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Aber saget in dieser selben Versammlung, predigt es an den Straßenecken, daß die delikateste Nahrung für die Schwachen und Kranken reserviert werden muß; saget, daß, wenn es in ganz Paris nur zehn Rebhühner gäbe und eine Kiste Malagawein, diese in die Rekonvaleszentenstube gebracht werden müßten, saget dieses und anderes derartiges, saget, daß nach dem Kranken zunächst das Kind berücksichtigt werden müßte; daß ihm die Kuh- und Ziegenmilch gehöre, wenn es nicht genug für Alle gäbe, dem Kind und dem Greise der letzte Bissen Fleisch und dem starken Manne das trockene Brot, wenn man zu diesem Aeußersten gekommen ist!

Saget in einem Wort, daß, falls sich dieses oder jenes Lebensmittel nicht in genügenden Quantitäten findet und dadurch seine rationsweise Verteilung notwendig werden sollte, die letzten Rationen denen zufallen müßten, die deren am meisten bedürfen; saget es, und ihr werdet sehen, ob Ihr nicht allgemeine Zustimmung finden werdet.

Was der Gesättigte nicht begreift, das Volk begreift es; es hat es immer begriffen. Aber auch der Gesättigte wird es, wenn er auf dem Straßenpflaster liegt und in Berührung mit der Masse kommt, begreifen.

Die Theoretiker – für welche die Uniform und die „Menage“ des Soldaten das letzte Wort der Zivilisation sind – werden ohne Zweifel fordern, daß man sofort eine Nationalküche und die Linsensuppe für Alle einführe. Sie berufen sich auf die Vorteile, die sich aus der Ersparnis von Brennmaterialien und Lebensmitteln bei großen Küchen, in denen dann Jedermann seine Ration Bouillon, Brot und Gemüse zu sich nehmen sollte, ergäbe.

Wir bestreiten dies Vorteile nicht. Wir wissen sehr wohl, welche Ersparnisse die Menschheit an Brennmaterialien und Arbeitskraft gemacht hat, indem sie zuerst auf die Handmühle, und dann auf den häuslichen Herd verzichtet. Wir begreifen, daß es viel ökonomischer wäre, die Bouillon für hundert Familien auf einem Herd zu kochen, anstatt deswegen hundert verschieden Herde anzuzünden. Wir wissen auch, daß es nicht tausend verschieden Arten gibt, die Kartoffeln garzukochen, und daß diese dadurch, daß[WS 1] sie für hundert Familien in einem Kessel gekocht werden, nicht schlechter sein würden.

Wir begreifen endlich auch, daß die Verschiedenheit der Küche hauptsächlich in dem individuellen Charakter der Würzung durch die Haushälterin besteht, und das gemeinschaftliche Kochen eines Zentners Kartoffeln die verschiedenen Haushälterinnen nicht verhindert, sie ganz nach ihrem Geschmack zu würzen. Und wir wissen, daß man mittels der Fleischbrühe durch verschiedene Würzung hundert verschiedene Suppen zubereiten kann, um ebensovielen Geschmacksrichtungen zu genügen.

Wir wissen alles dieses und dennoch behaupten wir, daß Niemand das Recht hat, die Haushälterin dazu zu zwingen, aus dem Kommunemagazin die bereits gar gekochten Kartoffeln zu beziehen, wenn sie es vorzieht, diese selbst in ihrem Kessel, auf ihrem Feuer zu kochen. Und namentlich wollen wir, daß Jeder seine Nahrung nach

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: das
Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/65&oldid=- (Version vom 21.5.2018)