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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Eine Jagd auf entlaufene Neger.
(Fortsetzung.)

„Jene Sclaven bildeten ein Hauptlager im Mittelpunkte der Insel, an einer Stelle, die man noch jetzt Heinrichslager nennt. Das war ihre Festung; aber da es an diesem engen, trichterförmig ausgehöhlten Raume nicht für Alle genug zu essen gab, so bemächtigten sie sich, je nach der Jahreszeit, anderer Punkte der Ebene. Das wenigstunzugängliche unter diesen Lagern in zweiter Linie, wo sie sich nur vorübergehend und nie ohne Mißtrauen niederließen, weil man sie dort leicht erwischen konnte, grenzte an den großen Teich am Eingang in die Palmenebene. Von da stürzten sie sich durch den Fluß Sache auf die Pflanzungen von St. Benoit und St. Rose und stiegen wieder die Kaffeeebene hinan, um in die Thäler von St. Pierre herabzukommen. Die auf diesen Höhen in Ueberfluß wachsenden Palmen schafften ihnen leicht Nahrung; sie pflanzten dort auch Bananen und einige Wurzeln an, die Sonne reifte die Früchte dieser wilden Gärten ganz wie die unserer Obstgärten.

„Eines Tages entschloß man sich dieses Lager von zwei Seiten anzugreifen, zu einer Zeit nämlich, wo man vermuthete, daß sich die Flüchtlinge dort niedergelassen hatten; man war es müde immer über dem Kopfe unsichtbare Feinde zu haben. Man schickte einen Spion auf’s Gebirge, um sie aufzusuchen; man ergriff zweckdienliche Maßregeln und bemühete sich, auf zwei verschiedenen Wegen in die Palmenebene zu kommen. Die Leute von St. Benoit marschirten dem Flusse Sache entlang, und wir folgten dem Walle des weißen Holzes; an einem bestimmten Tage sollte man sich auf dem Plateau vereinigen. Bei derartigen Zügen fehlt es nicht an Strapatzen und Gefahren, aber man beunruhigte sich deshalb nicht: die Berge verlocken wie das Meer; man will sehen, was droben vorgeht, wie man wissen will, was da unten hinter dem Horizont geschieht. Zudem waren unsere Väter Abenteurer, wie ich Ihnen sagte, und wir haben von ihnen das peinigende Bedürfniß eines thätigen Lebens; sie durchforschten die Insel und drangen zuerst in diese Wälder, wo der Vogel sang, obwohl ihm Niemand zuhörte; unser Vergnügen war es, nur auf die Berge zu klimmen, in die Schluchten zu gleiten und überall zu suchen, ob es keinen Fleck mehr zu entdecken giebt. Wir wurden auch dadurch ermuthigt, daß unsere Schaar gewöhnlich von alten Creolen angeführt wurde, von alten Sklavenhändlern von Madagaskar, die hieher gekommen waren, um von ihren viel abenteuerlicheren Reisen auszuruhen und in unserem gastlicheren Klima von den aus Tintingua bekommenen Fiebern zu genesen; sehr oft brachten sie aus dem Malgachenlande keine großen Reichthümer mit, aber eine Masse wunderbarer seltsamer Geschichten, die wir uns von ihnen an den Haltstellen erzählen ließen.

„Auf diesen Zügen gingen wir immer barfuß: nur Sonntags zogen wir, wenn wir in’s Dorf gehen wollten, Schuhe an, um nicht mit den Mulatten, die nicht frei sind, verwechselt zu werden: aber im Felde war diese Auszeichnung überflüssig. Die Kürbisflasche an der Seite und die Flinte über der Schulter, durchdrangen wir lustig die Gehölze; jeder trug, außer einer Pfeife am Hutbande, ein Feuerzeug und Mundvorrath. Einige hatten auch an ihrem Gürtel eine kleine Hacke hängen, um die dicken Schlinggewächse zu durchhauen und Bäume zu fällen, die man als Brücken über die Abgründe legte. So bewaffnet glichen wir ein wenig einer Schaar Flibustier aus der alten Zeit; die Seesoldaten würden über uns gespottet haben, sie, die über unsere Milizen lachten, weil sie nicht regelmäßig marschiren. Wozu auch? Wir sind nicht Regimentern zugetheilt, um in der Fremde Krieg zu führen, aber wohl in Compagnien organisirt, um uns gegen die Gebirgsräuber und äußeren Feinde zu vertheidigen. Wenn man während der französischen Revolution an der Küste feuern mußte, so blieben keine Garnisonstruppen übrig, wir bekamen keine Hülfe und dennoch kämpften wir; wir schickten sogar unseren Verbündeten in Indien Verstärkungen zu. Die, welche man später anklagte, daß sie im englischen Solde stünden, glauben Sie mir es, meine Herren, das sind nicht die kleinen unbeschuhten Weißen.

