Seite:Die Gartenlaube (1854) 419.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

den Schluß, daß Großmutter und Enkelin sich des enterbten jungen Mannes entledigen wollten. Anfangs hielt er Klementine’s Betragen nur für eine Folge ihres Gehorsams und ihrer Abhängigkeit von der alten Frau, die eine kleine Wittwenpension mit ihr theilte; aber seit den Erfahrungen jenes Abends hatte er jede Hoffnung aufgegeben.

„Sie hat nur meine Bewerbungen angenommen“, dachte er, „weil sie in mir einen reichen Mann zu bekommen glaubte. Den armen Secondelieutenant beachtet sie nicht mehr, sie sucht andere, vortheilhaftere Verbindungen. Aber mit welchem Rechte,“ fragte er sich beschämt, „kann ich ihrem Gange nach der einsamen Straße eine solche Deutung unterlegen? Wenn sie einen Akt der Wohlthätigkeit vollbracht hätte? Gebe Gott, daß ich den reinen Engel durch meine Annahme gekränkt habe, ich will gern die mir selbst auferlegten Qualen ertragen, wenn nur sie von keinem Vorwurfe getroffen wird.“

Nach der unter Zweifeln und Hoffen verbrachten Nacht erschien ihm Klementine in einem andern Lichte als zuvor. Er betete sie an, er liebte sie mit der ausschweifenden Angst der Hoffnung, mit der Wuth der aufgestachelten Eifersucht. Das Verbot der alten eigensinnigen Großmutter galt ihm nichts mehr, an der Auflösung des geheimnißvollen Knotens lag ihm Alles, und er beschloß, ihn zu lösen, es möge kosten, was es wolle. Sein Entlassungsgesuch verbarg er in einem geheimen Fache des Schreibtisches.

Gegen zehn Uhr trat der Junker in sein Zimmer. Es war das erste Mal, daß er den Erben des großen Vermögens begrüßte. Ernst besaß zu viel Takt, um dem alten Gecken den Groll merken zu lassen, der in seinem Herzen schlummerte. Der Junker hatte bereits große Toilette gemacht: er trug einen kostbaren kurzen Pelzrock, um jugendlich zu erscheinen, und eine braune Perrücke, der es deutlich anzusehen, daß sie erst kürzlich aus den Händen des Künstlers hervorgegangen war. An seinen dürren Fingern glänzten kostbare Ringe, und selbst der Knopf seiner neuen Reitgerte war von ciselirtem Golde.

„Vetter,“ rief der Junker in einem heitern Tone, „ich habe ein Versehen gut zu machen!“

„Gegen mich?“ fragte Ernst verwundert, der diese Worte auf sein verwandtschaftliches Verhältniß zu ihm bezog.

„Ich übernahm gestern eine Einladung des Kommerzienraths G. für Dich. Unglücklicherweise habe ich vergessen, die Karte Dir zuzusenden – ich übergebe sie deshalb heute persönlich. Laß diese Verzögerung kein Grund sein, die Einladung abzulehnen. Ich biete Dir einen Platz in meinem Wagen an. Der Ball wird einer der glänzendsten der diesjährigen Saison sein.“

Ernst hatte einen Blick auf die Karte geworfen.

„Diesen Abend ist der Ball?“

„Bedarfst Du so großer Vorbereitungen?“ fragte der Junker.

„Wenn auch das nicht, aber – – –“

„Ich lasse kein Aber gelten, mein bester Vetter! Wir müssen Beide auf dem Balle erscheinenn und damit Punktum.“

„Und dennoch muß ich Sie bitten, allein zu gehen.“

„Warum?“

„Ich bin nicht disponirt, in einer großen Gesellschaft zu erscheinen.“

„Bis zum Abend findet sich die Disposition, und um den ersten Grund dazu zu legen, ist hier eine Anweisung auf sechshundert Thaler. Ich zahle die Rente fort, die Dir mein Bruder bewilligt hat. Man soll nicht sagen, daß ein Below nur von seinem Solde lebt; aber auch eben so wenig soll man glauben, daß uns die Erbschaftsgeschichte entzweit hat. Onkel und Neffe treten zusammen in den Ballsaal und alle Gerüchte und Vermuthungen sind im Keime erstickt. Weigerst Du Dich, Vetter, so muß ich annehmen, daß Du selbst einen Bruch mit mir herbeiführen willst. Du siehst, ich biete zuerst die Hand – willst Du sie nicht annehmen?“

„Onkel,“ rief Ernst, „es kann mir nicht einfallen, den Gekränkten zu spielen; indeß – – –“

