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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

schwarzen Atlaskleide mit ihren schelmischen Augen und den blendend weißen, nackten Armen auf dem Verdeck herum und hatte für jeden der sie anredenden Herren irgend ein freundliches Wort bei der Hand. Dicht nebenan hingegen, auf der andern Seite der Barriere saßen oder lagen ein Dutzend orientalischer Weiber in ihren weiten farbigen Mänteln auf den Teppichen, das Gesicht in den Jaschmack gehüllt, der nur den großen, geisterhaften, schwarzen Augen freien Spielraum ließ. Neben diesen, wiederum durch eine Barriere abgesperrt, lagen Türken, Griechen, Armenier und Gott weiß, was sonst für phantastisch gekleidete Gestalten auf den Teppichen, und speisten ihre rohen Gurken, ihre Wassermelonen oder ihren Knoblauch, der eine mir verhaßte Atmosphäre auf dem Schiffe verbreitete. Und endlich unten in einer der Kabinen saßen drei junge türkische Weiber eingeschlossen, die von einem Kavassen oder Eunuchen irgendwo hin transportirt werden sollten und von denen ich weiter nichtzu sehen bekommen habe, als den Zipfel eines weißen Mantels und den Blitz eines funkelnden schwarzen Auges, das sich unverkennbar nach einer Freiheit sehnte, die ihm nicht beschieden war. Eine ganze Welt lag zwischen dieser auf dem Verdeck tändelnden jungen Frau und den armen hier unten eingesperrten Weibern! – Wie mir der Capitain später sagte, waren diese Gefangenen die Frauen eines reichen Türken in Varna, die jetzt nach Konstantinopel geschickt wurden und ihre Versetzung jedenfalls dem Unfuge verdankten, welcher vor einigen Tagen von einem Trupp junger Franzosen verübt worden, als diese sich mit Gewalt den Eingang in irgend ein Haus zu erzwingen versuchten, in welchem sie mehre junge Weiber vermutheten. – Der arme Gatte, er war seines eignen türkischen Ehestandes nicht mehr sicher, und mußte sie nach Stambul schicken, um sie vor den Giaurs zu retten! – –

Es war Abend, als wir in die Bucht von Burgas einliefen. – Ich habe daheim in mancher schönen Sternennacht geweltschmerzt; ich habe an den Ufern des Torneå und an den Felsen des Nordkap den Schein des Nordlichtes beobachtet; ich habe vor Kurzem noch in stillen Nächten vor den Zelten der Türkenlager zur Sternenwelt hinaufgeschaut und beim Geplauder der Donauwogen an die Heimath gedacht, von wo mir keine Post eine Botschaft daher tragen konnte – ich hatte mit einem Wort den Zauber der orientalischen Nächte genossen, die schönste aber sollte ich hier erleben. Mit einer leisen, bläulichen Tinte überzogen, streckte sich das hohe Ufer von Burgas in einem Halbkreis vor mir aus; in kurzer Entfernung schimmerten die Lichter des Ortes durch den Nebelschleier, der sich in Aetherwolken über die schwarze Wasserfläche rollte und von dem Schein des Vollmondes, gleichsam mit Flitteratomen durchwebt wurde. Dort hinter uns lag das „Monaster“, ein Kloster, das als drohendes Fort die Bucht beherrschte, und von dem die Sage erzählt, daß in seinen unterirdischen Räumen unermeßliche Schätze aufgethürmt und von drei großen, gespensterischen Hunden bewacht seien. Unsre junge Italienerin, die Frau des Capitains, fand den Himmel „mirabile“ und ich meinerseits fand den Himmel sowohl wie die junge Frau mirabile, denn wie sie in ihrem schwarzen Atlaskleide mit dem blendenden Teint und den schneeweißen Armen dastand, war sie wirklich „mirabile“.

Allmälig belebte sich unser Bild. Wir sahen mehre schwarze Punkte auf den Wasserspiegel näher kommen, und in wenigen Minuten waren wir von einer ganzen Flotille türkischer Böte umgeben. Ich besitze nicht viel mehr Romantik, als eben zum Hausbedarf nothwendig ist, aber als ich diese abenteuerlich bunt kostümirte Besatzung der Böte, diese griechischen und türkischen Kostüme, dazwischen blitzende Waffen und verbrannte, theilverwitterte Gesichter erblickte, als ich diese Flotille in einem dicken Knäuel an unserm Schiffe liegen, als ich diese Menschen, die in ihrer Faulheit nichts vornehmen können, ohne ein gewaltiges Geschrei anzustimmen, sich lärmend und keuchend um unser Schiff bewegen sah, war’s mir unwillkürlich, als seien wir von einer Anzahl griechischer Piraten umgeben. Es waren Handelsleute und Kaikschi’s, die an und auf dem Schiffe zu thun hatten und deren Treiben ich, über die Reling gelehnt, mit Vergnügen zusah.

Plötzlich lenkte ein Gegenstand meine Aufmerksamkeit ausschließlich auf sich; es war ein rother Soldatenfeß, an welchen genialer Weise, zum Schutz vor der Sonne, ein kleiner schwarzer Schirm genäht war. Diesen Feß kannte ich, denn dieser existirte nur einmal: „Monsieur de Carmond!“ rief ich, als ich meinen Freund im Begriff sah, aus einem der Böte auf’s Schiff zu steigen. – Carmond kam an Bord, war höchst erfreut, mich zu finden und verwünschte das langweilige Nest, das Burgas, in welchem er vier Tage zu verweilen genöthigt gewesen, da die Corvette ihre Fahrt nach Constantinopel erst in nächster Woche machen konnte.

