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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

daß er die reizende Marianne, trotz ihrer Armuth, heirathen würde. Seine Liebe zu dem verlassenen Mädchen flößte ihr eine Art Ehrfurcht ein. Dieselbe Wirkung setzte sie bei andern voraus, die ihr früheres Verhältniß zu dem jungen, liebenswürdigen Baron kannten. Welch einen Eklat mußte die Verlobung hervorbringen! Es gab nur noch wenig Augenblicke, in denen der Kopf seine Rechte geltend machte, denn die Leidenschaft des Herzens beherrschte das ganze Wesen Franziska’s. Der Reichthum allein konnte sie nicht glücklich machen. Um sich zu betäuben, stürzte sie sich in den Strudel der Freuden der großen Welt.

So empfing sie eines Tages eine Einladung zu einem Maskenballe, den der Gesandte eines auswärtigen Hofes gab. Mit großer Sehnsucht erwartete sie den Abend, von dem sie sich eine heilsame Zerstreuung versprach. In dem kostbaren Kostüme einer Griechin, eine feine schwarze Halbmaske vor dem schönen Gesichte, betrat sie den Saal, der bereits mit einer zahlreichen Maskengesellschaft angefüllt war. Sie durfte voraussetzen, daß die Eingeladenen nur den höhern Ständen angehörten, zumal da sich auch einige Prinzen des königlichen Hofes unter ihnen befanden. Daran, daß sie Walther in dieser kostspieligen Sphäre treffen würde, dachte sie nicht. Mit großer Genugthuung machte sie die Bemerkung, daß ihr Erscheinen allgemeines Aufsehen erregte. Dies konnte nur ihr vollendet schöner Wuchs und das wahrlich kostbare Kostüm hervorbringen, denn wen die Maske barg, wußte Niemand, da sie die Wahl derselben sehr geheim gehalten hatte. Sobald sie eingetreten, machte sich ein Grieche bemerkbar, der ihr auf Tritt und Schritt folgte. Die Musik begann und der elegante Verfolger forderte sie zum Tanze auf. Beide schwebten durch den Saal. Die übrigen Tänzer traten zurück, um das schöne, leicht schwebende Paar zu bewundern. Ward Franziska durch diese Ovation auch mit Stolz erfüllt, so dachte sie dennoch mit einem wehmüthigen Schmerze:

„Könnte ich mit Walther diesen Triumph theilen!“

Dann wieder regte sich in ihr der Wunsch, er möge anwesend sein, sie erkennen und sie beneiden. Der Glanz des Festes übte die gehoffte Wirkung nicht aus. Wie aus Ueberdruß ließ sie sich die Aufmerksamkeiten ihres Tänzers gefallen, der sich nach dem Rechte der Masken auch manche scherzhafte Freiheit erlaubte, um sie zu unterhalten. Man trat in eins der Seitenzimmer und hier ging die bisher stumme Unterhaltung in leise geflüsterte Worte über. Der Ballgast, dessen ganzes Gesicht von einer undurchdringlichen Maske bedeckt war, ließ sich an der Seite seiner Griechin auf einem Polster nieder.

„Kennen Sie mich denn?“ fragte Franziska, die sich über die Beharrlichkeit ihres Begleiters wunderte.

Die Maske nickte und drückte zärtlich ihre Hand.

„So nennen Sie mir meinen Namen.“

Der Grieche zog ein kleines Notizbuch hervor und schrieb auf ein Blatt desselben mit ziemlich undeutlichen Buchstaben die Worte: „Franziska von Adersheim.“

„Und wer sind Sie, mein Herr?“ fragte sie erstaunt weiter.

Er neigte sich an ihr Ohr und flüsterte ganz leise: „Ein Mann, dem Sie die heißeste Liebe eingeflößt haben!“ Und zugleich berührten seine Lippen, welche von der feinen Wachsmaske nicht bedeckt wurden, ihren schlanken Hals.

„Mein Herr,“ gab sie spöttisch zur Antwort, „Scherze dieser Art können mich nicht unterhalten.“

Der Grieche hob betheuernd drei Finger empor, wobei seine dunkeln Augen aus der Maske hervorglühten. Dann ergriff er stürmisch ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen.

„Sie irren,“ flüsterte sie erschreckt, „ich bin nicht Franziska von Adersheim!“

„Aber ich liebe Sie!“ flüsterte die Maske mit tonloser Stimme zurück.

Franziska starrte den Griechen an. Wäre er weniger leidenschaftlich gewesen, so würde sie eine Aehnlichkeit mit Walther zu erkennen geglaubt haben. In diesem Augenblicke traten zwei weibliche Masken ein. Die eine derselben stellte eine Schäferin, die andere eine Chinesin dar. Erschöpft von dem Tanze warfen sie sich auf die Polster. Ihre Aufmerksamkeit war auf das schöne Griechenpaar gerichtet, das ihnen gegenüber saß. Franziska’s Begleiter erhob sich, küßte ihr mit Galanterie die Hand und verschwand aus dem Gemache. Nun erschien ein alter Herr in einem schwarzen Domino; er trug eine schwarze Brille, die sein ehrwürdiges Gesicht unkenntlich machte. Sein weißes Haupt war unbedeckt, er trug das Baret in der Hand. Ein Diener mit Erfrischungen folgte ihm.

