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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 3. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.

Bilder aus dem Leben.

Von
Ed. Gottwald.
I.
Wie man Universalerbe wird.

Daß Herr Falke eine Perrücke trug und Herr Walke ebenfalls, das wußte die ganze Stadt, oder wenigstens doch alle diejenigen, welche das Vergnügen hatten, diese sehr ehrenwerthen Staatsbürger näher zu kennen. Da aber in einer großen Stadt viele Leute sehr nahe oft neben einander leben, ohne sich jemals kennen zu lernen, so konnte es nicht befremden, daß Herr Falke nicht die geringste Ahnung von der Existenz des Herrn Walke hatte, eben so wenig als Herr Walke von dem Vorhandensein des Herrn Falke Kenntniß hatte, obgleich, wie schon gesagt, Beide Perrücken trugen, obgleich Beide schon längst über das Schwabenalter[WS 1] hinaus und als alte Junggesellen privatisirten, und Beide fleißige Besucher des Theaters waren, in welchem Letzterer, Herr Falke, stets im Parterre oder zweiten Range Platz nahm, da er für reich galt, während Herr Walke, bescheiden mit der Mittelgallerie des vierten Ranges sich begnügte, da seine Mittel weiter zu gehen ihm nicht erlaubten.

So mochten wohl schon viele Jahre vergangen sein, ohne daß die beiden alten Junggesellen, die in so mancher Beziehung gleiches Loos getroffen und gleiche Lieblingsneigungen hegten, sich jemals gesehen und gesprochen oder auch nur vorübergehend mit einander in Berührung gekommen waren, als eines Abends das Schicksal durch Lucie Grahn[WS 2] es nicht allein dahin brachte, daß Beide sich kennen lernten, sondern Beide auch in sehr nahe Berührung gerathen ließ. – Und dies fand im Theater bei erhöhten Preisen statt. –

Der Andrang des Publicums zur letzten Gastrolle der berühmten Ballettänzerin war ein so außerordentlicher, daß Herr Falke nur mit Mühe ein Billet in einen Sperrsitz des vierten Ranges erlangen konnte, während der Zufall es fügte, daß Herr Walke auf der ersten Galleriebank dicht hinter Herr Falke Platz erhielt, was für den Erstern nicht eben günstig war, denn Falke war groß und stark, Walke dagegen klein und schmächtig, und eben an diesem Abend schien Falke sehr knappe Stiefeln zu tragen, die ihn drücken mochten, oder er hatte wegen vielleicht bevorstehendem Witterungswechsel Schmerzen in seinen Hühneraugen, denn er stand sehr häufig auf und verzog dabei schmerzhaft den

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Lebensjahre ab dem vierzigsten Geburtstag eines Schwaben (Quelle: Wikipedia)
  2. dänische Tänzerin und Ballerina (1819-1907) (Quelle: Wikipedia)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_021.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)