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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

auf 75 angegeben. Nach den eigentlichen Parademärschen ging die Königin mit dem Prinzessen Albert, dem Kriegsminister Panmure, mehreren andern Ministern und Offizieren zu Fuße über den Platz an den aufgestellten Linien hin, und nachdem sie in einer Offizierfeldwohnung gefrühstückt, fuhr sie unter jubelnden Hurrahs wieder ab, wie sie gekommen war. Die Zahl der neugierigen Volksmassen schien nicht sehr groß. Die nächste Nachbarschaft ist dünn bevölkert und von London aus war’s etwas zu weit und kostspielig für den großen Haufen. Um 21/2 Uhr war Alles vorbei. Bei meinem alten berliner Bekannten lernte ich jetzt das Innere der Offizierswohnungen kennen. Jeder Lieutenant hat sein hübsches Zimmer für sich, nach Oben hin hat Jeder zwei bis drei Zimmer. Außerdem giebt es Familienfeldwohnungen für verheirathete Offiziere und sogar verheirathete gemeine Soldaten. Bis jetzt hatten sich aber nur zwei Offiziere und sieben Gemeine mit Frauen und Kindern eingefunden. Wir saßen an einem hübschen Tische mit eisernem Gestelle auf Klappstühlen oder der eisernen Bettstelle, Einer sogar auf dem Ofen und sprachen Deutschlands und Englands Vergangenheit und Zukunft ziemlich solide durch. Einer der Offiziere bewies sogar mit viel Scharfsinn und Wärme, daß England aus seiner Heuchelei und Koketterie von der Consequenz des ausgebrochenen Kampfes unerbittlich und unaufhaltsam getrieben werde, für die Freiheit Europa’s, die es von jeher grundsätzlich verrathen und verkauft habe, zu kämpfen und daß er deshalb hierher gekommen sei und er und seine Collegen diese Ueberzeugung unter den Gemeinen zu befestigen wüßten. „Die Botschaft hört’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“. – Genug davon. –

Hernach zeigte man mir die wunderschönen, praktischen eisernen Kochhäuser, worin vom Hause selbst an bis zum kleinsten Geräthe Alles von Eisen gegossen ist, eben solche Waschhäuser, Retiraden von demselben Metall und endlich die neue Kirche, deren Kanzel, Altar, Stühle, Chöre, Abtheilungen ebenfalls größtentheils aus dem Hochofen gelaufen waren.

Die deutsche Legion auf Shorncliffe besteht bis jetzt aus einem Jäger-Regimente von etwa 1100 Mann mit dunkelgrünen Uniformen, schwarz polirten Helmen, schwarzen Beinkleidern und Minié’s mit Bayonnetten, dem ersten leichten Infanterie-Regiment von etwa 800 Mann mit rothen Waffenröcken, die bei den Offizieren mit geschmackloser Goldstickerei, Streifen, Schnüren und „Raupen“ überladen sind, einer Heerde noch nicht eingereihter Rekruten, und zwei Regimentern Cavallerie von 150 Mann zu Fuße. Pferde und die übrigen Reiter gedenkt man erst mit Geschicklichkeit und List zusammen zu schmuggeln, obgleich alle neutralen Staaten (Amerika am Grimmigsten) aufpassen wie die Hechelmacher, daß die Schmuggler ihnen ihre Unterthanen nicht à 5 Pfund per Stück wegkaufen. Außerdem giebt’s auch hier schon russische Agenten, welche die braven Bauerburschen, bankerotten Gesellen und Lehrjungen zum Desertiren verlocken, wie ja schon ein solcher Fall vor ein Gericht in London kam. Ein zweites Regiment leichter Infanterie wird auf Helgoland organisirt. Es besteht jetzt aus etwa 700 Mann. Wenn in jedem das Tausend voll ist, sollen sie in Southampton für die Krim eingeschifft werden.

Aus der Fremdenlegionskirche zurückgekehrt, lagerten wir uns im Schatten einer Barake und fingen an, deutsche Lieder zu singen. Deutsche Lieder ertönend aus rothen Jacken, blauen Waffenröcken, grünen Uniformen, scharlachrothen, goldblitzenden, stockenglischem Tuch – das war wieder herzerschütternd. Lauter junges, ursprünglich hoffnungsvolles, jetzt erbittertes, von Noth, von Ehrgeiz, von Tücke, von Rache, von Verzweiflung, von neuen Idealen getriebenes deutsches Blut zusammengestohlen, zusammengewürfelt, jetzt zu einem neuen, fremden Organismus einexercirt und harmonisch zusammenschmelzend in den „drei Reitern, die zum Thore hinausritten,“ in Lützow’s „wilde verwegene Jagd,“ in „Morgenroth, Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod“ und endlich in „Vater, ich rufe dich!“

Die Feierlichkeit dieser Melodie ergriff offenbar die Herzen Aller, die sich zahlreich zu uns gesellt. Es war, als horchten die Schiffe draußen auf dem Meere mit gespannten Segeln. Einige Gemeine standen mit dummen Gesichtern horchend, aber unwillkürlich die Hände faltend. Und ich rief: „O, Theodor Körner, Sänger und Opfer eines deutschen Befreiungskrieges für die Throne und die Regenten Deutschlands, daß hier das ferne Meer, daß hier die Deutschen als Fremde, als Miethlinge Deine Lieder brauchen, mißbrauchen! Warum lebtest Du nicht, dem deutschen Volke ein Lied der Freude und der Freiheit zu singen? – Warum – ja warum? Was hilft das Fragen?“ „Was ist des Deutschen Vaterland?“ „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?“ Mitten in den Klängen des „Vater, ich rufe dich“ nickte ich meinen Bekannten zu und ging fort nach Folkestone. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Diese Entfremdung und Entweihung Deutschlands war mir zu feierlich.




