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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

stehen blieb. Diese Freiheit, die sich fast alle Miethrosse erlauben und ein eigenthümlicher Charakterzug derselben ist, benutzte Franziska jetzt, weit entfernt, nach ihrer Gewohnheit zornig darüber zu werden, sich nach ihrem Begleiter umzusehen. Sein Verschwinden überraschte sie.

„Es wäre doch arg,“ flüsterte sie, „wenn er mich hier allein ließe. Vielleicht kommt er nach.“

Das arme Roß mußte nun den Unmuth der geschickten Reiterin ertragen. Durch anhaltende Schläge brachte sie es endlich wieder in Bewegung. Mehr als einmal sah sie sich um – Walther wollte aber nicht kommen. Franziska liebte den Baron, wenn sich auch bei der Eigenthümlichkeit ihres Charakters diese Liebe auf eine eigenthümliche Art äußerte, wenn auch der leicht aufbrausende Zorn sie zu Beleidigungen hinriß. Der Spiegel hatte ihr gesagt, daß sie schön war; der Stammbaum hatte sie belehrt, daß sie einem der edelsten und ältesten Geschlechter des Königreichs angehörte; mit der Erziehung, die sie genossen, hatte sie alle jene Vorurtheile eingesogen, die stets mit dem Verstande im Kampfe liegen und nur dazu erfunden zu sein scheinen, um den aristokratischen Stolz zu nähren – es war also kein Wunder, wenn bei den vorhandenen Anlagen zu einer vollkommenen Dame nach der Doctrin jener Epoche Franziska’s Gemüth in der Ausbildung zurückgeblieben war. Der Ruin des väterlichen Vermögens hatte nur dazu beigetragen, ihren Stolz bis zur Maßlosigkeit zu steigern, und da sie gegenwärtig keine andern Mittel besaß, eine Rolle zu spielen, so trug sie ihren Stolz auf Schönheit, Adel und Geistesreichthum so offen zur Schau, daß sie selbst bei ihren Standesgenossen nicht gern gelitten ward.

Die Aeußerung Walther’s, bezüglich der Erbschaft, hatte ihre empfindlichste Seite getroffen; der Stolz untersagte ihr, sich dem reichen Onkel zu nähern, und das Drückende ihrer Lage, das sich täglich mehrte, trieb sie dazu an. Sie wandte die größte Sorgfalt an, beides geheim zu halten. Walther hatte jetzt auf eine höhnende Weise zu erkennen gegeben, daß er ihre Absicht ahnte, obgleich sie nur einen Spazierritt in die romantische Gegend vorgeschützt hatte.

Dem Hasse auf die unschuldige Marianne gesellte sich auch nun die Eifersucht bei. Franziska war die erbittertste Feindin der Pflegetochter des Obersten. Es hatte nicht allein den Anschein, als ob die Bauerndirne, wie sie sie nannte, ihr die reiche Erbschaft streitig machen, sondern auch den Geliebten rauben wollte. Als Franziska die Thürme des Schlosses erblickte, bemächtigte sich ihrer ein Gefühl, das zu bekämpfen sie weder den Willen noch die Kraft hatte.

„Wenn es mir gelänge, den Alten zu gewinnen!“ dachte sie. „Ich bin die einzige Verwandte, die einzige rechtmäßige Erbin, und außer mir führt kein Mensch in der Welt mehr den Namen Adersheim. Ich habe zu viel Chancen für mich, als daß ich nicht jeden Versuch wagen sollte. Reüssire ich, so räche ich mich an Walther und an ihr, die ohne Zweifel schon im Stillen ihren Triumph feiert. Bewirke ich durch meine Stellung nichts, so werde ich List anwenden. Ich will zu Schmeicheleien, und selbst zu Demuth meine Zuflucht nehmen. Dieser Zustand muß ein Ende haben!“

Franziska ritt über die Brücke in den Schloßhof, und hielt vor dem Herrenhause an. In demselben Augenblicke erschien ein alter Mann auf der Freitreppe vor dem imposanten, alterthümlichen Gebäude. Als er die Reiterin erblickte, eilte er die Stufen hinab.

„Gnädiges Fräulein!“ rief er. „Willkommen auf Adersheim!“

Wie eine Amazone sprang das Fräulein von dem Pferde, noch ehe der Herbeieilende ihr seine Dienste leisten konnte.

„Du bist’s, alter Gottfried! Gieb Auftrag, daß man für mein Pferd sorge.“

Gottfried rief einen Reitknecht, und übergab ihm das Pferd. Dann eilte er voran, und führte den Besuch in einen eleganten Saal des Erdgeschosses, der von dem Reichthume des Besitzers ein unzweideutiges Zeugniß ablegte. Die neidischen Blicke Franziska’s schweiften über die kostbaren Möbel hin, die höchst geschmackvoll gewählt und aufgestellt waren. Dann warf sie sich in einen Sopha.

