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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Tage darauf versammelte sich eine zügellose Rotte von Griechen und Armeniern, bewaffnet mit allen möglichen Werkzeugen der Zerstörung, vor dem Hause des Schuldigen, verjagte die erschreckte Familie, die sich größtentheils bei ihrer Annäherung geflüchtet hatte, riß das Gebäude dann von Grund aus nieder und machte ein Freudenfeuer aus den Geräthen und Waaren.

Der Mißhandelte begab sich zum Großwesir, um über die Zerstörung seines Eigenthums Klage zu führen und Gerechtigkeit zu fordern. „Ich sehe nicht ein“, erwiederte der Wesir, „Was ich dabei thun kann. Wenn ich mich einmische, so wird es ein außergerichtliches Verfahren sein und denjenigen eine Handhabe geben, welchen schon Alles, was sie Neuerungen nennen, zuwider ist. Die Alt-Türken nennen mich bereits Diaul(Teufel-) Pascha, was würden sie erst sagen, wenn ich mich zum Richter zwischen Christen aufwürfe?“ Indessen schien es doch, als ob der Vorgang mit dem Armenier den Wesir auf einen neuen Gedanken gebracht habe. „Komm morgen wieder“, sagte er, „und obgleich ich selbst Dir nicht helfen kann, will ich Dich zu Einem führen, der es vermag.“ … Am folgenden Morgen lag eine Kaika bereit, und zu des Kaufmanns Schrecken fand er sich bald in der „Allerhöchsten Gegenwart“. Der letzte Theil des vorhergehenden Tages war zu einer genauen Untersuchung verwandt worden, und der Minister hatte einen Bericht über den Vorgang an den Sultan abgestattet, der, wie ein wahrer Harun-al-Raschid, die Sache selbst in die Hand zu nehmen beschloß. Sobald der Armenier seine Unterthänigkeit bezeugt und seine Freude darüber ausgedrückt hatte, daß man ihn der Ehre gewürdigt, den Bruder der Sonne und den Monden zu erblicken, stürzte der Großherr sich augenblicklich in medias res. „Man berichtet mir“, begann Se. Hoheit, „daß die Armenier in Bebek und der Nachbarschaft Dein Haus zerstört und Dein Eigenthum verbrannt haben. Das ist sehr unrecht, sehr unrecht; aber sage mir nun auch, was Du ihnen gethan hast, denn ohne Ursache reißt Niemand das Haus eines Anderen nieder. Welches Verbrechen hast Du begangen?“ – „Geruhen Ew. Hoheit“, erwiederte der Armenier, „ich habe kein Verbrechen begangen: ich verließ nur, was sie den Glauben nennen.“ – „Es ist ein schlimmes Ding“, sagte der Sultan, „den Glauben zu verlassen; aber welchen Glauben hast Du verlassen?“ – „Ich verließ den Glauben, der mir befahl, mich vor der Panagia (der Jungfrau Maria) und den Heiligen zu verbeugen und sie anzubeten.“ – „Was? jene gelb gemalten Dinge, von denen man mir sagt, daß die Christen sie verehren?“ – „Ja, Ew. Hoheit, aber es sind nicht Christen, welche sie verehren. Seitdem ich ein Christ bin, habe ich mich nicht mehr vor der Panagia gebeugt.“ – „Du thust ganz recht; es giebt nur einen Gott, und Muhammed ist sein Prophet.“ – Der Kaufmann verneigte sich ehrerbietig bei den Worten den Sultans, obwohl ohne Zweifel mit einem stillen Vörbehalt; allein Niemand darf es wagen; dem Beherrscher der Gläubigen zu widersprechen. Abdul-Medschid fing nun an, sich über die Einzelnheiten des Vorgangs genau zu erkundigen, und da er fand, daß die Aussage des Armeniers vollkommen mit dem übereinstimmte, was der Wesir gemeldet hatte, so ward der Kaufmann entlassen, und es erging ein Befehl an den Patriarchen der armenischen Kirche, sich am nächsten Tage zu derselben Stunde in Beschiktasch einzustellen.

