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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

an. Ich lachte darüber; aber ich glaube jetzt selbst bemerkt zu haben, daß er Recht hat. Ist dem so, habe ich Ihre Einwilligung, sie zu heirathen? Nur ein Wort: „Ja oder Nein!“

„Ja,“ war meine zitternde Antwort.

Er dankte mir traurig, verließ mich und ließ mich in der größten Aufregung von Schmerz und Freude allein.

Nach einer Stunde kehrte ich zurück und ging mit klopfendem Herzen gerade in Lusy’s Zimmer. Ihr schönes Haar verbarg sie ganz an der Brust des Geliebten. Mit einem Arme hielt er sie, mit der andern Hand hielt er ihre beiden Hände. Als sie mich bemerkte, rief sie: „O er weiß nun Alles. Und er ist so glücklich, so dankbar, so – so – Und ich – o Gott! o Gott!“ Ein Strom von Thränen erstickte ihre Stimme, sie schluchzte laut und verbarg ihr glühendes Gesichtchen abermals am Busen des Gefundenen. Ich kniete vor ihr nieder und machte meinem so lange geängstigten Herzen Luft in Worten der freudigsten Theilnahme. Dabei sah ich zufällig auf, und während Lusy sagte: „Er sah mich ganz so an, wie Dich früher, liebe Marie!“ begegnete ich seinem Blick. Ich erschrack, es war ein Blick voller Angst und Unruhe, nicht das Auge eines Glücklichen. – Mein Vater gab freudig seine Einwilligung: seine liebe Tochter sollte einen edeln und guten Mann ganz in seiner Nähe bekommen. Die Vorbereitungen zur Hochzeit wurden von beiden Seiten mit Eifer und großem Aufwande getroffen. Mein Vater bestand auf Verschönerungen in W.....w’s Hause auf seine Kosten, und zwar unter seiner und meiner Leitung, da Lusy nicht zu bewegen war, sich dafür zu interessiren. Sie war wie eine Elfe, lauter Leben und Freude mit ihrem W.....w. Die Einrichtungen drüben, die Arbeiten in Haus, Hof, Garten und Park veranlaßten mich und den Vater oft, hinüber zu fahren und Anleitung zu geben, da der Herr selber sich nicht darum kümmern wollte und immer ernster zu werden schien, je näher der Tag der Hochzeit kam. Das merkte ich allein mit steigender Angst. Ich kam sowohl drüben als auch bei uns oft genug mit ihm in Berührung, zumal da mein Vater in Folge eines rheumatischen Fiebers lange an Bett und Sopha gefesselt blieb, da die Füße ihm ganz den Dienst versagten. W.....w unterstützte mich in der Pflege des Vaters, in der Wirthschaft und tausenderlei Geld- und Gesellschafts-Angelegenheiten. Er erschien unter den Verhältnissen wie mein natürlicher Rathgeber. Die kostbaren Vorbereitungen und Bestellungen für die Hochzeit schienen nicht alle zu rechter Zeit fertig zu werden, so daß W.....w rieth, wir möchten den Tag etwas verschieben. Doch der Vater wollte nichts davon hören. Alles was er bewilligte, beschränkte sich auf Verlegung der eigentlichen Festlichkeiten in das Haus des Bräutigams. Ein Theil der Möbels kam erst den Tag vor der Hochzeit an. Auf Lusy’s Bitten mußte ich hinüber, um dieselben nach meinem Geschmacke aufstellen zu lassen.

