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und wird Sklave eines Nebenmenschen. Wer aber irgendwo Sklavenhalter oder Sklave sein kann, der kann es überall sein und wird es überall sein. Eifersucht ist Besitzneid, bezogen auf die Liebesempfindungen eines anderen Menschen. Neid wird allenthalben als eine der erbärmlichsten Eigenschaften der Menschen ausgegeben, sofern er sich auf Güter erstreckt, die der Reichtum der Armut vorenthält. Neid gilt also als Schande, wo er der Ungleichheit in der von Menschen veranstalteten Verteilung des sachlichen Eigentums Abbruch zu tun droht. Der Neid hingegen, der der anderen Person aus Eigennutz die selbständige Entschließung über das ureigenste Verhalten in den privatesten Dingen mißgönnt, dieser Neid wird mit dem Heiligenschein einer Liebestugend umkränzt, ihm wird allerorts Ehrfurcht erwiesen, an ihn klammert sich der sonst hoffnungslos verknechtete Unterdrückte mit seiner Herrschsucht und seinem Machtwahn.

Es hat Zeiten gegeben, in denen die Vaterschaftsfamilie unbekannt war. Bevor es einen Staat gab, bevor das Priestertum und die Waffenträger Vorrechte und Macht über die Menschen brachten, galt das Mutterrecht, das der Frau die Wahl ließ, wer jeweils Vater ihrer Kinder werden sollte. Damals erfuhr offenbar die geschlechtliche Eifersucht nicht die Einschätzung eines berechtigten Anspruchs einer Person auf die andere. Ganz allmählich, in langen Uebergangszuständen ist aus der völlig ungebundenen Männer- und Frauengemeinschaft, bei der die Zahl der Gatten und die Dauer der Verbindung im Belieben aller Beteiligten stand, die Familie entstanden, zuerst in der Form, daß die Mutter den Vater ihrer Kinder zur Teilnahme an der Hausgemeinschaft zuließ, dann in Gestalt der Sippenehe, bei der Männer und Frauen innerhalb der Verwandtschaft einander verfügbar waren, schließlich, in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Eigentumsvorrechte, in Gestalt der Vaterherrschaft. Aber erst mit der Ausbreitung des jüdischen Gottglaubens, wo ja die Vaterautorität deutlich versinnbildlicht ist, erhielt die den zentralistischen Grundgedanken von Kirche und Staat angepaßte Einrichtung der Vaterehe die Weihen der Heiligkeit.

Der kommunistische Anarchismus ist schlechterdings als gesellschaftliche Wirklichkeit nicht vorstellbar, ohne daß dem Staat und jeder Art Zentralismus und Ausbeutung durch die Entfernung, ja durch die Aechtung familiärer Macht- und Hoheitsverhältnisse die Grundlage entzogen wäre. Wollen zwei Menschen ihr Leben gemeinsam führen, so ist das Sache ihrer eigenen Uebereinkunft; sobald aus dieser Uebereinkunft ein gegenseitiges oder einseitiges Besitzrecht oder gar Alleinbesitzrecht entsteht, ist im engen Kreise ein Machtzustand geschaffen, der mit unausweichlicher Notwendigkeit andere Personen in Mitleidenschaft zieht, zunächst diejenigen, auf die sich das Verlangen eines der Gatten richtet. Macht ist aber eine Seuche, die sich aller Umgebung mitteilt und sie in irgendeiner Weise in Abhängigkeit bringt, folglich Ungleichheit schafft, die wiederum Obrigkeit und Ausbeutung nach sich zieht. Die Moral der Anarchisten muß daher ausgehen von der bedingungslosen Billigung alles dessen, was auf geschlechtlichem Gebiete in unbeeinflußter Uebereinstimmung selbstverantwortlicher erwachsener Menschen geschieht. Unsittlich ist nie, was zwei Menschen tun, um einander Freude zu bereiten, unsittlich ist stets die Einmengung eines Dritten in ihre Verständigung.

Kein Mensch, weder Mann noch Frau, ist von der Natur so eingerichtet, daß er sich sein Leben lang sinnlich nur zu einem passenden Individuum hingezogen fühlen sollte. Der Geschlechtstrieb läßt sich nicht befehligen, ohne verdorben zu werden, und er läßt sich nicht verbieten oder einengen, ohne zu verkümmern. Die Eifersucht sichert die Ausschließlichkeit der Hinneigung eines Menschen zum andern nur bei völlig machtbefangenen Menschen, bei selbständig empfindenden, der Autorität unzugänglichen Naturen zerstört sie die Unbefangenheit des Verhaltens und verursacht dadurch fast immer das Gegenteil dessen, wofür sie eifert. Alle Liebesverständnisse beruhen auf Gegenseitigkeit. Aber die Gegenseitigkeit wird nicht von dem Teil aufgehoben, welcher verschiedene Verständnisse unterhält, sondern von dem, welcher vom andern die Innehaltung einer Zwangsbindung ausschließlich an seine Person verlangt. Aus dem Zusammenfinden sinnlich bewegter Menschen, sei es zur Führung gemeinschaftlicher Häuslichkeit, sei es im Ueberschwang eines Augenblicks zur Erfüllung eines vorübergehenden Begehrens, lassen sich allgemeine Regeln und moralische Gesetze überhaupt nicht ableiten. Die Angelegenheiten der Geschlechtlichkeit haben mit sozial begriffener Sittlichkeit nicht das geringste zu tun, sofern nicht Gewalt, Mißbrauch wirtschaftlicher Abhängigkeit oder Verführung unentwickelter Kinder und der Willensfreiheit Beraubter den Verkehr zur Machthandlung erniedrigt,

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Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Fanal-Verlag Erich Mühsam, Berlin 1933, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Befreiung_der_Gesellschaft_vom_Staat.djvu/22&oldid=- (Version vom 31.7.2018)