Mit Furcht und Zittern erschien zur bestimmten Zeit der Prälat. Der Sultan war augenscheinlich übler Laune: er wartete kaum, bis die stereotypen Kniebeugungen vorüber waren, als er ihm zurief: – „Was soll das bedeuten, daß Eure Leute die Habe meiner Unterthanen verbrennen und ihre Häuser niederreißen? Bin ich nicht der Sultan-ad Din? Untersteht man sich, meiner Gewalt zu spotten?“ Der bestürzte Patriarch versuchte eine Erklärung zu stammeln. „Nichts!“ schrie der Sultan, „ich weiß Alles, was vorgegangen, und habe meinen Entschluß gefaßt.“ – „Möge es Deiner Hoheit gefallen –“ „Es gefällt mir nicht, und deshalb eben habe ich Dich rufen lassen. Nun höre, was ich zu sagen habe. Ich verfolge keinen wegen seiner Religion und will nicht erlauben, daß Du es thust. Gott ist groß; Ihr aber betragt Euch nicht besser, als die Schweine. Dieser Mann setzt sein Vertrauen in Gott und ruht in unserm Schatten; er soll nicht beraubt werden. Vernimm nun“, fuhr Abdul-Medschid fort, von dessen Gesicht alle Spuren von Zorn verschwunden waren, „dieser Kaufmann muß für seinen Verlust entschädigt werden. (Der Patriarch erblaßte.) Da der ihm zugefügte Schaden von meinen Unterthanen herrührt, so muß meine Schatzkammer denselben vergüten. Niemand soll Uns vergeblich um Schutz gegen Unterdrückung anflehen.“ – Se. Heiligkeit schöpfte wieder Athem. „Deine Hoheit ist die Quelle des Trostes und die Rose der Gerechtigkeit“, fing er an. – „Ohne Zweifel bin ich das. Demzufolge muß ich auch alles Unrecht wieder gutzumachen suchen, das gegen diejenigen begangen wird, die unter dem Schatten des grünen Banners ruhen. Bliebe ich jedoch hierbei stehen, so würden alle wahren Gläubigen mich anklagen, da ich ihnen dann eine Last auflegen würde, um die Verbrechen von Hunden und Ungläubigen zu sühnen. Wenn ich also den Kaufmann entschädige, so mußt Du mich entschädigen.“ Jede Spur von Farbe verschwand bei diesem Ausspruch vom Gesicht des Patriarchen. Er öffnete den Mund, vermochte aber nicht, ein Wort hervorzubringen. Es war auch nicht nöthig; der Sultan machte ihm ein Zeichen, daß er zu schweigen habe. „Künftige Woche um diese Zeit wird dem Armenier sein Schaden ersetzt werden; an demselben Tage in der darauf folgenden Woche wirst Du den Betrag an Unsere Schatzkammer einzahlen, und dann wird Dir, sobald Du willst, Unsere kaiserliche Erlaubniß und Ermächtigung ertheilt werden, die Uebelthäter, welche durch Dich, o Vater des bösen Raths! zu diesem Vergehen aufgestachelt wurden, Deinerseits zum Schadenersatz anzuhalten. Jetzt habe ich nur noch die Summe anzugeben, um deren Wiedererstattung es sich handelt; der Kaufmann schätzt seinen Verlust auf achtmal hunderttausend Piaster (ungefähr funfzigtausend Thlr.); da jedoch in der Eil und Verwirrung, die von einem solchen Vorfall unzertrennlich sind, viele werthvolle Gegenstände seinem Gedächtniß entfallen sein müssen, so wollen wir diesem Betrage noch die Hälfte hinzufügen und ihn auf zwölfhunderttausend Piaster feststellen, was den Gekränkten einigermaßen für die Leiden entschädigen wird, die er unschuldigerweise erduldet. Unser Schatzmeister wird ihm künftige Woche 1,200,000 Piaster auszahlen, und in der folgenden wirst Du uns diese erstatten.“ – Noch einmal versuchte Se. Heiligkeit zu sprechen, aber der Sultan klatschte in die Hände. „Es ist genug!““


Der Ocean auf dem Tische. Es wird jetzt mit der Zeit unter den gebildeten Familien, denen es auf ein paar Thaler nicht ankommt, immer mehr Mode werden, sich nicht nur mit geschmackvollem, sondern auch mit wissenschaftlichem Luxus zu umgeben. Zu den neuesten Dekorationen letzterer Art gehört in England bereits das Aquarium, d. h. die vergrößerte und wissenschaftlich construirte Goldfisch-Terrine, gefüllt mit Leben aus der Tiefe des Meeres, das man nun darin in seinem ganzen, tiefen, geheimnißvollsten Reichthume auf dem Tische studiren kann, im Schlafrock und Pantoffeln. Der Engländer Philip Henry Gosse hat jetzt ein wahres Prachtwerk mit vielen colorirten Kupfertafeln unter dem Titel: „Aquarium oder Enthüllung der Wunder der Meerestiefe“ veröffentlicht, worin er zeigt, wie man solche Aquarien einrichten, halten und studiren muß und was für merkwürdige Wesen man darin in ihren Sitten und Gebräuchen beobachten kann.