Am andern Morgen um neun Uhr lag unser Schiff vor der Seraispitze von Constantinopel, der Stadt, die „von Feen erdacht und von Elfen erbaut,“ und von der ich wünschte, daß sie nur erdacht und nicht erbaut wäre, damit das Letztere den Zauber des Erstern nicht störe.

Schon während der ersten Tage meiner Anwesenheit ging dieser Zauber für mich zum Theil verloren und war nur wieder zu gewinnen, wenn ich im goldnen Horn, im Bosporus oder im Marmor-Meer schiffte und mich satt sah, an der Stelle, von welcher aus „man die Erde betrachten möchte, wenn Einem nur ein einziger Blick auf dieselbe gestattet wäre.“ In Schumla nämlich war mir von einem meiner Freunde, der soeben aus Constantinopel gekommen, ein Hotel in Galata empfohlen worden, in welchem ich für einen billigern Preis als in den Pera-Hotels dieselben Leistungen aber eine aufmerksamere Begegnung von Seiten des Wirths, eines Deutschen, finden würde. Carmond wollte wissen, in welchem Hotel ich logiren werde, damit er, der bei einem im Verpflegungs-Bureau beschäftigten Verwandten wohnen müsse, mich finden könne; ich nannte ihm das „Hotel de Mediterranée“, so nämlich nannte sich dieses Haus in sehr wunderlichem Französisch. Carmond paßte dies vortrefflich, da auch er, wie er sagte, in Galata wohnen sollte. Hätte ich früher die Lokalität Constantinopels gekannt, ich würde nicht in diesem Hotel logirt haben, und zwar aus Gründen, die ich weiter unten erzähle.

Zu den scheußlichsten Wohlthaten, für welche sich nämlich Constantinopel bei dem englischen Gouverneur in Malta zu bedanken hat, gehört die große Anzahl von Verbrechern und Taugenichtsen, welche von Malta verbannt, ihr Domizil in Constantinopel nimmt und dort eine Bande von Gaunern und Meuchelmördern bildet, der man, wenn es einmal auf uns gemünzt ist, vergeblich aus dem Wege zu gehen suchen würde. Sprüchwörtlich ist die Verrufenheit der Malteser in Constantinopel; Alles, was den Strick verdient hätte, heißt daselbst Malteser, gleich viel, ob von dort stammend oder nicht. Unter dem Schatten der ohnmächtigen Polizei in Constantinopel war es diesen Strolchen möglich, schon seit langer Zeit ihr Gewerbe frank und frei auf den Straßen zu üben, ja es gab sogar noch kürzlich eine Zeit, wo es unmöglich war, Abends ohne Lebensgefahr sich von einer Straße zur andern zu begeben. Das hauptsächlichste Standquartier (denn Schlupfwinkel darf man es nicht nennen) dieser Banditen war und ist heute noch das berüchtigte Maltesergäßchen, eine enge, auf eine Hauptstraße Galata’s auslaufende Gasse, deren Nähe man bisher scheute wie eine Räuberhöhle, die sie denn auch in Wirklichkeit ist.

In neuester Zeit freilich, als dieses Gesindel sein Handwerk, von dem feigen Griechenthum unterstützt, so offen und frech trieb, daß besonders die fremden Gesandtschaften auf Grund mehrer Attentate auf das Leben ihrer Schutzbefohlenen, bei der türkischen Regierung eine Säuberung der Straßen von Pera und Galata verlangten, sah sich die letztere veranlaßt, Polizeimaßregeln zu ergreifen, die aber von wenig Bedeutung sind. Das Nachtwächterthum wurde mehr ausgebildet; diese guten Leute durchzogen in größerer Anzahl die Straßen, aber da es ihre Gewohnheit ist, bei jedem Schritte mit ihrer großen, eisenbeschlagenen Keule auf das Steinpflaster zu klopfen, so weiß ihnen natürlich jeder aus dem Wege zu gehen, der nichts mit ihnen zu thun haben will. Gleichgültig vor sich hintappend, glauben diese guten Leute, ihr ganzer Beruf bestehe darin, möglichst viel Lärm mit ihrer Keule zu machen und dies thun sie redlich in dem Maße, daß sie Alle aus dem Schlafe wecken, die nicht an ihren Rumor gewohnt sind. Auch Kavassen-Patrouillen wurden angeordnet und wirklich in’s Werk gesetzt; die Kavassen aber treten ihre Patrouillen von ihren resp. Wachlokalen an, setzen sich in irgend ein Kaffeehaus, so lange diese geöffnet sind, und erfüllen ihre schwere Polizeipflicht in stumpfsinnigem Rauchen ihrer Tschibuks und im Kaffeetrinken. Zu halben Dutzenden sah ich diese patrouillirenden Polizeidiener an Sommerabenden auf dem „piccolo campo“, dem Promenadenort der feinen Welt von Pera sitzen, und vor den Kaffehäusern den Fremden die Plätze wegnehmen. – Das nennt man türkisches Polizeiwesen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_473.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)