Seite:Die Gartenlaube (1854) 499.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Alte Leute werden aus eigenen Erinnerungen ihrer Kindheit oder aus Erzählungen ihrer Aeltern wissen, welche halsbrechende und zum Sterben langweilige Tour eine Reise von Dresden nach Leipzig noch gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts war. Ist es doch noch keine zwanzig Jahre her, daß in Preußen mehrere der wichtigsten Verkehrswege, z. B. die Straße von Magdeburg über Stendal nach Hamburg und manche Straßenzüge in den Ostprovinzen nur erst zum Theil chaussirt waren. Bis 1816 gab es in den sämmtlichen preußischen Landen diesseits der Elbe, mit Ausnahme Schlesiens und Sachsens, nicht mehr als 44,3 Meilen Staatschausseen, in Ost- und Westpreußen nebst Posen zusammen nur 1,2 Meilen!

Welcher ungeheure Fortschritt hat in dieser Hinsicht seit den letzten 30 bis 40 Jahren allerwärts in Deutschland stattgefunden! Nicht blos im Süden (wo man hierin schon weit früher vorgeschritten war), sondern auch in den meisten Gegenden Norddeutschlands (vor Allem in Sachsen, welches jetzt beinahe 11/2 Meile Staatsstraßen auf jede Quadratmeile seiner Bodenfläche besitzt), nicht blos in den Ebenen, sondern bis hinauf in die steilsten Gebirge, findet man entweder wirkliche Kunststraßen (Chausseen), oder wenigstens so fahrbare und wohlerhaltene Wege, wie man sie vor 100 Jahren nicht einmal in der unmittelbaren Nähe der Haupt- und Residenzstädte hatte.

Im Postwesen selbst ferner, welche Veränderungen! Die ehemalige „gelbe Kutsche“ mußte vor (etwa 30 Jahren) der „Diligence“, diese dem Eilwagen weichen, welcher letzte denselben Weg, zu welchem jene erste 11/2 Tage brauchte, in zehn, bisweilen in sieben oder acht Stunden zurücklegte. Der heutige Reisende, der sich behaglich auf den elastischen Polstern einer preußischen oder hannöverschen Schnellpost dehnt und, in weiche Kissen zurück gelehnt, von der federnden Bewegung des Wagens sich schaukeln läßt, wird sich nur schwer in die Lage eines jener unglücklichen Märtyrer des frühern Postwesens versetzen können, welcher auf einem Mark und Bein durchschütternden Leiter- oder Korbwagen, dem die wohlthätige Erfindung der Federn vollkommen fremd geblieben war, auf einem ungepolsterten, selten auch nur mit einer Rücklehne versehenen Sitze, ohne ein schützendes Obdach gegen Wetter und Wind wie gegen Sonnenschein im schneckengleichen Zuge der Gäule auf den holprigen Wegen fortgeschleppt und umhergeworfen ward. Die letzten lebendigen Traditionen jener Marterwerkzeuge, die man noch vor einem oder ein paar Jahrzehnten in gewissen stoßenden Rumpelwagen auf manchen Nebenpostcursen (z. B. in den höchsten Gegenden unsres Erzgebirges und Voigtlandes) antraf, sind nunmehr wohl auch allerorten vollends verschwunden.

Der Postdienst bewegte sich früher (wie sich ältere Reisende noch aus eigener Erfahrung erinnern werden), namentlich in unserm kaltblütigen Norden, mit einer Schwerfälligkeit und Langsamkeit, die den ohnehin so schwer geplagten Reisenden wohl der Verzweiflung nahe bringen konnte. Es galt für nichts Geringes, als Friedrich der Große durch eine neue Postordnung für seine Staaten (im Jahre 1784) einschärfte, daß die ordinäre Post auf jeder Station binnen einer Stunde abgefertigt sein müßte. Auf Extrapostpferde mußte man selbst auf den Hauptcursen mindestens eben so lange warten, auf Nebencursen oft viel länger. Was würde ein preußischer Postbeamter aus jener Zeit gesagt haben, wenn man ihm das Bild eines Schnellpostdienstes aus dem dritten Jahrzehent dieses Jahrhunderts (also nicht volle fünfzig Jahre später) im Spiegel der Zukunft hätte zeigen können? Er würde die Verwirklichung dieses Bildes ebenso für eine Unmöglichkeit erklärt haben, wie ein großer Theil unsrer heutigen Postbeamten vielleicht noch vor wenigen Jahren es für eine Unmöglichkeit gehalten hat, daß eine wohleingerichtete Briefbeförderung ohne specielle Kartirung bestehen könne. Mit dieser Briefbeförderung nahm man sich freilich in jenen frühern Tagen noch ganz anders Zeit. Gleich als ob man fürchtete, der Brief, welcher von Berlin bis Frankfurt neun Tage, von Paris bis Berlin 16 bis 18 Tage unterwegs sein mußte, möchte doch noch zu rasch an den Ort seiner Bestimmung gelangen, ließ man in der Regel die Posteingänge mindestens eines ganzen Tages, oft auch mehre Tage zusammenkommen, ehe man sich die Mühe nahm, dieselben an ihre Adressen zu vertheilen. Selbst in der königlichen Residenzstadt Berlin bedurfte es einer besondern königlichen Verordnung (1770), um die Briefträger dahin zu vermögen, daß sie die eingegangenen Briefe nicht blos einmal täglich, sondern zweimal abholten und austrugen.