Das Prinzip, auf welchem das Aquarium beruht, besteht in gehöriger Erhaltung von Pflanzen- und Thierleben innerhalb des gläsernen, durchsichtigen Wassergefäßen, da die Thiere von dem Sauerstoff abhängen, welchen die Pflanzen entwickeln, während letztere ohne Stickstoff und Kohlensäure, welche von ersteren ausgehen, nicht bestehen können. Mit dem lebendigen Seewasser muß man natürlich auch etwas Sand und Steine zur Bequemlichkeit des Lebens darin einfüllen. Um die innere Wand des Glasgefäßes, die sich stets mit Myriaden von kleinen Algengewächsen u. s. w. zu bedecken suchen, rein zu halten, stellt man eine Portion kleine Thiere an, welche die Wissenschaft „trochus“ nennt, und die Engländer „periwink’s, slavies und common tops“ nennen. Diese tops (Kreißel) treiben sich fortwährend an den innern Wänden umher und lecken mit ihren fleischigen, reibeisenartigen kleinen Rüsseln jeden Tag in regelmäßigen Zwischenräumen Alles weg, was die Durchsichtigkeit stören würde. Die Zunge dieser kleinen Reinlichkeitsbeamten ist ein wahres Meisterstück von Besen oder Fensterlappen und wird von Mr. Gosse mit vielem Enthusiasmus beschrieben. Unter den seltsamen Bewohnern des Meerwasser-Aquariums macht sich der Kopffuß (Kephalopodos) oder die Sepiola vulgaris besonders interessant. Anfangs verräth das Thierchen viel Unruhe, nimmt aber mit der Zeit mitten im Wasser eine ruhige Stellung an, um nur noch aus den weit hervorstehenden Augen und durch seine tausendfach und plötzlich sich ändernden Farben zu verrathen, was für ein reichen Leben in ihm pulsirt. Die Farben erscheinen in den verschiedensten Formen und Tinten, bald in dunkeln, bald in hellen Schichten, bald in Flecken, bald in Ringen u. s. w., stets farbiges Gefühl, stets sichtbar werdendes Seelenleben. Daß die Farbenmusik und ihre verschiedenen Gestalten von den Stimmungen des Thierchens abhängt, wird bald klar. Da schwebt eins ruhig und gedankenlos und deshalb farblos. Ein College von ihm schießt über ihn hin: sofort übergießt sich sein Körper mit dem schönsten Purpur, „wie die Wange eines in Scham erglühenden Mädchens.“ Wer weiß, was für rührende Liebesgeschichten alles in der Tiefe den Meeres vorkommen! Aber freilich giebt’s auch Kannibalen darunter, z. B. den schwarzen Goby, drei Zoll lang und sich gern unten versteckend, wie alle Räuber und Mörder, in Sand und Sumpf. Zuweilen schießt er auf, schnappt seine Beute und kehrt wieder in den Schlamm zurück. – Die Erdbeer-Krabbe (wegen der Farbe so genannt) klettert träge auf den Seegewächsen herum, und macht dabei ganz die Bewegungen des Orang-Utang. – Die Seemaus, welche zu dem schönen wissenschaftlichen Namen der Liebesgöttin „Aphrodite“ gekommen, ist besonders interessant durch die geschäftliche Lebendigkeit, womit sie stets unten umher pusselt, noch mehr aber durch ihren schönen Farbenwechsel, bei künstlichem Licht in Roth und Orange, am Tage meist in Grau und Blau. Die Farben kommen hier von Lichtbrechung, bei der Sepiola aber aus innerer Leidenschaft. Nähere Untersuchung der Construction der Seemaus zeigt eine Menge der seltsamsten Bildungen, unter welchen die merkwürdigste die Nase oder der Athmungsprozeß ist, der sich im Schwanze befindet. Sie athmet stets Wasser aus und ein, wie wir Luft. – Auch die „Soldaten-Krabbe“ ist ein interessanter Unterthan des Meeres. Sie hat kein hartes Fell und keine Waffen, und da sie sich’s doch gern bequem macht, zieht sie in jedes beliebige Haus, das sie leer findet, Schnecke oder Muschel. Spaßhaft ist’s, wenn’s ihr zu eng im Schloß wird und sie sich nach bessern Wohnungen umsieht. Auf dem Dache der Soldatenkrabbe wächst in der Regel eine Anemone, ein säulenartiges Pflanzenthier, und mit ihr zusammen inwendig wohnt fast ohne Ausnahme die Nereis bilineata, ein wunderschön gefärbter Wurm, der, wenn die Soldatenkrabbe etwas gefangen hat, unter ihm hervorschießt und ihm das Futter thatsächlich vor der Nase wegreißt, ohne daß es der wahre Eigenthümer besonders übel zu nehmen scheint. Der Wurm, der sich nirgends im Freien halten und selbst kein Brot verdienen zu können scheint, ist eine der größten Delicatessen für Fische, weshalb auch Angler und Fischer ihn mit dem größsten Erfolge als Köder brauchen. Man findet ihn stets in den Wohnungen der Soldaten-Krabbe. – Unter den Pflanzenthieren scheinen einige Sorten von Strahlenmuscheln wahrhafte gymnastische Künstler zu sein, obgleich sie in der Regel wie angewachsen umherfaullenzen. Mr. Gosse warf einmal einige Exemplare der knolligen Strahlenmuschel, der größten Sorte ihres Stammes, in eine Schüssel, da sie es lieben, zuweilen an die Luft gesetzt zu werden. Während die Familie nun ruhig am Tische saß, und sich vorlesen ließ, entstand plötzlich unter den Thieren ein schrecklicher Lärm, der mit Reibungen und Schlägen von Flintensteinen auf einander große Aehnlichkeit hatte. Sie zankten und stritten sich wüthend unter einander, als wollte Jede seinen Kopf behaupten, obgleich keine Einzige einen hatte. Es war in der That der kopfloseste Aufruhr.

Mit der Zeit wird die Tiefe des Meeres, durchsichtig auf unserem Tische, uns noch manche seltsame Naturgeschichte erzählen.


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