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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Der Lauscher war in zwei Sprüngen an der Gitterthür, damit er dem Mädchen, wenn es zurückkehrte, deutlich in das Gesicht sehen konnte. Zwei Minuten verflossen, und an der erhellten Treppe im Hintergrunde des Ganges erschienen zwei Personen, die sich deutlich erkennen ließen. Es war eine alte Frau und ein junger Mann. Die Alte war schmutzig gekleidet, trug aber eine große weiße Haube mit breiten rothen Bändern auf dem Kopfe. Ein rothes wollenes Tuch, deren Zipfel auf dem Rücken zusammengeknotet, bedeckte ein altes verschossenes Kleid. Der junge Mann, den sie die Treppe herabgeleuchtet, war höchst elegant gekleidet; er trug einen schwarzen Frack, eine weiße Weste, auf der ein goldenes Uhrgehänge blitzte, eine weiße Atlas-Cravatte und einen feinen Hut. Sein zartes rothes Gesicht trug den Typus jener jungen Leute von neunzehn bis zwanzig Jahren, von denen man sagt, daß sie in dem Comptoir des reichen Vaters arbeiten, um später das große Geschäft desselben zu übernehmen, daß sie außerdem aber das Leben eines Barons führen. Lächelnd ließ er sich von der Alten den Mantel um die Schultern werfen, den er bisher über dem Arm getragen hatte. Dann sah er nach der Uhr, grüßte vornehm herablassend, und verließ die Alte, die klaffend wieder die Treppe hinanstieg. In dem Augenblicke, als er das Hölzgitter öffnete, trat ihm der Offizier entgegen.

„Mein Herr, sind Sie in diesem Hause bekannt?“ fragte er mit bebender Stimme.

„Ob ich hier bekannt bin?“ stammelte bestürzt der Angeredete. „Wie können Sie glauben –!“

„Ich bitte, sagen Sie mir, wer im zweiten Stocke wohnt!“

„Ich weiß es nicht.“

„Aber Sie kommen von dort?“

„Ja!“

„So müssen Sie doch wissen, bei wem Sie gewesen sind?“

Diese rasch und heftig ausgesprochenen Fragen schienen den Gefragten in eine große Verlegenheit zu setzen; er rückte den Hut tief in die Stirn hinab, und zog den Mantel bis an das Kinn hinauf, so daß nur seine Nase sichtbar blieb.

„Haben Sie Gründe, Ihren Besuch zu verheimlichen?“ fuhr der Aufgeregte fort.

„Mein Gott, warum fragen Sie mich danach?“

„Ich bitte nur, mir Auskunft zu geben. Wer war die alte Frau?“

„Die alte Frau? Lieber Herr, ich bedaure, daß ich nicht dienen kann – guten Abend!“

Der Unbekannte sprang bei Seite, und verschwand in einem Seitengäßchen.

„Er fürchtet erkannt zu werden!“ flüsterte der Offizier vor sich hin. „Klementine, Klementine, wenn Du es bist!“

Der arme Mann versank in ein tiefes Nachsinnen. Tod und Leben hing von der Lösung dieser Frage ab. Er wartete noch eine Viertelstunde, die ihm zu einer Ewigkeit ward. Die Arbeiter, die in heitern Gesprächen an ihm vorübergingen, beneidete er; er hielt sich für einen aus der Welt Ausgestoßenen. Da schlug das Rauschen eines seidenen Frauenkleides an sein Ohr. Er blickte auf, und Klementine schwebte an ihm vorüber – er erkannte sie, obgleich sie den weißen Schleier herabgezogen hatte. In dem Lichtkreise der nächsten Laterne hielt ein Fiacre, der langsam herangekommen war, ohne daß ihn der junge Mann bemerkt hatte. Als er aufsah, stieg Klementine ein, und der Wagen rollte davon. Rasch warf er noch einen Blick nach dem Hause, um es dem Gedächtnisse einzuprägen, dann folgte er laufend dem Fiacre, um die letzten Zweifel zu lösen, die er zur Ehre seiner Angebeteten noch hegte. Bald sollte er auch diese Zweifel verlieren.

Der Wagen bog in eine breite, belebte Straße, und hielt vor dem glänzend erleuchteten Laden einer französischen Putzmacherin an. Die Dame stieg aus und ging in den Laden. Als der athemlose Offizier an das Fenster trat, stand Klementine vor dem glänzenden Ladentische, und die Putzmacherin, eine elegante Frau von dreißig Jahren, präsentirte der Käuferin, die nun ihren Schleier zurückgeschlagen hatte, ein Karton mit Federn. Der Lauscher verstand jedes Wort, das in dem Laden gesprochen ward.