„Wo ist mein Onkel?“

„Auf der Jagd, gnädiges Fräulein. Diesen Morgen acht Uhr schon ist er mit einem Freunde in den Mühlenbusch gefahren.“

„Wird er zu Tische zurückkehren?“

„Ich zweifele daran, gnädigen Fräulein – der Herr Oberst wollte das ganze Revier abjagen, weil sich vor einigen Tagen Rehe dort gezeigt haben.“

„Ist der Oberst, mein Onkel, wirklich auf der Jagd?“ fragte Franziska mit einem stechenden Blicke, und der aufbrausende Zorn verhinderte sie, vorsichtig zu sein.

Der alte Kammerdiener lächelte, indem er antwortete:

„Wenn es mir die Achtung vor dem gnädigen Fräulein, der Nichte meines guten Herrn, nicht verböte, eine Unwahrheit zu sagen, so würde mich meine Anhänglichkeit an Ihren seligen Vater gewiß davon abhalten. Glauben Sie mir, ich habe oft darüber geseufzt, daß die beiden Brüder so lange in Feindschaft gelebt. War ich nicht früher in Ihrem Hause, ehe ich hierher kam? Habe ich Sie nicht oft auf meinen Armen getragen, als Ihre kleinen Füße Sie noch nicht recht tragen wollten? Wie oft haben Sie mit meinem großen Schnurrbarte gespielt, der mir fast bis auf die Brust herabhing. So etwas vergißt man nicht so leicht. Und ich sollte Ihnen eine Unwahrheit sagen? Ich freue mich, daß Sie uns wieder besuchen, daß ich Sie endlich einmal wieder bedienen kann.“

„Deine Hand, Gottfried!“

Der alte Kammerdiener reichte sie ihr in sichtlicher Rührung.

„Fräulein Franziska,“ rief er aus, „Sie sollten bei uns wohnen! Der Herr Oberst wird glücklich sein, die einzige Verwandte seines Namens stets um sich zu sehen. Sie verzeihen Ihrem alten Diener diese Offenherzigkeit – –“

„Meinst Du?“ fragte Franziska, die ihren Stolz verletzt fühlte, denn es war nicht schwer zu errathen, daß der Kammerdiener um das zwischen ihr und dem Onkel bestehende Verhältniß wußte.

„O, dessen bin ich gewiß! Er hat diese Ansicht sehr oft gegen Fräulein Marianne ausgesprochen.“

„Und Fräulein Marianne hat sie gebilligt?“ fragte sie höhnend.

„Ja, ja, das hat sie, denn sie ist ein seelengutes Mädchen. Sie hat noch mehr gethan,“ fügte Gottfried leiser hinzu, der stets redselig wurde, wenn er die guten Eigenschaften Marianne’s anpreisen konnte.

„Nun, was hat sie denn gethan?“

„Sie wissen, der Onkel ist immer noch ein wenig böse darüber, daß Sie sich fern halten, und wenn er in seiner aufbrausenden Heftigkeit darüber gesprochen, so hat Fräulein Marianne stets ein gutes Wort für Sie eingelegt.“

„Hat sie?“ fuhr Franziska bitter auf. „Nicht übel, die Person spielt noch die Großmüthige!“

Der greise Kammerdiener trat verlegen einen Schritt zurück.

„Mein Gott,“ stammelte er, „ich habe Sie durch meine Offenheit doch nicht beleidigt?“

Franziska erinnerte sich ihres Vorsatzes, mit List zu Werke gehen zu wollen; sie bekämpfte ihre Aufregung, und antwortete so mild, als es ihr möglich war.

„Von Beleidigung, mein alter Freund, kann hier nicht die Rede sein. Und willst Du Dich mir gefällig zeigen, so erzähle mir alles, was man über mich hier spricht. Du kannst meiner Dankbarkeit und Verschwiegenheit gewiß sein.“

Die erzwungene Freundlichkeit, die sich deutlich in Franziska’s Gesichte aussprach, machte den Greis schwanken. Er wußte nicht, was er beginnen sollte. Das Oeffnen der Thür endete seine peinliche Verlegenheit – Marianne trat ein, eine reizend schöne Jungfrau von neunzehn Jahren. Sie trug ein einfaches dunkelblaues Thibetkleid, das sich eng und züchtig den zarten, schwellenden Körperformen anschloß. Eine schwarze elegante Taffetschürze hob die Feinheit der elastischen Taille hervor. Ihr glänzendes kastanienbraunes Haar war über der schönen, sanft gewölbten Stirn einfach gescheitelt, und schlang sich auf dem Hinterkopfe zu einem vollen Flechtenkranze. Das liebliche Madonnengesicht mit den großen, seelenvollen Augen, den schön geschweiften Brauen, der edel gebogenen Nase und dem fein geformten rosigen Munde überzog eine leichte Röthe, als sie die Dame im Sopha erblickte. Sie hatte diesen Besuch nicht erwartet, obgleich sie ihn nicht fürchtete. Trotz ihrer Ueberraschung grüßte sie mit einer Grazie, die Franziska mit Neid und Verwunderung erfüllte. Das Fräulein dankte durch ein nachlässiges Kopfnicken; dann hafteten die Blicke ihrer feurigen, lebhaften Augen mit einer unbeschreiblichen Impertinenz auf der Eingetretenen. Man hätte glauben mögen, Franziska sei

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