Es ist das Verdienst des preußischen Generalpostmeisters v. Nagler, jenen Schlendrian aus dem Postdienste ausgetrieben und eine vorher nie gekannte Pünktlichkeit, Schnelligkeit und Beweglichkeit in denselben gebracht zu haben. Die Nachbarländer Preußens ahmten das dort gegebene Beispiel nach, und seit dieser Zeit hat das norddeutsche Postwesen das süddeutsche, hinter dem es ehemals bedeutend zurückstand, in manchen Beziehungen, namentlich was die vorgenannten Eigenschaften betrifft, überflügelt und sich dem französischen und englischen wenigstens einigermaßen ebenbürtig an die Seite gestellt.

Aber wer spricht denn heutzutage überhaupt noch von Postwagen und Poststraßen, wenn es gilt, die Leichtigkeit des Personentransportes oder die Schnelligkeit der Gedankenmittheilung, des Brief- und Zeitungsverkehrs, zu messen und mit den Einrichtungen früherer Perioden zu vergleichen? Die schnellste Schnellpost, ihrer Zeit als ein Wunder und Nonplusultra menschlichen Fortschrittstrebens auf diesem Gebiete angestaunt, muß beschämt vor dem Dampfwagen, die vollkommenste Kunststraße, demüthig vor der Eisenbahn sich verkriechen, und beide wiederum sinken, was die Gedankenmittheilung betrifft, in Nichts zusammen gegenüber den wahrhaft zauberartigen Wirkungen des elektrischen Telegraphen.

Wenn Chausseen und Posten die Entfernungen der Orte und Länder von einander bereits auf die Hälfte oder ein Drittheil herabgesetzt hatten, so haben der Dampf und die Eisenschiene im Bunde dieses Drittheil abermals um das Drei-, Vier-, ja Acht- und Zehnfache verkleinert. Auf den schlechten Wegen der frühern Zeit hatte ein Wagen Noth, die Wegstunde in einer Zeitstunde zurückzulegen, also mit einem Fußgänger Schritt zu halten. Mit Hülfe der Kunststraßen und eines wohleingerichteten Relaidienstes brachte man es dahin, zwei bis drei Wegstunden in einer Zeitstunde zu fahren (in England sogar vier). Der Dampfwagen dagegen auf seiner eisernen Bahn durchbraust in demselben Zeitraum eine Strecke von 8, 12, 16, 20, ja, wenn es darauf ankommt, 30 und noch mehr Stunden.

Der elektrische Telegraph endlich hat alle räumliche Entfernungen so gut wie gänzlich verschwinden gemacht, hat es ermöglicht, daß Mittheilungen von London nach Wien, von Paris nach Warschau, welche vor hundert Jahren mindestens drei bis vier Wochen unterwegs waren – jetzt in wenigen Stunden, ja, nach den neuesten Vervollkommnungen des Telegraphenwesens mit Hülfe des Translators) in vielleicht kaum einstündiger Frist an den Ort ihrer Bestimmung gelangen können, und wird sehr wahrscheinlicher Weise in nicht ferner Zeit diese wunderbare, aller Raum- und Zeitschranken schier entbundene Schnelligkeit der Gedankenmittheilung sich, selbst über den atlantischen Ocean hinüber, nach der neuen Welt erstrecken.

Wo die Natur selbst die Wege geebnet hatte – auf dem Wasser – da fuhr man auch in früherer Zeit schon leidlich bequem, ungleich bequemer wenigstens, als auf den von menschlicher Nachhülfe abhängigen Landstraßen. An Fährlichkeiten freilich fehlte es dabei ebenfalls nicht und die lässige Hand einer Staatswirthschaft, die ihren Vortheil weit häufiger auf die Erschwerung, als auf die Erleichterung des Verkehrs baute, half hier so wenig nach als auf dem Lande. Wenn der Schiffer auf dem Rhein, um das „Binger Loch“ oder das „Wilde Gefähr“ zu passiren, das Doppelte oder Dreifache der Pferdezahl brauchte, die er für gewöhnlich bei der Bergfahrt vorlegte, dazu wohl gar noch Lootsen an Bord nehmen mußte, so war dies ja (nach den damaligen volkswirthschaftlichen Begriffen) ein reiner Vortheil für die Bewohner der Uferlande und folglich auch für deren Regierungen, denn der Schiffer mußte ja um so mehr Geld aufwenden, was dem betreffendn Lande zu gute kam. Daß dieser Vortheil viel größer sein würde, wenn statt des einen Schiffes, bei erleichtertem Verkehr, zehn oder zwanzig in der gleichen Zeit den Strom passirten, obschon jedes einzelne davon nur die gewöhnliche Zahl Pferde und Führer brauchte und nur kürzere Zeit an den betreffenden Punkten anlegte, davon scheint man damals keinen Begriff gehabt zu haben, so wenig als davon überhaupt, daß durch Verwohlfeilerung der Gelegenheiten des Reisens und des Transportes von Sachen, der Reise- und Waarenverkehr sich in’s Außerordentliche steigern lasse. Friedrich der Große, der doch noch einer der bessern, wenigstens der eifrigeren und gemeinnützigeren Staatswirthe seiner Zeit war,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_499.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)