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Stahl zu gewinnen und zu formen, um zu fabrizieren, was zur Bekleidung usw. dient, zu studieren; und man muß sich sagen, daß bezüglich der Produkte unserer Manufakturen, Hüttenwerke und Bergwerke kein Zweifel möglich ist. Wir könnten unter gewissen Umständen schon heute unsere Produktion vervierfachen, und noch dabei an Arbeit sparen.

Doch wir gehen weiter. Wir behaupten, daß der Ackerbau in der gleichen Lage wie die Industrie ist: der Landwirt besitzt ebenso wie der Industrielle heute schon die Mittel, um seine Produktion zu vervier-, zu verhundertfachen, und er könnte dies mit dem Augenblick zur Wahrheit machen, wo er das Bedürfnis dazu fühlte und zu einer gesellschaftlichen Organisation der Arbeit anstelle der kapitalistischen schritte.

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Jedesmal, wenn man von der Landwirtschaft spricht, so denkt man an den Bauer, der über seinen Pflug gebückt einherschreitet, der das schlecht ausgelesene Saatkorn, so wie es gerade fällt, auf den Acker wirft und dann mit Bangen harrt, was ihm die Witterung, ob gut oder schlecht, bescheren wird. Man sieht vor Augen eine Familie, die vom Morgen bis zum Abend sich abquält und als Entgelt dafür ein schlechtes Lager, trockenes Brot und sauren Wein hat. Man sieht in einem Wort „la bête fauve“ (das wilde Tier) von La Bruyère.

Und was will man für diesen dem Elend anheimgefallenen Menschen tun? Im Notfall die Last der Steuern und der Pacht erleichtern. Doch man kann sich nicht zu dem Gedanken aufschwingen, den Landmann einmal in gerader Haltung zu sehen, einen Landmann zu sehen, der sich Muße nimmt und in wenigen Stunden täglich das produziert, womit er nicht allein seine Familie, sondern 100 Menschen wenigstens ernähren könnte. In ihrem weitgehenden Zukunftstraum wagen selbst die Sozialisten nicht einmal über die große amerikanische Landwirtschaft, die im Grunde genommen, sich noch in den Kinderschuhen befindet, hinauszugehen.

Der heutige Landwirt hat weitergehende Ideen, Pläne von ganz anderer Großartigkeit. Er fordert nur einen Hektar Land, um darauf die ganze Pflanzenkost für eine Familie wachsen zu lassen; um 25 Haupt Rindvieh mit Futter zu versorgen, braucht er heute keinen größeren Raum, als ehemals für die Haltung eines notwendig war; er will dahin gelangen, Boden zu erzeugen, der Witterung und dem Klima zu trotzen, die die junge Pflanze umgebende Luft und Erde zu wärmen; in einem Wort, auf einem Hektar zu produzieren[WS 1], was man früher kaum auf fünfzig geerntet hatte, und dies ohne große Anstrengungen und bei einer bedeutenden Verminderung der Totalarbeitsleistung. Er behauptet, daß man reichlich produzieren könnte, was jedermann gebraucht, wenn man nur der Landwirtschaft die nötige Sorgfalt und Pflege widmete, die man ihr überdies unter eigenen Vergnügungen und Freuden zuwenden könnte.

Das ist die gegenwärtige Tendenz der Landwirtschaft.

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Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: produziren
Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/174&oldid=- (Version vom 3.6.2018)