W.....w empfing mich am Thore. Ich erschrack über sein Aussehen und fragte nach seinem Gesundheitszustande. Er läugnete alles Unwohlsein. Mein Geschäft war mit Hülfe vieler bereitwilligen Hände bald gethan und ich beeilte mich, wieder in den Wagen zu kommen. Doch die Pferde waren noch nicht angespannt; so benutzte ich die Zeit, um einige eben vollendete Veränderungen im Parke anzusehen. Da begegnete ich ihm. – Er ging einige Minuten schweigend mit mir. Plötzlich blieb er stehen und sagte: „Ich muß noch einmal eine Frage an Sie richten, Miß! Was halten Sie mit Ihrem kalten, richtigen Urtheil von einem Manne, der ein weibliches Wesen heirathet, während sein ganzes Herz unwiderstehlich zu einer andern hingezogen wird?“

„Er ist ein Schurke!“ rief ich in überwallender Erbitterung; „ich habe keine Worte für die Verachtung, die ich gegen einen solchen Menschen hegen würde.“ Seine blasse Wange wurde noch bleicher. Er schwieg, doch sagte er kurz darauf sehr ruhig: „Und würden Sie ihn nicht mehr verachten, wenn er in seiner Falschheit beharrte, statt sie kühn zu gestehen, wenn auch schon vor dem Altare?“

Ein tiefer Abgrund öffnete sich vor meinen Augen und ich rief in namenloser Pein: „Mann, in Himmels Namen, sage mir, was dies heißen soll?“

Er sah mich fest an und antwortete: „Ich liebe Sie, nicht Ihre Schwester. Ich frage Sie daher, soll ich sie heirathen oder nicht?“

„Mir vergingen die Sinne und ich sank hin. Als ich die Augen aufschlug, stand er noch vor mir, ohne mir Hilfe zu bieten. „Sie sind nicht todt,“ sagte er mit derselben Ruhe, „Seelenleiden tödten nicht, sonst wär’ ich längst nicht mehr. Hören Sie mich, Miß, hören Sie meinen Fall ganz an, denn in Ihre Hände lege ich mein Schicksal. Befehlen Sie mit klarem Geist und Ihrem starken Willen. Ich glaubte, Ihre Schwester zu lieben und den alten Feind überwunden zu haben. Ich sehe sie so schön, so engelschön, und ihr ganzes Herz gehört mein – ich mußte Sie vergessen und diese lieben, aber ich betrog mich! Die letzten Wochen gaben mir Gelegenheit, Sie ganz genau kennen zu lernen. Ihre Schönheit, Ihr kluges Wollen und Wirken, Ihre Aufopferungsfähigkeit für Andere, für edle Zwecke traten mir näher und näher, und ich kann der Gewalt dieser Neigung mitten in meiner Manneskraft nichts mehr entgegensetzen, nichts. Alles vergebens. Lusy dagegen nichts, als ein Goldkind, lieblich, liebend, himmlisch – aber nichts von dem, was mir in Ihnen lebendig geworden. Ich fühlte mich besser, als ich Ihnen je erschienen sein mochte; ich fühlte mich edel genug, Ihrer Liebe würdig zu sein. Ihre schwesterliche Neigung, wie leicht hätte sie wärmer werden können, wenn ich gewartet hätte?“

„Meine Hand, mein Herz sind versagt,“ rief ich in den größten Qualen.

„Versagt?“ rief er trostlos. „Und Sie verschwiegen es mir? Falsch! Grausam! Unedel!“

„Und Sie dürfen von Falschheit sprechen,“ entgegnete ich, „Sie, der Sie in wenig Stunden mit meiner Schwester vor dem Altare stehen wollen und mich eben mit einem Liebesgeständniß beleidigen? Es kann nur ein augenblicklicher Wahnsinn sein. Ich würde mich als Weib einer solchen Schwäche schämen, und Sie schämen sich Ihrer als Mann nicht? Achten Sie mich, sich selber, meine Schwester! Beherrschen Sie den Augenblick! Meiner Schwester Schicksal ist an das Ihrige gebunden. Mit dem heiligen Verhältniß, das Sie mit ihr vereinigt, wird der Wahn schwinden.“

„Es ist kein Wahn,“ versetzte er ruhig, „es ist schreckliche Wirklichkeit, gegen welche ich meine Kraft erschöpft habe. Mein Geist fühlt sich jetzt schon zerrüttet und ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_146.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)