„Wählen Sie diese Marabouts,“ sagte die Verkäuferin; „sie sind nicht allein das Neueste bei einer Balltoilette, sie müssen in Ihrem schwarzen Haar auch einen reizenden Contrast bilden. Blondinen würde ich nicht dazu rathen. Ich bitte, legen Sie einen Augenblick den Hut ab und prüfen Sie.“

Klementine löste die Bandschleife und warf den Sammethut auf den Tisch. Die Putzmacherin ergriff einen Maraboutschmuck, neigte sich über den Tisch, und befestigte ihn in den vollen schwarzen Locken der Käuferin. Dann reichte sie ihr einen runden Handspiegel. Klementine betrachtete sich lächelnd und mit großer Zufriedenheit. Ach, und der Lauscher konnte deutlich das jugendliche, anmuthige Gesicht sehen, er konnte bemerken, wie reizend die schneeweißen, wolligen Federn in dem glänzenden Schwarz der Haare standen! Der Flaum des indischen Vogels fächelte bei jeder Bewegung des Engelköpfchens die zart geröthete Wange.

„Habe ich nicht Recht?“ fragte lächelnd die elegante Verkäuferin.

„O, sie hat Recht!“ flüsterte der Offizier mit einer gräßlichen Bitterkeit, indem er seine heiße Stirn an die kalten Glasscheiben drückte. „Klementine ist ein Engel, aber ein gefallener Engel!“

„Nennen Sie den Preis dieses Schmucks,“ sagte die Käuferin, indem sie die Federn in der Hand hielt und betrachtete.

„Zwei Ducaten!“

Klementine zog ihre Börse, und warf das Geld auf den Tisch, ohne um den Preis zu feilschen. Der Offizier, der wußte, daß eine solche Ausgabe für Luxussachen die Kasse Klementine’s bisher nicht erlaubt hatte, bebte bei dem Klange des Geldes zurück. Die Käuferin nahm den Karton, grüßte mit der ihr eigenen, unbeschreiblichen Anmuth, verließ den Laden und sprang leichtfüßig in den Wagen, der rasch davonfuhr.

Wie vernichtet stand der junge Mann an seinem Platze. Er hatte alle seine Hoffnungen, und was noch schmerzlicher war, seinen unerschütterlichen Glauben an die Heiligkeit des Mädchens verloren, das er mit dem Fanatismus der ersten Liebe anbetete. Die schrecklichsten Augenblicke seines Lebens waren eingetreten. Er schwankte zwischen zwei furchtbaren Extremen. Da rüttelte ihn ein Stoß, der seine Schulter traf, empor.

„Vorgesehen, Herr! Ich will die Laden vor die Fenster setzen!“ rief eine rauhe Stimme.

Es schlug neun Uhr, und der Hausknecht schloß die Schaubühne, auf welcher der Offizier die letzte Scene des inhaltschweren Drama’s seines Lebens gesehen hatte. Wie ein Trunkener schwankte er seiner Wohnung zu. Um Mitternacht hatte er ein Schreiben an den General vollendet, worin er um die Entlassung aus dem Dienste nachsuchte. Er zweifelte nicht daran, daß Klementine einen Andern liebte.

II.

Ernst von Below gehörte einer alten, aber armen adeligen Familie an. Er war auf Kosten eines Bruders seines früh verstorbenen Vaters erzogen, und hatte es in seinem dreiundzwanzigsten Jahre bis zum Secondelieutenant gebracht. Auch der Onkel, der ihm bisher eine jährliche Unterstützung von sechshundert Thalern gezahlt, war vor einem Jahre plötzlich am Schlagfluß gestorben. Man glaubte allgemein, Ernst, der ein Liebling des alten Barons von Below gewesen, würde nun auch der Erbe seines großen Vermögens werden: allein ein jüngerer Bruder des Verstorbenen, der Junker von Below, wie man ihn allgemein nannte, hatte nachgewiesen, daß Ernst’s Vater nur ein Halbbruder des verstorbenen Barons gewesen sei, und das ganze beträchtliche Vermögen war nun auf den fünfzigjährigen Junker übergegangen, da der Verblichene kein Testament hinterlassen hatte. Die Entscheidung des Gerichts war ungefähr seit vier Wochen bekannt, und Ernst ein armer Lieutenant geworden, der nichts als seinen Sold hatte. Er bewohnte noch einige Zimmer in dem Hause des Barons, das unter den Linden lag. Die übrigen Räume hatte bereits der Junker bezogen, und Maler und Tapezierer waren beschäftigt, sie fürstlich einzurichten.

Um dieselbe Zeit, als Ernst sein Schicksal in Betreff der Erbschaft, die er im ungünstigsten Falle mit dem Junker zu theilen gehofft, erfahren, hatte er auch einen Brief von der alten Frau von Falk erhalten, worin sie ihn ersuchte, jede Annäherung an Klementine ferner zu vermeiden, da ein Liebesverhältniß, das unmöglich zu einer Ehe führen könne, ein junges Mädchen compromittiren müsse, zumal wenn es nichts als seinen unbescholtenen Ruf besitze.

Ernst sah noch einmal Klementine, und da er in ihrem Betragen eine kalte Zurückgezogenheit zu bemerken glaubte, zog er

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