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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

die stolze Gebieterin des Schlosses, und Marianne eine Dienerin, die vor ihrem Richterstuhle zu erscheinen hat.

„Der Herr Oberst ist abwesend,“ sagte Marianne mit leise bewegter Stimme – „ich erlaube mir, Fräulein Franziska auf Adersheim willkommen zu heißen.“

Der Zufall schien diesen Morgen alle Umstände vereinigt zu haben, um Franziska in eine gereizte Stimmung zu versetzen. Hatten die Worte des Kammerdieners ihre Aufregung schon vermehrt, so brachte sie Marianne’s in der That zauberhafte Erscheinung und ihr freundlicher Gruß auf den höchsten Gipfel. Sie konnte es nicht über sich gewinnen, ihrer verhaßtesten Feindin ein freundliches Wort zu entgegnen.

„Die Abwesenheit meines Onkels, des allzugutherzigen Barons von Adersheim, kommt Ihnen in diesem Augenblicke wohl recht zu statten?“ fragte sie mit erregter Stimme.

Marianne kannte ihre Feindin, sie hatte sich vorgenommen, ihr die größte Ruhe entgegenzusetzen.

„Mein gütiger Pflegevater hat mir aufgetragen, in seiner Abwesenheit die Honneurs zu machen,“ antwortete sie ausweichend. „Ich glaube in seinem Sinne zu handeln, wenn ich Sie einlade, seine Rückkehr von der Jagd abzuwarten.“

„Sie glauben es!“ rief Franziska spöttisch lachend. „Ich nehme die Einladung an, um mich zu überzeugen, daß Sie sich nicht getäuscht haben.“

Mit einer wahren Engelsgeduld wandte sich Marianne zu dem Kammerdiener: „Ich bitte, lieber Freund, geben Sie Auftrag, daß für das gnädige Fräulein eins der Fremdenzimmer sofort in Bereitschaft gesetzt werde.“

Der Greis verließ eilig den Saal.

„Ein Fremdenzimmer!“ rief Franziska laut lachend. „Wahrhaftig, Demoiselle Marianne, Sie verstehen es, auf eine sehr bezeichnende, und dennoch zarte Weise mir die Stellung anzugeben, die Sie Jahre lang vorbereitet haben. Empfangen Sie für diese edle Freimüthigkeit meinen innigsten Dank. Nehmen Sie Platz, mein Kind, und unterhalten Sie mich! Die Fremde ist nicht ermüdet, sie ist vollkommen kräftig, zu antworten.“

Sie rollte einen Sessel herbei und lud mit der Hand zum Sitzen ein.

Marianne zuckte ein wenig zusammen, aber verlor ihre Fassung nicht.

„Mein Fräulein,“ gab sie ruhig zur Antwort, „ich kenne meine Stellung hier im Hause zu gut, um einen Verstoß gegen die Gastfreundschaft zu begehen, die ich einer Verwandten meines Wohlthäters schuldig bin. Sollten Sie indeß Gründe haben, meine Abwesenheit zu wünschen, so entferne ich mich –“

„O nein, solche Rechte leite ich aus meiner Verwandtschaft nicht her. Ich bin nicht anmaßend genug, Ihnen den Weg zu vertreten, den Sie sich zu der Stellung einer Tochter vom Hause so geschickt zu bahnen gewußt haben.“

„Ich bin eine Waise!“ sagte Marianne mit Würde.

„Welch ein Contrast zwischen diesem rührend demüthigen Bekenntnisse und Ihrem Einflusse auf den schwachen Bruder meines Vaters! In der That, Demoiselle, Sie drängen mich dazu, Ihnen die Erklärung zu geben, daß Sie unter der Maske der Treuherzigkeit eine bewunderungswürdige Schlauheit verbergen. Ich kenne Sie aus dem Pensionate her. O, Sie haben in den Augen der Welt viel vor mir voraus, denn ich weiß meine Gefühle nicht in den Mantel der Bescheidenheit zu hüllen, der das Mitleid rege macht. Wenn ich bisher geduldig zusah, wie Sie sich bequem in dem Schooße meiner Familie einnisteten, so haben Sie das meinem Stolze zu danken, der es verschmähete, Ihnen die Larve von dem Gesichte zu reißen, aber jetzt darf ich nicht länger schweigen, denn die Feindschaft des Bruders gegen den verstorbenen Bruder zu nähren, ist ein Frevel, der in seinem ganzen Umfange an das Licht gezogen werden muß. Ich stehe hier als die Retterin der Ehre meines todten Vaters. Wahrlich, es bedarf einer sehr geschäftigen Hand, um in dem weichen Herzen meines Onkels das Feuer der Feindschaft zu schüren, daß es bis über das Grab hinauslodert. Nicht wahr, was den Vater trifft, trifft auch die Tochter? Und diese Tochter verdient den Haß, den man hier gegen sie hegt, denn sie ist ein stolzes, boshaftes Wesen, eine Lästerzunge, eine Verschwenderin und eine Spielerin, die man rücksichtslos ihrem Schicksale überlassen muß. Aber die bescheidene, ordentliche und thätige Waise, die mit niedergeschlagenen Blicken in tiefer Demuth umherschleicht, die dem zweiten Vater die Pantoffeln bringt und bei jeder Gelegenheit die Hand küßt, die bei der Annäherung eines Mannes tief zu erröthen versteht, diese Waise verdient zur Adoptivtochter eines Barons erhoben zu werden, und wenn dies nicht möglich ist, dem Greise eine platonische Liebe zu erheucheln, damit in kurzer Zeit die lachende Wittwe dem Manne die Hand reichen kann, mit dem sie den saubern Plan der Erbschleicherei ausgebrütet hat. Sie erbleichen, Demoiselle; Sie zittern wie ein Blatt, das der Sturm geschüttelt – nicht wahr, ich habe den rechten Fleck getroffen? Bin ich nicht gut unterrichtet? Doch wundern Sie sich nicht darüber, ich verschmähe die Spionage, ich bin nur das Echo des Gerüchts, das in diesem Augenblicke die Aristokratie der Residenz mit Entrüstung erfüllt. Und damit Sie meine Offenheit sehen, erkläre ich Ihnen, daß die Fremde gekommen ist, dem armen Obersten von Adersheim den Abgrund zu zeigen, zu dessen Rande ihn Gleißnerei und Scheinheiligkeit hingezogen haben. Noch heute werde ich meinem Onkel die Augen öffnen und ihn vor dem letzten, gefährlichen Schritte warnen! Das wollte ich Ihnen sagen und wenn Sie mir jetzt erlauben, ziehe ich mich auf das Fremdenzimmer zurück.“

