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Anonym: Edda

mit dem ersten Gudrunenliede, dessen Inhalt ebenfalls Klage ist, besorgen ließ. Großes Verdienst können wir diesem Liede nicht beimeßen, da der Verfaßer außer Hamdismal auch zu Str. 15 das dritte Sigurdslied (Str. 52), wenn es sich nicht umgekehrt verhält, und zu Str. 18 das zweite Lied von Helgi dem Hundingstödter, namentlich Str. 34, wo Sigrun den todten Helgi ersehnt, benutzt zu haben scheint.

Das bisher Vorgetragene genügt noch nicht zur Erklärung der übereinstimmenden und doch abweichenden Eingänge beider Lieder und der Lücken in dem von Hamdismal. Dazu wird es folgender Annahme bedürfen. Das ursprüngliche Lied bestand aus dem Eingange, d. h. aus den acht ersten Strophen unseres jetzigen ersten Liedes und den Str. 11–32 von Hamdismal. Zwischen diese Bestandtheile schob ein Späterer Gudruns Klage, d. h. die Str. 9–21 des ersten Liedes ein, welche er denjenigen sang oder sprach, die nach dem Eingange lieber von Gudrun als ihren Söhnen hören wollten. Sollte er nun fortfahren und auch die Schicksale der Söhne vortragen, so war der alte Eingang fast schon wieder vergeßen, aus welchem also einige Strophen wiederholt werden musten um das eben Gehörte wieder in Erinnerung zu bringen. Als man niederschrieb was bisher dem Gedächtnisse anvertraut gewesen, schienen die ersten zwanzig Strophen ein Lied für sich zu bilden, welchem man, um es ganz selbständig zu machen, zum Überfluße noch die 21ste anhing. Sollten aber nun auch die folgenden selbständig werden und ein Ganzes ausmachen, so muste man einige neue Strophen hinzudichten, da das nicht ganz genügte, was man bisher an dieser Stelle zu wiederholen pflegte. So kamen die ersten anderthalb Strophen von Hamdismal hinzu, womit in den alten Eingang eingelenkt wurde. Str. 4 hatte vielleicht schon in den Eingang des alten Liedes gehört, war aber ausgelaßen worden, als dessen ersten acht Strophen Gudruns Klage angehängt wurde, die eine weitere Ausführung der in dieser vierten Strophe enthaltenen Klage Gudruns bildete. Die Str. 7–10 hatte man vermuthlich schon vor der schriftlichen Abfaßung als Variationen des alten Eingangs, den man nach dem Vortrag von Gudruns Klage wieder in Erinnerung bringen wollte, zu singen gepflegt. So erklärt es sich allein, warum jetzt in dem Eingang von Hamdismal vor Str. 5 der Inhalt von Str. 3 des ersten Liedes fehlt, und vor Str. 11 vermisst wird was dessen Str. 7 berichtet.

Schwieriger ist es zu sagen, warum beide Eingänge des Erp geschweigen, den erst Str. 12 des Hamdismal einführt. Er scheint den beiden andern Brüdern, die Gudrun allein hatte reizen wollen Swanhildens Tod zu rächen, unterwegs zufällig begegnet zu sein. Daß ihn Gudrun schonen

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/468&oldid=- (Version vom 31.7.2018)