Seite:Die Gartenlaube (1855) 257.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 20. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Schlom Weißbart.
Ein Bild aus Litthauen.
Vom Verfasser der schwarzen Mare.
(Fortsetzung.)


„Ihr seid bekannt als Pferdedieb.“

„Kennt mich der Herr?“

„Sämmtliche Beamte an der Grenze bekunden es.“

„Hat Einer gesehen, daß ich habe gestohlen?“

„Sie bekunden das allgemeine Gerücht.“

„Was heißt Gerücht? Die Polizei kann machen das Gerücht. Sie sprechen, Herr, daß ich bin verwickelt in eine große Untersuchung von vielen Spitzbuben. Hat gesehen ein Einziger von diesen, daß ich habe gestohlen?“

„Sie würden dadurch sich selbst angeklagt haben.“

„Also nur die Polizei hat mich angeklagt. Die Polizei hat gemacht das Gerücht, und auf dieses Gerücht sitze ich hier seit länger als einem Jahre.“

Die Rollen des Inquirenten und Inquisiten waren beinahe vertauscht.

„Ihr sagtet, Schlom Weißbart, außer dem Dorfrichter von Mädischkehmen habe noch Einer Euch an die Grenze gelockt. Wer war dieser Eine?“

„Erlassen Sie mir das, Herr!“

„Ich frage in Eurem Interesse.“

„Gott behüte mich vor solchem Interesse. Kennen der Herr Kreisjustizrath das Essen von Kirschen mit großen Herren?“

Beim Durchlesen der weitläufigen Acten war ich auf einen Umstand aufmerksam geworden, über welchen Schlom Weißbart noch nicht vernommen war, welcher gleichwohl etwas mehr Thatsächliches, als bloßes allgemeines Gerücht zum Inhalte hatte. Ein Zeuge, der in Russisch-Neustadt Geschäfte gehabt, wollte dort gesehen haben, wie Schlom Schwarzbart eines Morgens früh drei braune Pferde zum Stalle des Schlom Weißbart gebracht habe. In derselben Nacht waren einem preußischen Gutsbesitzer in der Nähe von Laugallen, also nicht sehr weit von Neustadt, drei braune Pferde von der Weide gestohlen. Freilich stand die Identität der von dem Zeugen nur flüchtig in der Morgendämmerung gesehenen Pferde mit den gestohlenen in keiner Weise fest. Um so mehr konnte der Verdacht gegen Schlom Weißbart nur ein so entfernter sein, daß er juristisch kaum in Betracht kam. Ich glaubte indeß, an diesen Umstand anknüpfen zu dürfen.

„Schlom Weißbart,“ fragte ich den Juden, „kennt Ihr den Schlom Schwarzbart?“

Sein Gesicht durchflog wieder dasselbe höhnische Lächeln, wie im Gefängnisse bei Nennung des Namens Schlom Schwarzbart. Ruhig entgegnete er. „Giebt es doch viele Schlome in der Welt.“

„In Russisch-Neustadt“, ergänzte ich meine Frage.

„Auch da.“

„Und Einer von ihnen hat den Zunamen Schwarzbart!“

„Ich weiß es nicht.“

„Wie man Euch Weißbart nennt?“

„Gottes Wunder, so nennt mich die Polizei in Preußen.“

„Zur Unterscheidung von Schlom Schwarzbart.“

„Aber ich kenne keinen Schlom Schwarzbart. Auch in Rußland kennt man nicht einen Schlom Schwarzbart, und auch nicht den Schlom Weißbart.“

Ich weiß nicht, warum plötzlich der Verdacht in mir aufstieg, Schlom Weißbart und Schlom Schwarzbart seien ein und dieselbe Person. Rasch stellte ich dem Juden die Frage: „Seid Ihr selbst der Schlom Schwarzbart?“.

Ein Blitz der Wuth schoß aus seinem Auge auf mich. Aber er antwortete mit seinem freundlichen Lächeln: „Dann müßte ich ja kennen den Schlom Schwarzbart.“

„Gewiß werdet Ihr ihn kennen. Er soll gestohlene Pferde in Euren Stall gebracht haben.“

„Haben der Herr Zeugen?“

Auch diese Richtung des Verhörs führte nicht weiter. Ich hatte schon vorher meinen Plan gefaßt und schritt sofort zum Schlußverhör. Ich eröffnete ihm das. Er mußte sich Gewalt anthun, seine laute Freude zurückzuhalten.

„Sie lassen mich frei? Heute?“

„So nicht, Schlom. Ich schicke nur Eure Acten noch heute nach Insterburg zum besonderen Spruch über Euch ein.“

Er wurde niedergeschlagen. „Gott behüte, da sind viele Herren Referendarien, das wird lange daueru, ehe sie kommen zurück.“

„Ihr sollt bis dahin jeden Schabbes Euren Hering haben, und wenn Ihr wollt, täglich.“

Etwas richtete ihn das Versprechen wieder auf. „Nicht täglich. Aber die Woche zweimal, wenn der Herr erlauben.“

„Ich erlaube es.“

„Und,“ fuhr er fort, plötzlich zögernd, mit beinahe ängstlich angehaltenem Athem. „Und erlauben der gnädige Herr, daß ich kann sprechen meine Frau und mein Kind?“

„Auch das.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_257.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)