Mit flammendem Gesichte und vor Aufregung glühenden Blicken erhob sich Franziska. Ihre linke Hand trug die schwere Schleppe des Kleides, die rechte hielt die Reitpeitsche. In einer drohenden Stellung stand sie der armen Marianne gegenüber, die, in dem Bewußtsein ihrer Unschuld, sich eines schmerzlichen Lächelns nicht erwehren konnte. Die Anschuldigungen waren zu boshaft und nichtig, als daß sich des guten Kindes mehr als ein schmerzliches Erstaunen bemächtigen konnte. Die stolze Franziska, die in ihrer Verblendung zu solchen kleinlichen Verleumdungen ihre Zuflucht nahm, erfüllte sie vielmehr mit Bedauern.

„Sie scheinen eine Rechtfertigung zu erwarten, mein Fräulein?“ fragte sie mit der ihr eigenen Ruhe und Milde.

„Erwarten? Ich bin neugierig, was Ihr Scharfsinn zur Rechtfertigung anführen wird.“

„Nicht meinetwegen, sondern nur Ihretwegen bitte ich um einige Minuten Gehör, denn ich halte es für Pflicht, nach Kräften dahin zu wirken, daß der unglückselige Zwiespalt zwischen Onkel und Nichte ausgeglichen werde.“

„Himmel, diese Anmaßung!“ rief Franziska außer sich. „Wenn ich Sie recht verstehe, Demoiselle, so sind Sie der bescheidenen Meinung, daß meine Eröffnungen über Ihre liebenswürdige Person den Obersten noch mehr gegen mich aufbringen?“

„Ich zweifle nicht daran.“

„Sie scheinen Ihrer Sache sehr gewiß zu sein.“

„Weil ich weiß, was Ihr Onkel von Ihnen erwartet.“

„Bleiben Sie bei Ihrer Person, meine Beste!“

„Ich würde nicht von mir sprechen können, ohne der Dienste zu erwähnen, die ich Ihnen, trotz Ihrer Abneigung gegen mich, geleistet habe.“

„Diese Großmuth! Ersparen Sie sich die Mühe, mich zu entwaffnen!“

„Und doch kann ich es in Ihrem Interesse nur wünschen, daß es mir gelänge. Jede Anklage meiner Person würde auch meinen Wohlthäter treffen, aber mehr noch auf Sie selbst zurückfallen.“

„O, Demoiselle, Sie sind schlau wie ein Fuchs!“ rief Franziska höhnend. „Diese Taktik beweist, daß Sie auf einen feigen Feind gerechnet haben, und daß Ihnen selbst der Muth fehlt, sich in einen offenen Kampf einzulassen.“

„Ich weiß nicht, mein gnädigen Fräulein, ob mehr Muth dazu gehört, dem anziehenden Feinde im Vertrauen auf seine Versöhnlichkeit und Milde eine Brücke zu bauen, als dazu, ihm hindernd in den Weg zu treten und Vortheile zu benützen, die das Ehrgefühl verschmäht. Ein für mich glücklicher Zufall wies mir die Stelle an, die eigentlich, ich fühle es, Ihnen gebührte; traurige Mißverständnisse verhinderten es, daß Sie sich dem Herzen des Onkels nähern konnten. Die entstandene Kluft ist nicht so groß als Sie glauben, mein liebes Fräulein, und es bedarf nur des Muthes und des Vertrauens von Ihrer Seite, die Brücke zu betreten, die Ihnen die Hand der dankbaren Waise errichtet hat. Es war ein zu kühner Gedanke, mich Ihnen als Freundin nahen zu wollen, obgleich mein Wohlthäter ihn in mir nährte und die Realisirung desselben wünschte – als Freundin können und wollen

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