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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

wird die ununterbrochen von den heißen Sonnenstrahlen erwärmte Luft in die Höhe steigen und in den oberen Regionen der Atmosphäre nach beiden Seiten hin d. h. nach den Polen zu abfließen; dagegen wird von den Polen nach dem Aequator kalte Luft zuströmen. Die in den oberen Regionen nach den Polen zu strömende Luft wird sich natürlich nach und nach wieder abkühlen und sich dann auf die Oberfläche der Erde herabsenken. Dieses Herabsinken geschieht in der gemäßigten Zone, also in den Breiten der Erde, zwischen welchen Europa, Nordamerika, der nördliche Theil von Asien, ferner die Südspitze von Amerika und Afrika und ganz Neuholland liegt. Sonach würden in der Nähe des Aequators beständig Winde wehen müssen, welche von den Polen herkommen, während in größerer Entfernung vom Aequator bald Nord- bald Südwinde herrschen würden, je nachdem der eine oder andere Luftstrom gerade über einem bestimmten Theil der Erdoberfläche sich gelagert hätte. Denn da, wie oben gesagt wurde, in der gemäßigten Zone die oberen Luftströme sich auf die Oberfläche der Erde herabsenken, so werden sie sich zwischen die von den Polen kommendcn Ströme lagern.

Die Erfahrung widerspricht aber dieser Theorie, indem in der Nähe des Aequators beständige Ostwinde und in der gemäßigten Zone bald Südwest- bald Nordostwinde die herrschenden sind.

Diese Aenderung der Windrichtung kommt von der Achsendrehung der Erde her.

Um dieses zu erklären, stellen wir im Geiste folgenden Versuch an. Der Leser denke sich die Erdoberfläche vollkommen glatt und fest und nehme einstweilen an, daß sie keine Achsendrehung habe. Wir rollen von irgend einem Punkte des Aequators eine Kugel genau nach einem der beiden Pole. Sehen wir von allen Hindernissen der Bewegung ab, so wird die Kugel nach dem Gesetz der Trägheit die ihr von der Hand mitgetheilte Geschwindigkeit unverändert beibehalten und ohne weiteren Anstoß ununterbrochen in einem Kreise um die Erde laufen, welcher durch die beiden Pole hindurch geht. Ganz anders wird aber die Bewegung der Kugel ausfallen, wenn, wie es wirklich der Fall ist, die Erde sich von Westen nach Osten um eine durch die Pole gehende Achse dreht. Durch diese Achsendrehung erhält nämlich jeder Punkt der Erdoberfläche eine Bewegung nach Osten zu, die aber für die verschiedenen Punkte der Erde je nach ihrer Entfernung vom Pole, verschieden ist. Jeder Punkt der Erdoberfläche beschreibt einen dem Aequator parallelen Kreis (Parallelkreis), der um so kleiner ist, je näher der Punkt dem Pole liegt; dagegen werden alle diese Kreise in derselben Zeit, nämlich in 24 Stunden beschrieben. Der Umfang des Aequators beträgt bekanntlich 5400 Meilen. Ein im Aequator befindlicher Punkt läuft also in 24 Stunden durch einen Kreis von 5400 Meilen Umfang. Ein Punkt, der um 1/3 der ganzen Entfernung des Poles vom Aequator vom Pole entfernt ist (im 60. Grade der geographischen Breite liegt, wie z. B. Petersburg) beschreibt einen Kreis von halb so viel Umfang, nämlich von 2700 Meilen; da nun aber die Zeit dieser Bewegung wieder dieselbe ist, so wird die Geschwindigkeit eines solchen im 60. Grade der Breite liegenden Punktes nur halb so groß sein, als die eines Punktes im Aequator. Jeder auf der Erdoberfläche befindliche Körper nimmt nun Theil an dieser Bewegung und behält sie in Folge des Gesetzes der Trägheit bei, auch wenn er momentan von der Erde getrennt wird. Wenn das nicht so wäre, würde es nicht möglich sein, mit irgend einem Geschoß etwas zu treffen; es würde der Boden unter unseren Füßen wegfahren, wenn wir in die Höhe springen, und wir würden dann auf einem ganz anderen Orte wieder zu stehen kommen. Man sieht leicht, daß unter solchen Umständen alles auf der Erde verwüstet werden müßte.

Doch wir kehren zurück zu unseren früheren Betrachtungen.

Jene Kugel also, welche vom Aequator nach dem Pole zu abgeht, hat außer der ihr von der Hand mitgetheilten Bewegung noch eine andere nach Osten zu gehende, durch die Achsendrehung der Erde erzeugt, vermöge welcher sie in 24 Stunden 5400 Meilen zurücklegt. Diese Geschwindigkeit behält sie nach dem Gesetze der Trägheit bei. Je weiter sie sich aber nach dem Pole zu bewegt, um so mehr berührt sie Punkte der Erdoberfläche, welche eine kleinere Geschwindigkeit nach Osten zu besitzen. Sie wird also diesen Punkten vorauseilen und immer mehr und mehr von der direct nach dem Pole gehenden Linie abweichen. Eine solche Kugel würde sonach eine ganz merkwürdige Bahn verfolgen und sobald nicht nach dem Pole gelangen; sie würde sich in einer spiralförmigen Bahn um den Pol herumbewegen.

