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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

brachte Adele ihren kleinen Freunden die interessantesten Geschenke mit, bald einen Vogel, bald einen kleinen Hund, bald ein possierliches Spielzeug, einen wackeligen Juden, eine schreiende Puppe, einen nähenden Schuster, der bei dem Geschäfte die widerlichsten Gesichter schneidet. Es war aber noch mehr ihr Walten unter ihnen, das ihr die Kinder gewann. Niemand wußte wie sie die blonden Köpfchen zu beschwichtigen, Niemand sich mit ihnen so zu unterhalten und die kleinen Streitigkeiten unter ihnen zu schlichten. –

Auch ich fühlte mich hingezogen zu dem Wesen voll Liebe und Hingebung, das so lauter und klar in Wort und That, wie ich mir sagte, nie durch ein unerbittliches Schicksal gezwungen werden konnte, die Bestimmung des Weibes zu verfehlen. Sie war noch schön diese Blume im Verblühen. Die hohe Gestalt, die weichen und doch bestimmt ausgeprägten Züge erinnerten an das Bildniß der Charlotte Corday. Ist es möglich, daß sich kein Herz gefunden haben sollte für dieses reine, volle, pochende Herz? frug ich mich. Das schien mir nicht denkbar. Was konnte also dieses holde Weib bestimmt haben, die schönsten Gefühle der Jugend ungenützt verkümmern zu lassen? Ich ahnte eine Leidensgeschichte. Sie wurde mir erzählt, da ich in der Familie Duberville ganz heimisch und als ein Hausfreund betrachtet wurde. Wie ich vorausgesetzt, hat diese Geschichte ihre rührenden, erschütternden Momente.

Alfred Duberville und Arnold Granier waren Schulkameraden gewesen und wurden später im ungewöhnlichen Sinne des Wortes Freunde. Die jungen Leute hatten ihre nähere Beziehung zu einander von ihren Vätern geerbt, die in den letzten Kriegen des Kaiserreichs Waffenbrüder, nach der Wiederkehr der Bourbons im Jahre 1815 aus der Armee traten und in Vereinigung mittelst eines Kapitals, das Jeder von ihnen besaß, Handelsgeschäfte unternahmen. Die in Kaufleute umgewandelten Soldaten verheiratheten sich im Jahre 1816, erwarben ein beträchtliches Vermögen und starben, wie um ihre Anhänglichkeit an einander zu beweisen, im selben Jahre (1840). Sie ließen ihre Kinder wohlversorgt und in der Lage zurück, ihr Leben nach Gutdünken und Geschmack einzurichten.

Arnold war ein klar denkender Mensch, fast ohne Illusionen, den kein Ereigniß, keine Person und kein Verhältniß so leicht durch äußern Glanz zu täuschen vermochte. Er war nie fanatisch, sondern zugestehend; mit Ernst und Festigkeit anerkennend, jedoch mit Bedacht. Er war ein echter Bürger, ein Mann des Maßes. Er haßte die unnütze Verschwendung, gleichviel, ob es sich um Geld, Lob, Zeit oder Neigung handelte. Mit Enthusiasmus sparte er bis zum Geiz. Wie seine Kapitalien hielt er darauf, seine Gefühle gut zu placiren. An seiner Mutter hatte er mit frommer Verehrung gehangen. Seine Schwester Delphine liebte er aufs Zärtlichste; er war ihr nach dem Tode des Vaters ein sorgender, schützender Vater.

Seinem Freund Alfred, an welchem er den geraden Sinn und das offene Wesen, das unverfälschte Gemüth schätzte, war er von ganzer Seele ergeben.

Alfred, ganz verwaist, ohne Aeltern und Geschwister, fand Alles in seinem Freund und in Delphinen, die auch er wie eine Schwester betrachtete und behandelte.

Sie lebten alle Drei recht vergnügt mit einander, theils in großer, glänzender Gesellschaft, theils im engen Kreise, sich wechselseitig durch Antheil und Neigung das Leben erheiternd, durch Mittheilung und Gemeinsamkeit sich wechselseitig anregend und die Genüsse erhöhend. Dieser freundliche Verkehr, in den sich gar keine Leidenschaft mischte, dauerte ohne Störung zwei Jahre nach dem Tode der beiden Väter.

Eines Tages, im September des Jahres 1841, als Alfred auf den Boulevard des Italiens sich erging, ward er von Theophile Lamon, einer Salonberühmtheit von großer Eleganz, mit viel Renten, wenig Herz und etwas Geist angehalten.

„Sie ganz allein, ohne obligate Begleitung, Castor ohne Pollux; das muß was Außerordentliches zu bedeuten haben“, sagte heiter und sichtlich zufrieden mit seinen Einfällen Herr Lamon.

„Es bedeutet sehr einfach“, versetzte Alfred, „daß Arnold für einige Tage in einer Geschäftsangelegenheit nach Orleans gereist ist.“

„War irgend eine Tante so gefällig zu sterben und ihm eine Erbschaft zu hinterlassen?“

„Beim Himmel, Sie haben es errathen“, erwiederte Alfred mit beifälligem Lächeln.