„Ich machte diesen Zug in die Palmenebene als Freiwilliger mit, ich war kaum siebzehn Jahre alt, aber ich dachte, es sei nicht schwerer die Flüchtlinge zu jagen, als die Tülgel (Wasservögel) in den Felsen aus den Nestern zu nehmen. Und welches Kind aus unsern Kantonen hätte nicht hundertmal sein Leben gewagt, um diese Seevögel aus ihren Nestern zu nehmen? Wir kamen zuerst durch den Wald, der sich über den Vieux-Brulé hinzieht. Der Vulkan, der nun fast an der Südspitze raucht, scheint durch die ganze Länge der Insel gewandert zu sein, um dahin zu gelangen, wo er sich jetzt befindet; aber am Ende hat sich die Vegetation wieder darüber verbreitet. Auch findet man in Vieux-Brulé überall Holz auf dessen Haupt und Lava zu dessen Füßen, man geht immer auf etwas Glasartigem und die Bäume, die aus diesen seit Jahren erkalteten Feuerwogen hervorwuchsen, kreuzten zuletzt ihre Zweige, um ein fast undurchdringliches Unterholz zu bilden. Wenn die Sonne senkrecht auf diese schirmartig ausgespannten Zweige fällt, befindet man sich unter ihnen zwar im Schatten, aber man erleidet eine drückende Hitze. Die Füße brennen auf dem nackten Boden und das Gras, das hier und da sprießt, verwandelt sich in Staub oder vielmehr in Asche. Der Seewind eilt an diesen Abhängen vorüber, kaum fühlte man ihn, kaum regten sich die Blätter, so ist der Hauch wieder verschwunden; man hört ihn, wie er über den Wald fliegt, gleich als spottete er des keuchenden Reisenden.“

Die Erinnerung an diese heißen Tage erweckte im Creolen einen Durst, der bei ihm ziemlich etwas Gewöhnliches war. Er stillte ihn nun mit seiner Kürbisflasche, die schon geleert gewesen wäre, wenn wir nicht dafür gesorgt hätten, sie mit altem französischen Weine wieder zu füllen.

„Nach einem ziemlich beschwerlichen Tagesmarsche,“ fuhr er fort, „hielten wir in einer dieser Schluchten an, unter großen halb entwurzelten Takamas, die in der Erwartung einer Wasserhose, die sie hinabstürzen sollte, über den Abgrund hereinhängen. Hie und da schwangen sich über schattenliebenden Himbeerstauden die Baumfarrenkräuter in die Höhe, deren lange zackige Blätter, vom Stamme getrennt und im Kreise zerstreut, einer feurigen Sonne gleichen, die man an Festtagen in den Dörfern abbrennt. Ueber unsern Häuptern sahen wir durch eine Oeffnung, wo sich ein breiter Himmelsstreif zeigte, so blau wie die See in den Buchten, Palmenstengel vom Winde, wie Federbüsche am Eingange der Ebene bewegt. Wir brauchten nur noch einige Stunden zu steigen, um das Plateau zu erreichen, wo die Schwarzen lagerten; aber war das Wild, das wir suchten, noch dort?

„Das mußten wir wissen: ein junger Mensch aus der Schaar nahm es auf sich auf Recognoscirung auszugehen, und er sollte uns ein Signal damit geben, daß er einen Kieselstein in die Schlucht warf. – Wenn Quinola bei ihnen ist, sagten Einige von uns, so werden wir nur das Nest finden, die Vögel werden ausgeflogen sein. – Bah! erwiederte ein Anderer, wenn Quinola noch lebte, würde er sich unter den Banden zeigen! – Die Schwarzen, die man in den letzten Jahren aufgegriffen hatte, versicherten, daß er im Gebirge wohne, aber, da er das Zauberhandwerk verstände, so könnte er sich unsichtbar machen; sie nannten ihn den großen Ombia, den Oberpriester. Gewiß war es, daß man in den Städten schon lange die verspottete, welche Quinola lebend glaubten, in den Dörfern nahm man es ernster und bei seinem Namen zitterten die Kinder. Was mich betrifft, so dachte ich wohl, daß er im Gebirge leben könne ohne sich zu zeigen und daß er zu schlau sei, um anderen Flüchtlingen seine Zufluchtsstätte wissen zu lassen; trotzdem konnte ich den Schrecken nicht ganz überwinden, den der Gedanke an diesen Menschen, nämlich an diesen Schwarzen, seit meiner Kindheit einflößte; ich hatte mehr Grund als die Andern nicht beruhigt zu sein. Als ich einmal ziemlich weit vom Hause wegging Jamrosen zu pflücken, sah ich einen alten Malgache-Neger hinter mir, mit ganz weißen Haaren. Sie begreifen, meine Herren, daß ich mich bei seinem Anblick fürchtete und davon laufen wollte; aber er hielt mich auf, indem er mir in den Weg trat und sagte: „Moritz, Sie haben einen guten Schwarzen zu Hause, einen tüchtigen Arbeiter; wenn er sein Handwerk gut verstehen wird, werde ich ihm irgendwo einen schönen Baum zeigen, den er gerne fällen wird.“ Und darauf verschwand er im Gehölze. Heimgekommen wagte ich es niemals mit meinem Vater von dieser Erscheinung zu sprechen, die mich

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