Blätter und Blüthen.

Französischer Witz. Der große Diplomatenmeister Talleyrand hatte einen der amüsantesten Salons in Paris, in welchem sich die größten Staatskunst-Genies und ersten Lichter des Witzes zu treffen pflegten. Die Diplomatie war damals noch nicht so nüchtern und mysteriös nichtssagend und nichtskönnend, wie heut zu Tage. Damals hatte sie wirklich viel zu thun und bedurfte keiner leeren Wichtigthuerei und Geheimnißkrämerei, wie jetzt. Seit Erfindung der Eisenbahnen und Telegraphen giebt es kaum noch etwas Wichtiges, was sich Diplomaten durch diese beschwingten Boten zuflüstern könnten, hauptsächlich deshalb, weil sie nichts Wichtiges finden und leisten können. Der Salon Talleyrand’s enthielt in seinen spätern Jahren allen Geist und Witz, den Paris auftreiben konnte, gleichviel, ob die Inhaber des Witzes sonst Freunde oder Feinde waren. Seiner geistreichen Nichte, der Herzogin von Dino, die andern Gäste überlassend, zog er sich gern mit Collegen, fremden Gesandten und Staatskünstlern in ein besonderes Zimmer zurück, wo sie mit Witzen und Karten spielten, und in Karten ihr Intriguentalent übten, womit sie später auf dem Congresse zu Wien eine neue Landkarte Europa’s und die Gesetze des „ewigen Friedens“ und europäischen Gleichgewichts machten. Ihre kleinste Münze beim Spiel waren Napoleonsd’ors, so viel wie unsere Friedrichsd’ors und Louisd’ors unter Brüdern werth. Nach Beendigung eines solchen Spiels kroch eines Tages der englische Gesandte unterm Tisch und tappte auf der Decke im Dunkeln umher.

„Was suchen Ew. Excellenz?“ fragt Tayllerand.

„Einen Napoleon, der heruntergefallen,“ antwortete Se. Excellenz dumpf unterm Tische hervor.

„O, erlauben Sie,“ sagte Talleyrand mit einem sarkastischen Zwickern seiner grauen Augen, „Excellenz können ja nicht sehen.“ Und so zieht er recht augenfällig eine Tausendfranknote hervor, brennt sie an und leuchtet damit dem englischen Gesandten unter die Nase.

„Excellenz, Excellenz,“ schreit der Engländer erstaunt über diese Verwüstung und dieses Epigramm, „was machen Sie?“

„Ich leuchte Ihnen zu Ihren Forschungen.“

Jetzt geht dem Engländer ein Licht auf, er versteht und erhebt sich. Nächsten Morgen schickt ihm Talleyrand einen Hausknecht, der das Geldstück beim Auskehren gefunden, mit einem Complimente, daß sich Se. Excellenz sehr freuten, ihm seinen Verlust wieder gut machen zu können. Das verlorene Schaf habe sich gefunden. Der englische Gesandte war ob dieses Epigramms lange Zeit der Gegenstand des Gelächters.




Austrommeln in China. In vielen Orten China’s herrscht die Sitte, daß jeder junge Mann, der an seinem 21sten Geburtstage nicht verheirathet ist, unter allgemeinem Jubel und Hohn aus der Stadt hinausgetrommelt wird. Dieses Fest wird an jedem Geburtstage, der ihn als Junggesellen begrüßt, wiederholt. Unlängst heirathete Einer, vor dessen Thür sich eben die Trommler mit großen Menschenmassen versammelt hatten, um ihn zur Stadt hinauszutrommeln, ein Mädchen rasch aus der Masse heraus (indem er sie vom Vater kaufte, wie dies in China so Mode ist), um dem ihm zugedachten Charivari zu entgehen.




Literatur. Von Lud. Storch’s Schriften ist vor Kurzem der zweite Band erschienen. Er enthält die beliebte und vielgelesene Erzählung: Der Glockengießer, die bekanntlich in der ersten Nummer des Herloßsohn’schen Kometen begann und damals hauptsächlich zu dem schnellen Erfolg dieser Zeitschrift beitrug. Der dritte Band des Werks erscheint binnen acht Tagen. – Auch auf ein anderes Unternehmen machen wir unsere Leser aufmerksam. Die Kaulbach’schen Bilder zu Goethe’s Reinecke Fuchs, in der bisherigen theueren Stahlstich-Ausgabe nur den Bemittelten zugänglich, werden jetzt in einer Holzschnitt-Ausgabe erscheinen, die unter der Leitung des großen Meisters übertragen und ausgeführt und complet zwischen zwei bis drei Thaler kosten wird.






Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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