„Begleitest Du mich – ja oder nein?“

„Geschieht Ihnen ein Dienst damit, so werde ich Sie begleiten.“,

„-Gut! Also um acht Uhr fährt der Wagen vor. Jetzt will ich zu meinem Tapezierer gehen, um ihm Aufträge zu geben, denn der nächste glänzende Ball, von dem die Residenz spricht, wird in meinem Saale stattfinden. Auf Wiedersehen diesen Abend.“

Der Junker verließ singend das Zimmer und das Haus. Ernst ging zur Parade. Das Wetter war klar und hell, die Wintersonne hatte die Wolken durchbrochen, und, von ihrem Strahle angelockt, sah man eine Menge Spaziergänger unter den Linden. Der Offizier war nicht weit gegangen, als er eine Gruppe von drei Personen vor sich erblickte. Sie bestand aus Klementinen, ihrer Großmutter und einem jungen Manne. Der Letztere ging neben Klementine, und war mit ihr in einem lebhaften Gespräche begriffen. Wer beschreibt die Bestürzung des armen Ernst, als er an der Stimme und der Gestalt denselben Mann erkannte, den er Abends zuvor in der verhängnißvollen Straße gesehen und gesprochen hatte! Heute zeigte sie sich öffentlich mit ihm auf der Promenade und die Begleitung der Großmutter sollte das Verhältniß, das nun nicht mehr abzuleugnen war, bemänteln.

„Lieber Freund,“ rief die anmuthige Stimme Klementine’s, „dort fährt ein leerer Fiacre; ich bitte, rufen Sie ihn.“

„Wollen Sie den Spaziergang nicht mehr fortsetzen?“ fragte der junge Mann.

„Meine Großmutter ist ermüdet.“

„Nun, so mag sie allein nach Hause fahren – das Wetter ist so schön! Ich begleite Sie.“

Dem Offizier erstarrte das Blut in den Adern.

„Dieser Mann,“ dachte er, „darf es wagen, eine solche Insolenz auszusprechen! Vielleicht hat er das Recht dazu.“

„Wollen Sie mir den Dienst nicht leisten?“ fragte Klementine lachend.

„Mit Vergnügen, denn Sie wissen ja, daß ich für Sie mein Leben wage.“

Der junge Mann sprang zur Seite in die Fahrstraße und rief den Kutscher. Der Wagen hielt an. Der Unbekannte half der Großmutter einsteigen, dann, als er Klementine den Dienst geleistet hatte, küßte er ihr die Hand, die sich ihm aus dem Wagen entgegenstreckte. Der Fiacre fuhr davon.

„Ein reizendes Geschöpf!“ flüsterte der Unbekannte wie begeistert so laut vor sich hin, daß es Ernst verstehen konnte, der in diesem Augenblicke an ihm vorüberging.

Gedankenvoll schloß sich der Offizier einigen Kameraden an.


III.

Der Junker hatte indeß das Magazin eines der ersten Tapezierer der Residenz betreten. In dem Comptoir traf er ein junges Mädchen, das mit dem Ausmessen von seidenen Gardinenstoffen beschäftigt war.

„Guten Morgen, meine kleine Doris!“ rief er in dem vertraulichen Tone eines alten Bekannten. „Bist Du allein?“

Das niedliche, rothwangige Mädchen von vielleicht achtzehn Jahren legte den Stoff auf einen Stuhl, und dankte durch eine zierliche Verbeugung.

„Herr Thaddäus, mein Vetter, befindet sich in dem Hauptmagazine. Ich werde ihn sogleich rufen.“

„Bleibe, Doris!“ rief der Junker, indem er die Hand des Mädchens ergriff. „Es ist mir lieb, wenn ich mit Dir einige Minuten plaudern kann.“

„Mit mir, gnädiger Herr? Ich bin nur ein armes Mädchen, das der Vetter aus Barmherzigkeit zu sich genommen hat. Was kann Ihnen an meiner Unterhaltung liegen? Ja, wenn ich eine große Dame wäre.“

„Du verdienst es zu sein, mein Kind!“ antwortete der Junker, indem er ihr in die Wange kniff.

Doris sprang zurück.

„Ich sehne mich nicht danach!“ rief sie lachend.

„Wenn Du willst, kannst Du mit mir in dem neuen Wagen fahren, den Dein Vetter für mich in der Arbeit hat.“

„Das würde sich für mich nicht schicken.“

„Warum?“

„Weil ich Fritz, unsern ersten Gesellen, bald heirathen werde.“

„Ah, daran thust Du recht, meine liebe Doris! Fritz ist ein geschickter Arbeiter und ein hübscher junger Mann, der ein recht glückliches Loos verdient. Es hängt von Dir ab, ihm ein Kapital zu verschaffen, mit dem er ein eigenes Geschäft begründen kann.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_419.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)