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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Drei deutsche Dichter.

Privatangelegenheiten, nebenbei auch der heimliche Drang, mir das Dresdner Hof- und Residenzleben genauer, als auf flüchtigen Durchreisen, anzusehen, bestimmten mich im Herbst des Jahres 1836, meinen Wohnsitz auf ein halbes Jährchen nach dem lieblichen „Elbflorenz,“ um welchem Namen Dresden schon damals kokettirte, zu verlegen. Der Landtag war um jene Zeit gerade versammelt, unter dessen Mitgliedern ich zwei Freunde, Todt und von Dieskau zählte; auch wußte ich, daß Julius Mosen, einer unserer reichbegabtesten, deutschesten Dichter, mir seit einer Reihe von Jahren lieb und vertraut, in Dresden wohnte, und so war ich gleich für den Anfang meines Aufenthaltes nicht in Verlegenheit, erst nach befreundeten und gleichgestimmten Herzen suchen zu müssen.

Vor Allem lag mir aber daran, die beiden Dichtergreise, die damals in Dresden lebten, Tieck und Tiedge, näher kennen zu lernen, von denen ich den letztgenannten einige Jahre früher (1829) in Leipzig zu sprechen Gelegenheit fand. Obschon ich damals nur wenige Stunden mit dem „Sänger der Urania“ zusammen gewesen, so empfing er mich doch, als ich ihn jetzt aufsuchte, mit einer so wohlwollenden Herzlichkeit, als wären wir schon seit langer Zeit befreundet. Er bewohnte – irre ich nicht, bis an sein Ende – die Räume, in welchen seine im Jahre 1833 entschlafene Freundin, die fromme Dichterin Elisa von der Recke, gewaltet hatte und noch heute sehe ich die gebeugte Gestalt mit den mildfreundlichen dunkelblauen Augen sich auf dem Drehsessel nach dem Eintretenden hinwenden und ihm gütig die Hand zum Willkommen entgegenstrecken. Von der Tapete des Zimmers war kaum etwas zu sehen, so dicht hingen rings an den Wänden Bild an Bild, alles Portraits unserer bekanntesten Dichter und Schriftsteller, meist in Oelgemälden, von Klopstock, Göckingk, Gleim und der Karschin herab bis auf Maltitz, den der Tod auch kurz vorher abgerufen; da schauten sie herab, die Heroen im Reiche der Geister, und es war mir oft, als sähe ich sie herniedersteigen aus ihren goldenen Rahmen in die Mitte dieses heiligen Tempels, wenn der greise Tiedge, von Erinnerungen aus längst verrauschten Jahren erfaßt, über seinen Aufenthalt in Löbichau oder von dem Zusammenleben mit diesem oder jenem Großgeist unseres Volkes erzählte und dann auf seinem Sessel nach der Seite der Wand sich hinwendete oder mit der zitternden Hand und den Worten: „der dort“ nach dem Bilde hinzeigte, das ihm die Züge des Geliebten von Neuem vor das Auge der Seele rief.

Tiedge zählte zu jener Zeit 84 Jahre, aber außer der gichtischen Lähmung seiner Füße und den wenigen weißen Kopfhaaren, die nur kümmerlich sein Hinterhaupt deckten, verrieth nichts solch hohes Greisenalter; das Auge war frisch und freundlich, der Geist ungetrübt und lebendig, ja selbst das Gedächtniß noch wacker und treu. Dabei war sein ganzes Wesen voll Güte und Wohlwollen; ich glaube, er fühlte sich glücklich, wenn er einem Dritten eine Gefälligkeit erweisen konnte. Auch nahm er noch lebendigen Antheil an allen neuen die Zeit bewegenden Richtungen, ja er dünkte sich ein ganzer Liberaler (hier war er wohl von Maltitz angesteckt worden), weil er im Jahre 1832 in seinen „Wanderungen durch den Markt des Lebens“ im ernsten Rückblick auf die Reihe von Jahren, die an ihm vorübergegangen, die Erscheinungen der Vergangenheit und Gegenwart auf dem Felde der Politik und Literatur poetisch, aber vom freisinnigen Standpunkte aus besprochen und dabei Lorbeer- und Dornenkränze (letztere mit gemüthlich zahmer Satyre) vertheilt hatte. Gar häufig brachte er bei meinen Besuchen das Gespräch auf diese „Wanderungen“ und las mir einzelne Stellen aus denselben vor. Im Jahre 1837 sah ich ihn zum letzten Male; als ich später wieder nach Dresden kam, konnte ich nur sein prunkloses Grab besuchen.

Einen durchaus andern Eindruck machte Ludwig Tieck auf mich. Julius Mosen führte mich bei ihm ein. Auch Tieck nahm mich mit zuvorkommendem Wohlwollen auf, aber der ganze Empfang hatte mehr Ceremonielles, ich möchte sagen Hofmännisches, was ich jedoch keineswegs auffallend fand, denn ich durfte füglich nicht verlangen, daß Tieck die wenigen historischen Schriften, die ich veröffentlicht, gelesen, noch weniger, daß sie ihm gefallen hatten. Dennoch war er so freundlich, mich einzuladen, an einem der nächsten Abende eine seiner berühmten Vorlesungen mit anzuhören. Diese Erlaubniß ward später auf alle die bestimmten Abende ausgedehnt, an welchen Tieck einen gewählten Cirkel um sich versammelte und denselben durch seine herrlichen Vorlesungen unterhielt. Es ist von kundigeren Federn bereits so viel über diese Tieck’schen Abendunterhaltungen geschrieben worden, daß ich mich kurz darüber fassen kann. Wie andere Menschen zur Erholung spazieren gehen, um Kraft zu neuem Tagewerk zu schöpfen, so brauchte Tieck das Mittel des Vorlesens zu dieser Erholung, und obschon er damals im 63. Lebensjahre stand, so konnte man doch nach oft dreistündigem Vorlesen nicht die geringste Ermattung an ihm wahrnehmen. Sein Vortrag war vortrefflich (namentlich im Lustspiel) und hierin ist ihm bis jetzt kein Zweiter gleichgekommen, nicht Holtei, nicht Richard Schramm, von Heinrich Laube zu schweigen, der auch einmal den unglücklichen Versuch des Vorlesens riskirte. Shakespeare, Holberg, Göthe, Goldoni waren fast ausschließlich die Dichter, welche Tieck zu diesen Vorlesungen benutzte, obwohl auch einmal während meiner Anwesenheit in Dresden Herr Johannes Minkwitz mit einer seiner griechischen Uebersetzungen zu der unverdienten Ehre gelangte. Die Ruhe, die während dieser Vorlesungen herrschte, grenzte an’s Fabelhafte und wehe dem Armen, den vielleicht ein leises Niesen oder Hüsteln dabei anwandelte – die Blicke aller Anwesenden richteten sich indignirt auf den Unglücklichen, der vergebens nach einem Auge suchte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_446.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)