fast immer auf solchen in’s Pech gerathenen Karren. Lassen wir sie dabei ruhig in dem Glauben, daß sie durch ihre Hü’s und Hott’s den Karren und sogar die Welt regieren.





Hauptmomente aus der Geschichte der Architektur.
(Fortsetzung.)
II. Klassische Baukunst
(griechische, etruskische und römische).

Die Völker, welche vor den Griechen auf die Entwicklung der Architektur Einfluß ausübten, wie die Inder, Babylonier, Perser und Aegypter (s. Gartenlaube 1855. Nr. 45), konnten dies – vermöge ihres Kulturgrades, ihrer Verstandes und Gemüthsausbildung, die hauptsächlich von den eigenthümlichen Verhältnissen der sie umgebenden Natur abhängig war, – nur in so beschränkter und einseitiger Weise, daß ihre Baukunst voll öder Monotonie eine entscheidende Einwirkung auf andere Nationen äußern und sich zu einer weltumfassenden Bedeutung zu erheben durchaus nicht vermochte. Erst bei den Griechen, welche vorzugsweise in Folge der Eigenthümlichkeiten ihres Vaterlandes eine vielseitigere Verstandes- und Gefühlsbildung erlangten, gewann die Baukunst eine naturgemäße, wahre und schöne Einfachheit neben Harmonie und dadurch, trotz ihrer ausgeprägten nationalen Form, einen Allgemeinwerth, der sie, wie es scheint, zum unerreichbaren Vorbilde für alle Zeiten und Völker gemacht und ihr vorzugsweise den Ehrennamen der klassischen Architektur verschafft hat. An sie schließt sich dann die etruskische und römische Baukunst an.

Parthenon.

A. griechische Architektur.

Die ersten Anfänge der griechischen Baukunst sind für uns in tiefes Dunkel gehüllt, denn zu der Zeit, wo die Griechen aus der Dämmerung der mythischen Vorzeit in das Licht geschichtlichen Daseins hervortraten, tritt uns auch schon das System ihrer Architektur als ein bereits fest geordnetes entgegen. Als Vorläufer dieser Architektur könnten höchstens die sogen. cyklopischen Werke (Mauern, Thore, Grabhügel, Schatzhäuser u. s. f., die als Charakteristisches anstatt eines Quaderbaues eine scharfe Zusammenfügung großer unregelmäßig gestalteter Blöcke zeigen) angesehen werden; sie stammen aus der Zeit vor dem Eindringen der Dorer (1104 vor Chr.) aus dem Norden Griechenlands nach dem Peloponnes. Eigentlich läßt sich die griechische Baukunst erst von Solon’s Zeit an als klassische bezeichnen und in drei Epochen vertheilen, von denen die 1ste von Solon bis auf Perikles (590–450 vor Chr.), die 2te von Perikles bis zur macedonischen Oberherrschaft (450–350 vor Chr.), die 3te von dieser Oberherrschaft bis zum Untergange Griechenlands reicht.

Es zeichnet sich die griechische Architektur zuvörderst durch den Steinbau (vorzüglich in Marmor) und den Tempelbau aus, da es bei der republikanischen Einfachheit der Griechen keine Paläste gab und alle übrigen öffentlichen Gebäude von künstlerischer Bedeutung ihre Formen denen des Tempelbaues entlehnten. – Das Wesen des griechischen Tempels läßt sich aber am besten durch den Begriff des Säulenhauses, an dem nur das Aeußere von Wichtigkeit war, ausdrücken. Auf einem mächtigen, aus großen Steinblöcken fest und sorgfältig gefugten Unterbaue (Krepidoma) von drei oder mehreren Stufen (zu welcher Plattform an der vordern und hintern Schmalseite in der Mitte kleinere Treppenstufen führen), thront der Tempel als Rechteck, dessen längere Seiten etwa das Doppelte der schmäleren messen. Ringsum oder blos von oder an beiden Schmalseiten bezeichnet die (dem Privathause untersagte) Säulenreihe die Bedeutung des Tempels. Sie stützt das aus mächtigen Steinblöcken zusammengesetzte Gebälk und durch dieses das steinerne Giebeldach mit seinen Bildwerken. Die Decke der Säulenhalle wird aus Steinbalken gebildet, welche einerseits auf dem Gebälk der Säulen, andererseits auf der Mauer des Tempelhauses (Cella) aufliegen. Die Zwischenfelder (Kalymmatien) wurden mit dünnen steinernen Platten ausgefüllt, die man durch viereckige Aushöhlungen (Kassetten) noch mehr erleichterte. Fenster finden sich im griechischen Tempel nicht; dagegen ist in der Mitte der vordern Giebelseite eine mächtige von Säulen nicht verdeckte Flügelthür. –- Die Säulen bestehen aus Basis (Fuß), Schaft (Stamm) und Kapitäl. Durch die Basis sind sie mit dem Fußboden verbunden, der Schaft bildet den mittlern größten Theil, das Kapitäl bildet das Auflager für das Gebälke. – Das Gebälke besteht zunächst aus dem Architrav (Epistylion), mächtigen Steinbalken, die von einer Kapitälmitte zur andern reichen und die Säulenreihe zu einem Ganzen verbinden.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_172.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)