„Die Freunde des Herrn Granier werden nun nicht wissen, ob sie ihm Glück wünschen oder Beileid bezeugen sollen.“

„Was Sie betrifft, können Sie unmöglich zweifelhaft sein, da Sie sich bereits selbst in diesem Conflict der Gefühle befanden.“

„Man muß sich sehr anstrengen, traurig zu sein“, sagte der Geck, „in dem Augenblicke, als man der Eigenthümer von vierzigtausend Franken Renten wird.“

„Ich möchte diese Annahme nicht im Allgemeinen gelten lassen“, versetzte mit Ernst Alfred.

„Sie leben in Paris und glauben also nicht, daß ich der einzige so Verworfene bin, daß mich der mir zufallende Besitz von vierzigtausend Franken Renten den Tod eines Anverwandten vergessen machen kann. Doch wir wollen uns lieber von andern Dingen, als von dergleichen Gewissenssachen unterhalten. – Ich habe etwas vor und da Sie eben verwittwet sind, macht es Ihnen vielleicht Spaß, Theil an meinem Project zu nehmen.“

„Wenn es angenehm oder nützlich ist – und Eins von Beiden ist es gewiß, womit Sie sich befassen – bin ich mit dabei.“

„Sie haben wohl von der schönen Lectionengeberin in der rue Mazagran gehört?“

„Neulich war von ihr in dem Salon bei B… die Rede, und es ward zum Verdrusse der Frauen nicht nur die Schönheit, sondern auch der gute Lebenswandel der jungen Professorin gerühmt. Sie ist ganz ungewöhnlich schön, ein ganz seltenes Exemplar von einer Brünette“, behauptete Lamon.

„Ihnen also schon bekannt?“ frug Alfred.

„Bis jetzt nur durch Ueberlieferung. Wissen Sie, wer sie besucht hat?“

„Ich errathe nicht.“

„Prénot! Und Sie werden nicht bestreiten, daß der über Frauenschönheit ein Urtheil hat. Und dieser, von den Blasirtesten Einer, der über die rasche Entzündbarkeit der Jugend längst hinaus ist, bewundert. Es kann keine bessere Empfehlung mehr geben. Wie er sagt, sind Gestalt, Augen, Zähne, Haare tadellos. Fuß und Hand Modelle. Ueberdies sind bisher alle Bekannten streng zurückgewiesen worden, sobald sie aus der Rolle der Schüler herauszutreten sich beikommen ließen. Die schöne Meisterin macht also in Tugend, eine Waare, die immer ihren Werth hat, wenn sie auch nicht echt ist.“ !

„Worin ertheilt die Prénot’sche Schönheit denn Unterricht?“ frug Alfred.

„In Musik, Sprachen und Kalligraphie.“

„Sie ist also sehr vielseitig gebildet?“

„Spricht außer französisch, deutsch, englisch, spanisch und italienisch mit der größten Sicherheit und Geläufigkeit. Eben im Begriffe, mich zur schönen Meisterin zu begeben und mit ihr wegen einiger Lectionen zu unterhandeln, mache ich Ihnen den Vorschlag, mich zu begleiten.“

„Nichts kann mir erwünschter kommen. Da ich nächstes Jahr die „Niobe der Städte“ und die andern Wunder Italiens anzustaunen gedenke, wird mir einige Uebung in der Sprache dieses Landes von Nutzen sein.“

Ohne Aufschub schritten die beiden jungen Leute die Boulevards aufwärts, an dem Gymnase vorüber, um sich in die rue Mazagran und in die Wohnung der Mademoiselle Adele Blaireau zu begeben. Sie wurden von einer dienstthuenden Magd in einen kleinen Salon gewiesen, an welchen eine Art Unterrichtszimmer stieß, wo die beiden jungen Leute, als die Verbindungsthüre aufging, mehrere junge Mädchen um einen runden Tisch sitzen und schreiben sehen konnten.

Alfred war zunächst von der Ordnung, Stille und Reinlichkeit, die ihn umgaben, überrascht. Das Empfangszimmer, sehr einfach, aber geschmackvoll eingerichtet, war höchst anziehend und Jeder mochte sich gerne dort aufhalten. Die Kupferstiche an den Wänden, in goldenen Rahmen, Nachbildungen der idyllischen Scenen von Robert und anderer berühmter Bilder, dann die kleinen Gypsbüsten berühmter Künstler, das Alles war so ansprechend an einander gereiht, so sinnig vertheilt, daß es einen wohlthuenden Eindruck machte. Das Sopha, die Lehnstühle, die Vorhänge von blauem Stoff, sahen so frisch aus. Nirgends war eine Spur der Verletzung oder Abnützung zu gewahren. Die Bronze-Uhr auf dem Kamin zeigte auf’s Genaueste die Stunde. Nach einigen Minuten trat Adele ein, um ihre Gäste zu empfangen. Sie war einfach, aber elegant gekleidet und wirklich so schön, wie sie Herr Prénot geschildert hatte. Sie mochte zwanzig Jahre zählen und

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