Aehnliches würde stattfinden, wenn man von dem Pole nach dem Aequator eine Kugel rollte. Die Pole sind die einzigen Punkte der Erde, welche an der Achsendrehung derselben nicht theilnehmen. Eine vom Pole auslaufende Kugel hat sonach keine weitere Bewegung, als diejenige, welche ihr anfangs von der Hand mitgetheilt worden ist. Je weiter sie aber vom Pole sich entfernt, um so größer wird die nach Osten gerichtete Geschwindigkeit der Punkte der Erdoberfläche. Da nun die Kugel gar kein Bestreben hat nach Osten hin sich zu bewegen, so werden ihr die Punkte der Erde vorauseilen, sie wird hinter ihnen zurückbleiben, also immer mehr und mehr eine nach Westen gehende Bewegung annehmen, welche endlich in der Nähe des Aequators dem Aequator parallel wird.

Was wir hier über die von unserer Hand geworfene Kugel gesagt haben, gilt nun auch von den nach und von den Polen sich bewegenden Luftmassen. Die Luftmassen, welche über dem Aequator in die Höhe steigen, nehmen Theil an der Achsendrehung der Erde. Sie besitzen nach Osten zu eine Geschwindigkeit von 5400 Meilen in 24 Stunden, welche sie nicht verlieren während ihrer Reise nach den Polen, wohin sie, wie oben gesagt wurde, abfließen müssen. Je weiter also diese Luftmassen vom Aequator sich entfernen, desto mehr werden sie ihre anfängliche Richtung nach den Polen in eine nach Osten sich neigende abändern, dergestalt, daß wir in der gemäßigten Zone, wo diese Luftströme sich wieder anfangen auf den Erdboden zu senken, sie als nach Nordost gehende Winde in der nördlichen Halbkugel und als nach Südost gehende Winde in der südlichen Halbkugel empfinden werden. Da wir nun die Winde nach der Himmelsgegend zu nennen pflegen, woher sie kommen, so würden jene Luftströmungen in der nördlichen Halbkugel Südwest-, in der südlichen Halbkugel Nordwestwinde sein.

Diese Winde nennt man die rückkehrenden Passatwinde, oder den Südwestpassat und den Nordwestpassat.

Ebenso wie wir es oben bei der Kugel gesehen haben, werden nun auch die von den Polen nach dem Aequator hinströmenden Luftmassen ihre Richtung um so mehr gegen Westen hin abändern, je mehr sie sich dem Aequator nähern. In der gemäßigten Zone gehen die Luftströmungen bereits nach Südwest in der nördlichen und nach Nordwest in der südlichen Halbkugel, d. h. es sind in der nördlichen Halbkugel Nordost-, in der südlichen Südostwinde. Diese Winde nennen wir die kommenden Passatwinde oder den Nordostpassat und den Südostpassat. Es müssen, weil die Luft direkt von den Polen herfließt, kalte Winde sein. Je mehr sich aber der Luftstrom dein Aequator nähert, um so mehr geht er in reinen Ostwind über. Zu beiden Seiten des Aequators wehen in der That beständige Ostwinde, welche schlechthin Passatwinde genannt werden.

Zwischen den beiden östlichen Luftströmungen liegt noch eine schmale Zone, in welcher keine beständigen Winde wehen und die deshalb die Zone der Windstillen oder die Region der Calmen heißt. Eigentlich müßte hier auch beständiger Ostwind herrschen, da beide Lustströme sich vereinigen. Allein wie schon oben erinnert worden ist, gerathen hier die Luftmassen in aufsteigende Bewegung, welche so heftig ist, daß dadurch die horizontale Bewegung unmerklich wird. Diese Region wird von Stürmen und Regengüssen sehr häufig heimgesucht.

Wir haben in den vorigen Betrachtungen die Sache so dargestellt, als sei die Zone der Windstillen immer unmittelbar bei dem Aequator, dergestalt, daß der Aequator mitten durch sie hindurch geht; ferner als seien die Zonen der Passatwinde zu beiden Seiten desselben gleich weit von ihm entfernt. Das ist nicht ganz richtig. Diese Zonen verrücken sich vielmehr während eines Jahres periodisch je nach dem Stande der Sonne gegen die Ebene des Aequators. Es ist nämlich nicht das ganze Jahr hindurch am Aequator der heißeste Theil der Erde. Dieser heiße Theil ist jedesmal da, wo die Sonnenstrahlen zur Mittagzeit senkrecht auf die Erde fallen und so kommt es, daß die Zone der Windstillen in der einen Hälfte des Jahres etwas nördlich, in der andern etwas südlich vom Aequator liegt. Außerdem erfährt die Lage dieser Zonen noch eine Abänderung durch die in beiden Halbkugeln (der nördlichen und südlichen) verschiedene Vertheilung von Land und Meer.

In dieser letzten Beziehung ist überhaupt zu bemerken, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_542.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)