„Hier sind die Damen, mein Freund, präsentiren Sie!“

Die Marken ergriffen die Gläser, dann entfernte sich der Diener wieder, um gleich darauf auch für Franziska ein Glas Limonade zu bringen. Der Domino hatte sich neben den beiden Damen niedergelassen, die Franziska bis jetzt vergebens zu erkennen gesucht hatte. Unbefangen begannen sie ein Gespräch.

„Ich behaupte,“ sagte die Schäferin, „daß die Tänzerin des Prinzen keine andere als das Fräulein von Adersheim war. Sie tanzt schön, es ist wahr – aber nur sie vermag sich mit einer solchen Koketterie zu bewegen.“

„Die Türkin?“ rief spöttisch lachend die Chinesin. „Wetten wir, daß sie die Tochter vom Hause war. Um zwölf Uhr demaskirt man sich, dann werden wir sehen wer Recht hat. Ich zweifle überhaupt daran, daß die Adersheim hier ist. Wie man sagt, leidet sie an einem Gallenfieber.“

Den Händen der armen Franziska wäre fast das Glas entfallen. Sie erkannte in der Chinesin, die diese hämischen Worte gesprochen, ihre erbittertste Feindin, die alte Gräfin von Z. Um sich nicht zu verrathen, schlürfte sie hastig ihre Limonade. Wie gern hätte sie sich entfernt; aber durfte sie es wagen, ohne Aufsehen zu erregen? Sie beschloß, unter dem Schutze ihrer Maske auszuharren.

„Ich habe es immer gesagt,“ fuhr die geschwätzige Gräfin, eine echte Lästerzunge fort, „daß die übermüthige Adersheim, trotz ihrer großen Erbschaft ihr Ziel nicht erreicht. Der Baron von Linden hat sich seit einiger Zeit zurückgezogen und der Bruch ist nun vollständig. Das macht dem jungen Manne Ehre.“

„Wie man sagt, ist das Fräulein schön,“ fügte der alte Herr im Domino hinzu.

„Sie ist schön, das muß ihr der Neid lassen; aber sie ist nicht liebenswürdig. Wehe dem armen Manne, der sie zur Frau erhält und dreimal Wehe ihm, wenn er ohne Vermögen ist. Dies mag der Baron von Linden wohl eingesehen haben. Was nützen Schönheit und Reichthum, wenn die Herzensgüte fehlt? Der Baron ist ein schöner, liebenswürdiger Mann, der ohne Zweifel eine Frau bekommt, die ihn glücklich macht, wenn er auch kein Vermögen besitzt.“

„Immerhin!“ rief die Schäferin, „sie feiert heute einen neuen Triumph, denn der Prinz hat den ganzen Abend mit ihr getanzt, sie ist seine Dame gewesen. Wetten wir, daß wir sie bei der Demaskirung an seiner Seite erblicken.“

„Zwanzig Louisd’or, meine Beste! Sie werden Franziska von Adersheim eben so wenig an der Seite des Prinzen, als je wieder an dem Arme des Barons erblicken.“

„Die Wette gilt! Um zwölf Uhr wird es sich zeigen. Jetzt ist es halb zwölf –“

Nun traten noch einige Masken ein und Franziska hatte Gelegenheit, sich ohne Aufsehen zu entfernen. Thränen einer schmerzlichen Wuth perlten unter ihrer Maske hervor. Wie gern würde sie ihren ganzen Reichthum hingegeben haben, wenn es ihr möglich gewesen wäre, bei der Demaskirung an Walther’s Seite zu erscheinen. Alles, was sie am Meisten gefürchtet, war nun eingetroffen, sie war der Lächerlichkeit, dem Spotte anheimgefallen. Und dabei ward sie von einer grenzenlosen Leidenschaft zu dem Manne verzehrt, die ihr eine so schreckliche Niederlage bereitet hatte. In einer unbeschreiblichen Verfassung hatte sie ein entferntes Nebenzimmer erreicht, in dem sich keine Gäste befanden. Ihr fehlte der Muth, durch den Saal zu gehen, um den Ausgang zu gewinnen, denn sie glaubte, man müsse sie erkennen. Da kam plötzlich der Grieche wieder, er schien ihr gefolgt zu sein. Nachdem er sich verneigt, bat er flüsternd um einen Tanz. Mißtrauisch sah sie ihn einen Augenblick an, sie hielt ihn für einen Genossen der Gräfin Z. und seine freiwillige Liebeserklärung für einen Hohn. Sie war zu niedergeschmettert, als daß sich irgend eine Art von Aufregung in ihr Bahn brechen konnte.

„Mein Herr,“ flüsterte sie, „wenn ich Ihre Aufmerksamkeiten annehmen soll, so eröffnen Sie sich mir. Aus Ihrer Annäherung darf ich wohl schließen, daß ich Sie nicht zum ersten Male sehen werde, wenn Sie die Maske abnehmen.“

„O, Sie kennen mich, mein Fräulein,“ flüsterte der Grieche zurück. „Und damit Sie sehen, wie wenig ich Ihr Mißtrauen verdiene, überlasse ich es Ihnen, mir die Maske abzunehmen.

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